Wenn der Verkaufspreis um 10 % sinkt, ergibt sich bei Rindfleisch eine Absatzsteigerung von bis zu 27 %, bei Schweinefleisch reicht sie sogar bis zu 32 %.

Zu diesem Schluss gelangt eine Studie von Agroscope aus dem Jahr 2020. Die Studie entdeckte auch, dass Label-Schweinefleisch besser verkauft wird, wenn das konventionelle Pendant teurer wird. «Die Verteuerung der konventionellen Ware gegenüber Label-Produkten um 10 % kann hier zu einer Absatzsteigerung von bis zu 34 % führen», fasst Agroscope im Fazit der Studie zusammen. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis ist, dass die Preisunterschiede zwischen konventioneller Ware und Labelfleisch beim Rind ausgeprägter sind als beim Schweinefleisch. Somit bleibt Label-Rindfleisch für viele Konsumentinnen und Konsumenten zu teuer, schlussfolgert Agroscope.

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Der Schweizer Tierschutz will Klarheit

In Auftrag gegeben hat die Studie der Schweizer Tierschutz STS. Seit geraumer Zeit engagiert sich die Organisation unter anderem dafür, dass die Margen für Bio- und Labelfleisch nicht höher angesetzt werden als für konventionell produziertes Fleisch. In der Folge solle dies den Absatz von Labelfleisch ankurbeln.

Produzent erhält zwei Franken

Gemäss einem Beispiel aus der Preisanalyse des STS (2020) kostete nämlich ein Kilo konventioneller Schinken zum Zeitpunkt der Stichprobe bei verschiedenen Grossverteilern im Schnitt 23 Franken. Ein Kilo Bioschinken 51 Franken. Der Unterschied: 28 Franken. Davon bekommt der Produzent laut STS-Berechnung 2 Franken. Vom Rest erhält der Schlachthof 3 Franken, der Detailhandel 23 Franken.

«Völlig verzerrte Preise»

Abo «Im mittleren Preissegment ist mehr Ökologie ebenfalls wichtig», sagt Philipp Wyss zur verstärkten Zusammenarbeit mit IP-Suisse, etwa bei Äpfeln und Karotten. Interview Coop-Chef Philipp Wyss: «Schweizer Produkte sind das Wichtigste für uns» Tuesday, 12. April 2022 Der STS kritisiert diesen hohen Aufpreis bei Labelfleisch. «Beim konventionellen Fleisch ist der Zuschlag des Handels deutlich geringer. Deshalb ist dieses im Endpreis auch viel günstiger», so der STS gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen. «Das sind völlig verzerrte Preise. Beim konventionellen Fleisch tobt ein Preiskampf. Die Preise werden künstlich tief gehalten», wirft STS-Geschäftsführer Stefan Flückiger den Detailhändlern vor.

Auf den Vorwurf, beim Labelfleisch viel zu hohe Margen abzuschöpfen, entgegnet Coop-Chef Philipp Wyss im Interview vom 8. April gegenüber der BauernZeitung: «Wir verdienen am Labelfleisch nicht mehr als in den übrigen Segmenten. Die Kosten sind wegen der kleineren Tierzahl und der Rückverfolgbarkeit höher.»

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Die Zeiten ändern sich

Bis anhin reichte diese Argumentation aus, um ein teils um ein mehrfach höheres Preisniveau bei Labelfleisch anzusetzen. Auch die Wettbewerbskommission (Weko) gelangte nach dem Aufruf des STS zum Schluss, «dass eine Vereinbarung (der Margen, Anm. der Red.) vermutlich eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung sei, weil sie nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden könne.»

Rechtslage hat sich geändert

Doch inzwischen hat sich die Rechtslage verändert und könnte neue Möglichkeiten eröffnen, wie die Professoren Mathias Binswanger und Paul Richli in einem Gastkommentar in der «NZZ» vermuten lassen. Denn seit Anfang Jahr gilt eine neue Regelung im Kartellgesetz, die auch die dominierenden Detailhändlerinnen betreffen könnte. Dies, weil andere Firmen beim Angebot oder bei der Nachfrage einer Ware in einer Weise von solchen «relativ marktmächtigen Unternehmen» abhängig sind, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen.

Das Verbot des Missbrauchs

Zusammenfassend: Mit der Gesetzesrevision wird das bisherige kartellrechtliche Missbrauchsverbot auf Unternehmen wie Coop und Migros ausgedehnt. Was bedeutet das nun für die zwei grossen Detailhändlerinnen, die einer Vielzahl von kleinen Anbietern (Produzenten) gegenüberstehen? Weil deren Marktanteil von 70 % im Schweizer Lebensmittelhandel derart hoch ist, überrascht es nicht, dass die geschätzten Bruttomargen bei der Migros und bei Coop im internationalen Vergleich höher sind, fassten die Professoren zusammen. «In kaum einen anderen Land wird der Markt so stark von zwei grossen Anbietern beherrscht», betonen Mathias Binswanger und Paul Richli.

Unzulässiges Verhalten?

Abo Detailhandel in der Pflicht «Die vom STS kolportierten Zahlen sind falsch»: Coop und Migros verteidigen sich Monday, 2. May 2022 Besteht also die Vermutung, Margen überhöht anzusetzen, stellt sich neu die Frage, ob solche Margen auf eine unzulässige Verhaltensweise schliessen lassen. Und als eine solche unzulässige Verhaltensweise gilt beispielsweise die Erzwingung unangemessener Preise. Nichtsdestotrotz scheint es doch noch nicht klar zu sein, inwiefern die Detailriesen effektiv vom neuen Konzept betroffen sind.

Die Professoren fordern in ihrem Beitrag die Weko dazu auf, die spezifische Marktsituation (viele Anbieter und wenige Abnehmer ergeben hoher Preisdruck) abzuklären. «Der Verdacht liegt nahe, dass die Ausnutzung der relativen Marktmacht durch die erwähnten Detailhändler ein Marktversagen verursacht, welches die eigentlich erwünschte, zusätzliche Ausbreitung von und Nachfrage nach Bio- und Labelfleisch behindern», so Binswanger und Richli.

STS könnte Anzeige erstatten

Sollte die Weko nicht auf eigene Initiative handeln, könnte seitens der Produzenten ein Begehren für die Vorabklärung gestellt werden, warnen die Professoren. Auch kann der STS bei Verdacht einer unzulässigen Verhaltensweise der Detailhändlerinnen Anzeige erstatten. Ein solches Verfahren könnte Coop und Migros zwingen, die bisher geheimgehaltene Berechnung der Margen gegenüber der Weko offenzulegen.

Schnell gelesen

Die Bereitschaft, mehr Geld für tierfreundliche Produkte auszugeben, ist in der Schweiz gross. Das wissen auch die zwei Detailhändlerinnen, die einen Marktanteil von 70 % im Lebensmittelhandel besitzen und somit den Grossteil von Labelfleisch verkaufen. Besteht die Vermutung, dass marktmächtige Unternehmen überhöhte Margen ansetzen, kann die Wettbewerbsbehörde seit Anfang Jahr prüfen, ob sie sich «unzulässig» verhalten haben. Coop und Migros bestreiten den Vorwurf, überhöhte Margen bei Labelfleisch abzusahnen und weibeln dafür mit selbst gemachten Tierwohlprogrammen. Die Änderung im Kartellgesetz könnte nun neues Licht auf die bisher geheime Margenfestlegung werfen.