Sollten Lebensmittelpreise steigen, damit sie die Umweltwirkung der Produkte widerspiegeln? Auf dem Podium nicken alle – nur Stefan Meierhans schüttelt energisch den Kopf. «Ich wünsche demjenigen viel Glück, der vor die Bevölkerung tritt und sagt, das Plätzli koste jetzt Fr. 12.50.–», meint der Preisüberwacher und wirft einen herausfordernden Blick in die Runde. Er ist klar gegen eine solche Internalisierung externer Kosten. «Schon nur, um sich nicht ewig zu streiten, welche Kosten bisher nicht im Produktpreis berücksichtigt sind.»
Landwirtschaft via Steuern finanzieren
Die Landwirtschaft leiste einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit, die ein öffentliches Interesse sei und von der auch die Wirtschaft profitiere, fuhr Stefan Meierhans fort. Er findet es daher richtig, wenn der Steuerzahler – via Direktzahlungen – dafür aufkommt. «Konsumenten mit hohem Einkommen und Vermögen profitieren überproportional von der Versorgungssicherheit», argumentierte Meierhans. Diese Kreise würden auch höher besteuert.
Ohne Zölle und Importkontingente
«Ich sage das jeweils auch an Landwirtschaftsveranstaltungen – und mache mich damit nicht gerade populär», stellte Stefan Meierhans fest. Der Preisüberwacher referierte an der Landwirtschaftstagung von Pro Natura, die eine grosse Frage in den Raum stellte: «Welche Zukunft für die Schweizer Landwirtschaft?». Zu Meierhans’ Erwartungen gehören tiefere Lebensmittelpreise durch weniger Marktschutz, was tatsächlich keine sehr populäre Forderung ist. «Zölle und Einfuhrkontingente müssen langfristig abgeschafft werden», so der Preisüberwacher.
«Halbe Produktion, doppelter Preis»
Mit dieser Haltung schwamm Stefan Meierhans an der Veranstaltung in Solothurn gegen den Strom. Die Fricktaler Bio-Bäuerin Gertrud Häseli plädierte für mehr Wertschätzung sowohl für Lebensmittel als auch die Menschen, die dafür arbeiten und sie zubereiten (inklusive Abwasch). «In der Produktion tierischer Proteine findet eine Selbstausbeutung statt», sagte die Aargauerin. Diese Produktion sei aufwändig, die Produzenten- und Konsumentenpreise aber tief. «Halbe Produktion, doppelter Produzentenpreis», lautet daher ihr Ansatz. Chancen für die Zukunft sieht Häseli in mehr Mitsprache für die Bäuerinnen – denn dann würde in anderes als in grosse Maschinen investiert, ist sie überzeugt. Betriebe, die wie ihr eigener im Nebenerwerb geführt werden hätten ausserdem den Vorteil, dass das zusätzliche Einkommen Druck aus der landwirtschaftlichen Produktion nimmt. «So muss man nicht das Letzte aus Boden und Tieren pressen.»
Warum entscheidet der Käufer über den Preis?
Faire Preise für die Produzenten seien unabdingbar für mehr Nachhaltigkeit bis 2050, betont Kurt Zimmermann von der Genossenschaft Progana, die im Grosshandel mit Bio-Produkten aktiv ist. «Warum entscheidet in der Lebensmittelproduktion der Käufer über den Preis, den er den Produzenten zahlt, und nicht umgekehrt?», stellte Zimmermann eine offene Frage in den Raum, die unbeantwortet blieb.
Raus aus dem Sandwich
Als bio-dynamischer Pflanzenzüchter thematisierte Herbert Völkle von der Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK) nicht die Preise von Lebensmitteln, sondern die Rolle der Landwirtschaftsbetriebe. «Sie müssen raus aus dem Sandwich zwischen vor- und nachgelagerten Betrieben», so Völkle. Es gelte, hofeigenes Saatgut zu unterstützen und die Vorgaben für die Sortenzulassung anzupassen: «Eine neue Sorte wird nicht zugelassen, wenn sie zwei Kilo weniger Ertrag liefert – auch wenn sie alles andere kann», schilderte Völkle. Das sei die Denkweise des letzten Jahrhunderts, «wir haben andere Probleme als den Ertrag.»
Chance Generationenwechsel
Derzeit stecke die Welt in einer «Polykrise» mit Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Kriegen, sagte Pro-Natura-Präsidentin Ursula Schneider-Schüttel. Trotzdem sei der politische Widerstand gegen Veränderungen und ökologische Auflagen gross, was sich nicht zuletzt in den Diskussionen um Digiflux zeige. «Wir unterstützen die administrative Vereinfachung», versicherte Schneider-Schüttel, «aber sie darf nicht auf Kosten der Ökologie gehen.» Für die Transformation des Schweizer Ernährungssystems sieht Schneider-Schüttel eine Chance im anstehenden Generationenwechsel in der Landwirtschaft, da ein Grossteil der heutigen Betriebsleitenden in den nächsten Jahren pensioniert wird. «Bisher musste Neues auf ein Stichdatum umgesetzt werden», gab sie zu bedenken.
Mit AP 2030 das Fuder nicht überladen
Auch der Bundesrat habe den Generationenwechsel im Sinn gehabt, erklärte Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW). Aus diesem Grund habe er für sein Zielbild des künftigen Ernährungssystems den Zeithorizont 2050 gewählt und so für die Erreichung 30 Jahre eingeräumt. «Um sehr schnelle Änderungen zu erwirken, bräuchte es massivste Regulierungsmassnahmen und Investitionen», bemerkte Hofer. Die AP 2030 soll die Transformation hin zur bundesrätlichen Vision vorantreiben.
Zu mehr Nachhaltigkeit im Ernährungssystem könnten gemäss Hofer nach den Beschlüssen über die Absenkpfade eine bessere Sensibilisierung der Konsumenten, eine transparentere Preisbildung, Zielvereinbarungen mit dem Detailhandel und Nachhaltigkeitsindikatoren beitragen. Auf Seiten Produktion sind u.a. Lenkungsabgaben zwecks Kostenwahrheit angedacht. Hier arbeite man derzeit stark auch an der Beitragsseite, die zu Lenkungsabgaben dazugehört. «Wir wollen eine ambitionierte Vorlage ausarbeiten, aber nicht das Fuder überladen», fasste der BLW-Direktor zusammen. Ein Schwerpunkt liege bei den laufenden Arbeiten auf Einbezug und Selbstverantwortung der Branche, administrativer Vereinfachung und der wirtschaftlichen sowie sozialen Perspektive.
80 Prozent Selbstversorgungsgrad
Ursula Schneider-Schüttel stellte die Frage, ob die Politik den Menschen «ins Essen reinreden» dürfe. «Ich finde auch, dass jeder selbst entscheiden sollte, was und wie viel er oder sie isst», versicherte die Pro-Natura-Präsidentin. Tierische Lebensmittel seien ein wichtiger Teil der Ernährung, der Konsum müsse aber reduziert werden. Über Bundesgelder, Lebensmittelvorschriften, Werberichtlinien, Steuern und Bildung rede die Politik schon heute ins Essen rein. Daher habe die Politik auch eine Verantwortung in der Steuerung der Nachfrage. Schneider-Schüttel ist überzeugt, dass sich mit einer Kombination aus der Nutzung von Ackerflächen für den Menschen, graslandbasierter Tierhaltung, gesunder Ernährung und Reduktion von Food Waste die negative Umweltwirkung des Schweizer Ernährungssystems halbieren und der Selbstversorgungsgrad (SVG) auf 80 Prozent steigern liesse. Damit wäre das Ziel des Bundesrats von 50 Prozent SVG weit übertroffen.
Am wenigsten gefördert, aber mit potenziell grösstem Praxisnutzen
An der Landwirtschaftstagung referierten mit Lukas Fesenfeld und Johanna Jacobi auch zwei Wissenschaftler.
«Es gibt positive Kipppunkte»
Dass die wahren Kosten heute nicht im Produktpreis integriert sind, bedeute, dass der Druck zur Transformation allein auf der Produktion laste, nahm Lukas Fesenfeld den Ball auf. Der ETH-Forscher betonte, es gebe positive Kipppunkte, mit denen es zu arbeiten gelte. So lasse sich der Wandel beschleunigen, denn er verlaufe nicht linear. «Die Politik soll Chancen generieren, damit sich neue Normen und Interessensgruppen bilden», so Fesenfeld. Er schlägt die Schaffung eines Transformationsfonds vor, der Anschubfinanzierungen leistet für den Aufbau neuer Wertschöpfung, etwa mit pflanzlichen Produkten. «Tiefgreifende Veränderungen werden denkbar, weil man merkt, dass man gewinnen kann», erklärte er den erhofften Effekt. Was oft falsch verstanden werde, sei der Zusammenhang zwischen Konsumreduktion und der Produktion tierischer Produkte. Da die Schweiz als Grasland einen Standortvorteil habe, sei die Rolle des Exports zu bedenken.
«Keine wissenschaftliche Grundlage»
Johanna Jacobi von der ETH Zürich lud dazu ein, viel wiederholte Argumentationen zu überdenken. «Dass Produktion und Biodiversität nicht vereinbar seien, dafür gibt es keine wissenschaftliche Grundlage», hielt sie fest. Studien würden zeigen, dass durch die Diversifizierung der Produktion sowohl Biodiversität als auch Einkommen steigen können. Die Agrarökologie, die ökologische und soziale Prinzipien kombiniert, biete «den am wenigsten untersuchten und geförderten, aber potenziell grössten Nutzen in der Praxis», so Jacobi.

