«Mich haben die Zahlen total verwirrt», sagte eine Zuschauerin. Damit war sie wohl nicht allein. An der von den St. Galler Bauern im Restaurant Freihof organisierten Debatte zur Biodiversitäts-Initiative warfen Befürworter und Gegner nur so um sich mit Zahlen. Streitpunkt war vor allem, wie gross die bei einer Annahme der Initiative betroffene Fläche wäre und wie viel Fläche bereits heute unter Schutz steht.
Zahlensalat um die Biodiversitätsflächen
Die tiefste Zahl lieferte hierbei Claudia Friedl, Nationalrätin der SP und Vorstandsmitglied vom WWF Schweiz. Sie verwies auf die 2 % der Landesfläche, welche unter anderem die Moore beinhalte und streng geschützt sei. Der Bericht zur Biodiversität vom Bundesrat spricht wiederum von 13,4 %, diesen hielt Lukas Tobler, Präsident von Pro Natura St. Gallen-Appenzell, ausgedruckt in die Höhe, als er auf die entsprechende Zahl verwies. Auch Tobler ist ein Befürworter der Initiative.
Das sei so nicht ganz korrekt, meinte Nicolò Paganini, Mitte-Nationalrat und Präsident von Schweiz Tourismus, weil wichtige Flächen bei der Errechnung nicht mitberücksichtigt worden seien. Wildtierkorridore oder brachliegende Alpen seien zum Beispiel nicht mitgezählt worden. Nehme man diese hinzu, komme man, laut Paganini, bereits auf 23 %. Für Peter Nüesch, FDP-Kantonsrat und Präsident des St. Galler Bauernverbandes, stand fest, dass die Initianten eine Fläche von 30 % anpeilen. Dies sei eine Flächenzunahme in der Grössenordnung von mehreren Mittellandkantonen.
«Stimmt überhaupt nicht», konterte Lukas Tobler, die 30 % seien nirgends im Initiativtext erwähnt. «Nicht in der Initiative, aber im Verweis auf ein vom Bund unterschriebenes Klimaprotokoll», konterten Nüesch und Paganini.
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«Es wurde viel, aber das ist noch nicht genug»
Und so ging die Debatte weiter im voll besetzten Saal des Restaurants Freihof in Gossau. Hierhin hatten der St. Galler Bauernverband und regionale bäuerliche Vereinigung St. Gallen-Gossau die Zuhörenden eingeladen. Als Moderator wirkte Stefan Schmid, Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts». Er pendelte mit dem Mikrofon zwischen den Teilnehmern herum und sorgte mit seinen Zwischenfragen für eine lebhafte Diskussion. Diese drehte sich zuerst um die Landwirtschaft.
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Hier stand für Peter Nüesch fest, dass gerade die Landwirte in den letzten Jahrzehnten sehr viel für die Biodiversität gemacht hätten. Auch störte Nüesch sich an der Bezeichnung der Initiative. «Ich bin für Biodiversität, wer ist denn nicht für Biodiversität? Aber ich bin gegen diese Initiative», lautete sein Kommentar dazu. Neben dem zusätzlichen Aufwand, den sie bringe, sei die Initiative wegen des tiefen und sinkenden Selbstversorgungsgrades abzulehnen.
«Viel gemacht, aber wie der Bericht des Bundesrats zeigt, ist das noch nicht genug», war das Fazit von Lukas Tobler. Er hätte die Landwirte darum am liebsten «mit im Boot», denn sie hätten mit ihrer Bewirtschaftung einen wichtigen Hebel in der Hand, um die Biodiversität zu fördern. Er und Claudia Friedl stellten den Nutzen der Biodiversität in den Vordergrund. Es gelte, jetzt zu handeln und die Biodiversität zu fördern. Handle man nicht, drohten später Kosten in Milliardenhöhe und der hohe Selbstversorgungsgrad sei aufgrund fehlender Leistungen von Nützlingen und Bodenleben ebenfalls dahin, war ihr Fazit.
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Stillstand im Tourismus befürchtet
Mit welchen Auswirkungen die Podiums-Teilnehmer auf die Bauwirtschaft und den Tourismus rechnen würden, wollte Stefan Schmid schliesslich wissen. Für Nicolò Paganini sei hier die Initiative eine eigentliche Denkmalschutz-Initiative.
Bei Annahme hat er das Bild einer starren und durchinventarisierten Schweiz im Kopf. Er verweist dabei auf das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (Isos). Dies bereite bereits Probleme bei der Entwicklung im Sinne von Tourismus und Energiewirtschaft und künftig gebe es dann nur noch Schutz und keine Entwicklung.
Behörden würden nicht korrekt arbeiten
Das sei falsch, meinte Lukas Tobler, denn gemäss ihm bringe die Initiative eben gerade mehr Planungssicherheit. Zu Einsprachen von Umweltverbänden komme es, weil die Behörden nicht korrekt arbeiteten und keine Interessenabwägung vornehmen würden. Bei einer Annahme der Initiative würde diese von Anfang an durchgeführt, folglich müssten die Umweltverbände keine Einsprachen erheben.
Gegen Ende nutzten die Zuschauer die Möglichkeit, Fragen an die Teilnehmer zu richten. Das Angebot wurde von den angereisten Landwirten genutzt; viele wandten sich mit kritischen Rückmeldungen an die Befürworter.


