Seit zwei Jahren zahlt der Bund deutlich mehr Geld für Kulturland, das für Infrastrukturprojekte oder andere Zwecke enteignet wird: Gegen den Willen des Bundesrates stimmte das Parlament 2020 einer Änderung zu, die von Nationalrat und Bauernverbands-Präsident Markus Ritter angestossen worden war.
Bei der Entschädigung muss auf Bundesebene nun das Dreifache des ermittelten Höchstpreises vergütet werden. Ziel der Änderung: Bereits im Projektstadium soll bei grossen öffentlichen Vorhaben ein sorgloser Umgang mit Kulturland verhindert werden.
Revitalisierungen und Radwege
Profitieren konnten Landwirtschaftsbetriebe von der Änderung vorerst aber nur, wenn es sich um ein Projekt des Bundes handelte – etwa den Ausbau einer Nationalstrasse oder eine neue Eisenbahnstrecke. Hat der Kanton die Federführung, gilt dessen eigenes kantonales Enteignungsgesetz. In der Praxis haben es Landwirte aber eher selten mit Autobahnen und SBB-Neubaustrecken zu tun.
Typische Projekte, die zu Enteignungen führen, sind Revitalisierungen von Fliessgewässern, Hochwasserschutz sowie Bau von Schulhäusern, öffentlichen Werkanlagen oder Radwegen. Bei solchen Vorhaben ist in der Regel der Kanton am Ruder. Das Problem: Wird dasselbe Land für eine Autobahn enteignet, erhält der Eigentümer drei Mal mehr Geld als wenn er es zum Beispiel für ein Revitalisierungsprojekt hergeben muss.
Alles beim Alten in Zürich
Der Schweizer Bauernverband empfiehlt den kantonalen Verbänden deshalb: «Gegebenenfalls Gesetzesänderungsverfahren anstossen.» So steht es in einem Faktenblatt von 2022. Die Sache scheint aber nicht in allen Kantonen gleich dringlich behandelt zu werden.
«Bei uns ist derzeit politisch nichts im Tun», sagt etwa Pablo Nett vom Zürcher Bauernverband. Im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz bleibt der maximal zulässige Höchstpreis, der bei der Enteignung von Kulturland vergütet werden kann, bei knapp neun Franken pro Quadratmeter.
Der Entscheid des Bundesrates habe im Kanton zu Diskussionen geführt, sagt Nett. «Die einen möchten mitziehen, die anderen wollen nicht, dass Begehrlichkeiten entstehen», sagt Nett. Auch im Kanton Graubünden will man vorerst bei der gängigen Praxis bleiben. «Sonst bräuchte es eine Revision des kantonalen Enteignungsgesetzes», sagt Damian Arpagaus, beim Kanton Leiter Landerwerb Tiefbauamt: «Aber das ist bei uns im Moment kein Thema.»
Im Kanton St. Gallen hat man dagegen nicht lange gefackelt. Bereits Ende 2021 drängten hier die zwei Mitte-Kantonsrätinnen Barbara Dürr und Heidi Romer zusammen mit ihrem Partei- und Ratskollegen Bruno Cozzio in einem politischen Vorstoss auf eine Anpassung an das Bundesrecht. Mit Erfolg: 2022 wurde die kantonale Entschädigungspraxis vom St. Galler Baudepartement angepasst – und zwar gleich rückwirkend auf den 1. Januar 2021. Dabei geht der Kanton St. Gallen weiter als der Bund: Käufe von Landwirtschaftsland werden gemäss der Neuregelung mit einem einheitlichen Ansatz von 30 Franken pro Quadratmeter entschädigt.
Umstritten ist die Anpassung im Kanton Aargau. Bereits 2020 hatten die Kantonsräte Ralf Bucher (Mitte), Colette Basler (SP), Christian Glur (SVP) und weitere Parlamentarier eine Motion eingereicht, dies «mit dem Ziel einer Vereinheitlichung der Entschädigung von Kulturland», wie es in einer Mitteilung des Bauernverbands Aargau (BVA) heisst. Der Regierungsrat lehnte eine Angleichung an das Bundesrecht aber ab und schlägt nur eine «massvolle Verbesserung» der Entschädigungen vor. Pro Quadratmeter soll es je nach Qualität zwischen 4.50 und 22 Franken geben. Dem BVA ist dies aber zu wenig. «Es macht aus Sicht des BVA keinen Sinn, wenn die öffentliche Hand unterschiedliche Preise bezahlt», hält der Verband in seiner Mitteilung fest.
Verstoss gegen Verfassung
Im Kanton Bern haben sich die Landwirte mit ihrer Forderung im Parlament durchgesetzt. Im Juni 2022 nahm der Grosse Rat eine entsprechende Motion von SVP-Mann Ernst Wandfluh an. Beim Regierungsrat fand das Anliegen aber kein Gehör. Eine höhere Entschädigung nur für Landwirtschaftsland verstosse gegen die Verfassung, so die Argumentation der Regierung. Wandfluh hatte dagegen argumentiert, dass Kulturland für die Renaturierung von Gewässern oder den Ausbau von Kantonsstrassen von der öffentlichen Hand zu billig erworben werden könne.
SBV geht auf Verbände zu
Im Kanton Solothurn wurde eine entsprechend Forderung ebenfalls an die Regierung überwiesen. Die Verwaltung arbeite derzeit eine Vorlage für eine Gesetzesänderung aus, sagt Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband (SBV). In Luzern läuft dazu derzeit die Vernehmlassung. In Obwalden und Schwyz wurden ebenfalls politische Vorstösse für eine Anpassung beschlossen. Eine einheitliche Handhabung in allen Kantonen ist in weite Ferne gerückt.
Urs Schneider, stellvertretender Direktor des SBV, warnt vor einem Flickenteppich. Es sei dem SBV deshalb ein Anliegen, die kantonalen Verbände auf das Anliegen zu sensibilisieren. «Die Kommunikation wird dieses Jahr noch einmal intensiviert», sagt er.

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