Was geschieht, wenn der Milchviehstall nicht mehr zur Verfügung steht? Diese Frage beschäftigt Cindy und Silas Wyss tagtäglich. Seit Januar 2021 sind sie Pächter auf dem Landwirtschaftsbetrieb auf dem Hondrich. Inmitten des Dorfs auf 760 Metern über Meer liegt der Hof, der als Gutsbetrieb des Inforamas Berner Oberland bekannt ist. Eigentümer ist das Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG) des Kantons Bern.
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Mit dem Inforama hat die Pächterfamilie eine Leistungsvereinbarung unterzeichnet. So lernen angehende Alpsenn(innen) im Milchviehstall melken, Schüler(innen) der land- und hauswirtschaftlichen Bildung kommen zur Beurteilung des Tierwohls vorbei und auch der Traktor steht zu Schulungszwecken zur Verfügung. Zudem produziert die Pächterfamilie silofreie Milch, die in der Schulkäserei verarbeitet wird. «Die Zusammenarbeit mit dem Inforama funktioniert super», meint Cindy Wyss, «die Lernenden haben den nötigen Praxisbezug und wir schätzen den Austausch mit den jungen Berufsleuten sehr.»
Zwei Ställe ohne Zukunft
Gemolken wird auf dem Hondrich aber kaum mehr. Denn die Platzverhältnisse im alten Anbindestall entsprechen nicht mehr den Tierschutzvorschriften. Nur noch sechs Plätze erreichen die vorgeschriebene Minimalbreite für Kühe von 120 Zentimetern, alle anderen werden mit Jungvieh besetzt.
«Es fehlt nicht mal ein Zentimeter, doch das reicht.»
Silas Wyss erklärt, wieso der Stall nicht mehr den Tierschutznormen entspricht
So stehen die laktierenden Kühe auf dem zweiten Betriebsstandort in Spiez. Die Schlüsselmatte, wie der Hof heisst, hat das AGG von der Burgergemeinde Bern in Pacht und an Silas Wyss weiter verpachtet. Zweimal am Tag fährt er nun zum Melken ins Tal und bringt den vollen Milchtank wieder zurück auf den Hondrich. So kann die Leistungsvereinbarung, welche eine Bedingung für das Weiterbestehen des Pachtvertrags ist, trotzdem erfüllt werden.
[IMG 4]Jedenfalls vorerst – denn auch der Stall in Spiez hat keine Zukunft. Geplant ist, dass die Burgergemeinde Bern das Gebäude Ende 2025 abreisst. «Der Pachtvertrag war von Anfang an auf sechs Jahre befristet», erklärt Silas Wyss, «denn auch in Spiez müsste man investieren, damit der Stall wieder den heutigen Standards entspricht.» Dass die Burgergemeinde Bern ihre Prioritäten anderswo lege, sei also verständlich, fährt er fort. Auch, weil in unmittelbarer Nähe zum Betrieb neue Wohnungen entstanden sind und Zielkonflikte zwischen der Landwirtschaft und den Anwohnern nicht immer verhindert werden können.
Beim Amt vergessen
Ende 2025 steht die fünfköpfige Familie also ohne Stall da. Und das, obwohl sich das AGG dieser Situation bereits bei der Unterzeichnung des Pachtvertrags bewusst war. So haben sie dem Paar schriftlich garantiert, bis dann eine Lösung bereitzustellen. «Im Vertrag steht ganz klar, dass die Stallsituation vor dem 31. Dezember 2025 angepasst wird», meint Cindy Wyss und liest aus dem Dokument vor. Fast drei Jahre später gibt es noch immer keine handfeste Zukunft. «Beim AGG hiess es etwa vor einem Jahr, das Geschäft sei etwas untergegangen», zitiert Silas das Amt. Mittlerweile wird Versäumtes nachgeholt, mögliche Optionen werden geprüft. Doch die Zeit rennt davon. «Wir wissen nicht, wie es mit uns und unserem Betrieb weitergeht», meint Cindy Wyss und fügt ernüchtert an: «Für sie ist es einfach irgendein Geschäft. Aber für uns ist es unsere ganze Existenz.»
Neubau braucht Zeit
Klar sei bis jetzt nur, dass ein Umbau des Stalls ausgeschlossen sei, erzählt das Paar. Werden nur die Liegeplätze verbreitert, zähle das als Renovation und somit als neue Einrichtung – für die dann die neusten Standards im Tierschutz gelten. Dann könne wiederum die Luftreinhalteverordnung nicht eingehalten werden, erklärt Silas Wyss das Dilemma. «Und auch sonst ist die Einrichtung nicht mehr zeitgemäss», fährt der junge Landwirt weiter.
So ist der Heustock zu klein, um genügend Futter für die 30 Milchkühe zu lagern, und mit keinem Kran ausgestattet. Das Heu wird mit einem Gebläse in den Stock und von Hand ins Tenn gebracht und auch das Entmisten geschieht ohne maschinelle Unterstützung. Die Raumhöhe ist zu niedrig, die Luftqualität nicht optimal.
«Unser grösster Wunsch ist ein neuer, zeitgemässer Stall hier auf dem Hondrich.»
Cindy und Silas Wyss wünschen sich, auf dem Gutsbetrieb bleiben zu können.
Damit ein solcher Neubau möglich wird, müssen verschiedene Stellen zusammenarbeiten. So werden in einem Grobprojekt zuerst der Umfang und die Kosten ermittelt, dann muss der entsprechende Kredit vom Kanton bewilligt werden. Erst dann kann ein Baugesuch eingegeben werden. Einzig ein provisorischer Zeitplan des AGG gibt der jungen Familie etwas Hoffnung. «Etwas Schriftliches oder Definitives haben wir aber nicht», kommentiert Cindy Wyss. Und auch die Übergangslösung, um die Zeit zwischen dem Abbruch des Stalls in Spiez und dem Neubau auf dem Hondrich zu überbrücken, fehlt noch immer.
Hilfe in schweren Zeiten
Das Paar hatte keinen einfachen Start auf dem Hondrich. «Als wir im Januar 2021 angefangen haben, hatten wir kein Inventar, keine Tiere, keine Maschinen. Jede Schwanzschnur und jede Kabelrolle mussten wir besorgen», erinnern sich die beiden. Zuvor waren beide noch in der Ausbildung: Silas schloss die Betriebsleiterschule ab, Cindy absolvierte nach der Lehre zur Kauffrau die Berufsmaturität, bevor Elias als erstes Kind zur Welt kam.
Dementsprechend hoch war die finanzielle Belastung. «Alles, was wir bis da erspart hatten, ist weg», meint Silas Wyss, «wir haben bis jetzt immer von der Hand in den Mund gelebt.» Private Darlehen halfen den beiden, gleich beim Pachtantritt die erste Hälfte des Pachtzinses zu begleichen, benachbarte Landwirte stellten Material und Maschinen zur Ausleihe zur Verfügung und auch auf Familie und Freunde war immer Verlass. «Wir wurden hier mit offenen Armen empfangen und durften den engen Zusammenhalt zwischen den Landwirten hier selber erfahren», erinnert sich das Paar dankbar.
Ein Zuhause gefunden
[IMG 2]Trotz diesen Erschwernissen bereuen die beiden ihre Entscheidung, den Pachtbetrieb auf dem Hondrich zu übernehmen, nicht. «Für mich war immer klar: Wenn wir bauern, dann muss es auf genauso einem Betrieb sein», erzählt Cindy Wyss. Der Standort sei ideal, das Land sehr fruchtbar und der Betrieb vielseitig aufgestellt, schwärmt auch Silas. So etwa durch den Hofladen, den die Familie Wyss schon im ersten Jahr auf dem Hondrich in Betrieb genommen hat. Inzwischen haben sie auch den Maschinenpark modernisiert, Bauen als einzige der Region Raps an und besitzen eine stolze Herde vorwiegend aus Original-Braunvieh- und Schweizer-Fleckvieh-Kühen.
Betriebsspiegel Familie Wyss
Name: Cindy und Silas Wyss
Ort: Hondrich und Schlüsselmatte in Spiez
Zertifizierung: IP-Suisse
Fläche: Total 21,5 ha, davon 10 ha auf dem Hondrich.
Ackerbau: 2 ha Mais, je 1 ha Weizen, Gerste und Raps; Weihnachtsbäume.
Viehbestand: 30 Milchkühe der Rassen OB, SF, HO und RH. Im Winter zudem 20 Aufzuchtrinder. Rund 50 000 Liter Milch für die Schulkäserei des Inforamas, der Rest geht zur Aaremilch. Dazu 70 Mastschweine, 22 Legehennen und zwei Ziegen.
Betriebszweige: Milchwirtschaft, Schweinehaltung, Direktvermarktung mit zwei Hofläden, Leistungsvereinbarung mit dem Inforama.
Ob der lang ersehnte Stall kommt und der Betrieb weiterbestehen kann, bleibt indessen unklar. Für Silas und Cindy Wyss ist jedoch klar: «Wenn der Hof in irgendeiner Form Zukunft hat, möchten wir bleiben. Denn wir haben uns hier eine Existenz und ein Zuhause aufgebaut.»

