Erschöpfung, Unverständnis, Frust, Rechtfertigungsdrang. Das sind Gefühle und Zustände, mit denen sich Bauernfamilien in ihrer Berufstätigkeit und damit auch in ihrer Person heutzutage konfrontiert sehen. Der Schweizer Bauernverband versucht die Parameter, die zu diesem Gefühlschaos geführt haben, zu benennen und zu bearbeiten – und spannt dabei eng mit der Basis zusammen. Diese hat vielfach ein Urvertrauen in die Institution. Nun hat man sich als Einstieg in das neue Jahr das heikle Thema Einkommenssituation in der Landwirtschaft vorgeknöpft.

Wellen des Anlasses gehen weit

Abo Das Betriebsleiterpaar Beat und Gabi Schürch-Wyss empfingen Medienschaffende zur Jahresmedienkonferenz des SBV auf ihrem Betrieb in Kirchberg BE. Markus Ritter bestärkte sie in dieser Aufgabe. Lebensmittel-Produktion Bäuerin Gabi Schürch-Wyss über die aktuelle Situation: «Manchmal sind wir desillusioniert» Wednesday, 8. January 2025 Mit der Platzierung des Anlasses auf den ersten Freitag des Jahres erhoffte man sich ein grosses mediales Echo – und dieses ist postwendend eingetroffen. Die Wellen dieser Medienkonferenz sind weit gegangen. Sie sind teils übergeschwappt, haben sich kurzzeitig zum Sturm aufgetürmt und sind schliesslich auf dem Küchentisch der Bauernfamilie niedergeschmettert. Anonyme Briefe, lange Telefonate, Fragen, Vorschläge, Vorwürfe.

Nur wer selber virtuell oder physisch angefeindet wurde, weiss, wie schwierig dies ist. Wehrt man sich? Rechtfertigt man sich? Beruhigt man? Erklärt man den Sachverhalt (nochmals)? Womöglich alles eine Frage der Energie. Klar ist, dass die chronisch defensive Haltung des SBV für die Bauernfamilien nicht nur förderlich ist.

Erklären oder stehen lassen?

Das landwirtschaftliche Einkommen ist für viele Bürger(innen) zum Reizwort geworden, zumal der Bundesstaat 3,6 Milliarden darin investiert. Entsprechend giftig ist der Ton in den Kommentaren unter den Artikeln zum Thema. Aber zu komplizierten Fragen gibt es nur komplizierte Antworten, und für deren Beantwortung reicht das Interesse und die Aufmerksamskeit der Kommentatoren nicht aus. Deshalb entsteht diese Lücke zwischen den Bauernfamilien und den Internet-Trolls.

Der SBV kann versuchen, Brücken zu schlagen, Zahlen offenzulegen, den Dialog zu suchen, aber ob sich dieses Unverständnis dadurch verringert, ist ungewiss. Das Gegenteil scheint nun passiert zu sein. Die Verwirrung ist grösser geworden. Ist der landwirtschaftliche Lohn mit einem Lohn aus einem anderen Sektor vergleichbar oder nicht? Zählen die für den Haushalt geleisteten Stunden zur Gesamtjahres-Arbeitszeit eines Familienbetriebs oder nicht? Das sind Fragen, die für die Betroffenen klar zu beantworten sind, aber für die Beobachter nachwievor nicht. Es sind Fragen, die Geduld des Gegenübers bräuchten, um geklärt werden zu können.

Pro: Wenn ein Thema einen Nerv trifft

Sandra Helfenstein, Leiterin Kommunikation & Marketing Schweizer Bauernverband.

Wie immer zum Start eines neuen Jahres führte der SBV seine Neujahrs-Medienkonferenz auf einem Bauernhof durch. Das Thema waren dieses Mal das im Durchschnitt tiefe Einkommen der Schweizer Bauernfamilien und die Lösungsansätze zur Verbesserung. Auslöser dafür war ein Bericht des Bundesrats, den dieser im vergangenen Jahr herausgegeben hat. Darin wies er einen mittleren Stundenlohn von 17 Franken für die Familienarbeitskräfte aus. Im November veröffentlichte dann Agroscope die Einkommenszahlen für 2023. Zum zweiten Mal in Folge ging das Einkommen pro Familienarbeitskraft zurück. 2024 war zudem aufgrund der Witterung ein schwieriges Jahr, vor allem die Ernten im Pflanzenbau litten. Die zunehmenden Lücken im Pflanzenschutz erhöhen die Produktionsrisiken. Für den Schweizer Bauerverband ist klar: Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht es alle drei Pfeiler der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Und in den Bereichen Ökonomie und Soziales besteht aktuell der grösste Handlungsbedarf.[IMG 2]

Damit es nicht bei theoretischen Zahlen auf dem Papier blieb, sucht der SBV für die Medienkonferenz einen für die Schweiz typischen Betrieb. Dieser musste bereit sein, seine Buchhaltung offenzulegen. Gabi und Beat Schürch aus Kirchberg stellten sich nach unserer Anfrage – und das ist nicht selbstverständlich! – dafür zur Verfügung, dem Thema ein Gesicht zu geben. Sie investierten viel Zeit, um für das dazugehörige Fokusmagazin und dann für die Medienkonferenz ihre Einnahmen, Ausgaben und ihr Arbeitseinsatz transparent darzustellen. Ihr Betrieb mit 33 ha LN, Milchwirtschaft, Ackerbau und Wald entspricht recht gut einem durchschnittlichen Schweizer Bauernhof. Ihr Stundenlohn mit 18 Franken ebenfalls.

Der Ansatz mit dem praktischen Beispiel funktionierte und es meldeten sich so viele Medienschaffenden wie noch nie für die Medienkonferenzen an. Die Hauptnachrichten in allen drei Landessprachen nahmen sie auf. Die TA-Medien, die vor allem den urbanen Raum der Deutschschweiz abdecken, der Blick sowie weitere Medien berichteten äusserst – ja ungewohnt – fair. Vor allem eine Botschaft der Medienkonferenz – und das ist gut! – löste viele Diskussionen in den Kommentaren aus: Warum ist das Einkommen so tief, wenn doch «so viel Geld» in Form von Direktzahlungen in die Landwirtschaft fliesst? Anhand des Betriebs Schürch liess sich diese Frage gut beantworten: Weil die Bauernbetriebe im Talgebiet nicht in erster Linie von den Direktzahlungen leben, sondern vom Verkauf ihrer Produkte.

Die Erlöse sind hingegen in vielen Produktionssektoren tief und decken weder die gestiegenen Kosten noch Anbaurisiken umfassend ab. Die Folge: Die Bauernfamilien müssen sehr viel arbeiten (gemäss offiziellen Zahlen zwischen 60 und 66 Stunden die Woche), um über die Runden zu kommen. Zudem sind sie immer mehr auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen. In mehrere weiteren Artikel vertieften die TA-Medien seit der Medienkonferenz das Thema und die Situation der einheimischen Landwirtschaft. Das Ziel der Medienkonferenz ist erreicht: Die Schweiz diskutiert über die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit ihrer Bauernfamilien! Herzlichen Dank an die Familie Schürch, die das ermöglicht hat.

Kontra: «Der vermeintliche Lohnrückstand wird zu einem beträchtlichen Teil kompensiert»

Herbert Karch war von 1981-2010 Geschäftsführer der Kleinbauern-Vereinigung (VKMB).

Seit vielen Jahren betreibt der Schweizer Bauernverband (SBV) ein Verwirrspiel mit der Öffentlichkeit. Er beklagt im Januar an der Pressekonferenz den tiefen Durchschnittsverdienst in der Landwirtschaft und ermuntert damit zu Traktorumzügen und Protesten. Aber unter dem Jahr bekämpft die Agrarlobby politisch alles, was die Situation jener Betriebe verbessern könnte, welche diesen Durchschnitt nach unten ziehen.[IMG 3]

Grosse bekommen zu viel
Der entscheidende Schlüssel für eine Verbesserung der Lage liegt bei den Direktzahlungen des Bundes, für die jährlich 2,6 Milliarden Franken Steuergelder aufgewendet werden. Das sind über 50'000 Franken im Durchschnitt pro Betrieb und Jahr! Heute werden Direktzahlungen linear nach Flächengrösse verteilt. Kleine Betriebe bekommen wenig, grosse Betriebe zu viel. Für die ganz Grossen gibt es mehrere Hunderttausend Franken pro Jahr. Je weniger Betriebe überleben, desto grösser werden die Zahlungen an die wohlhabenden Betriebe. Die Folgen davon sind Übermechanisierung und Preistreiberei um jede Hektare freiwerdendes Acker- und Wiesland. Es wird überinvestiert, nicht zuletzt um Einkommenssteuern zu sparen.

Schrittweise liberalisiert
Bei Einführung der Direktzahlungen im Jahr 2000 verhinderten Einkommens- und Vermögenslimiten sowie eine Obergrenze pro Betrieb und Jahr soziale Ungleichheiten und damit die Verschwendung von Bundesgeldern. Diese Rahmenbedingungen waren von der Kleinbauern-Vereinigung (VKMB) über Volksinitiativen und Referenden erzwungen worden. Doch das bürgerlich dominierte Parlament hat am Zügel des Bauernverbandes das System in den letzten fünfzehn Jahren schrittweise liberalisiert.

Ebenso konsequent bekämpft der Bauernverband, der über zu tiefe Lebensmittelpreise klagt, in der Allianz mit den Wirtschaftsverbänden die Stärkung der Kaufkraft der Konsumenten. Augenfällig war dies in der Kampagne gegen die 13. AHV. In dieser Abstimmung zeigte sich, dass viele Bauernfamilien, die mit Existenzproblemen kämpfen, der Parole des Verbandes nicht gefolgt sind.

Die 17 Franken Stundenlohn, die als Gradmesser für die angebliche allgemeine Armut in der Landwirtschaft verwendet werden, sind eine Art bauernschlaue Schwindelei des Verbandes.

Am Verfügbaren messen
Gemessen am verfügbaren Einkommen sind die Unterschiede zwischen Landwirten und übriger Bevölkerung weit weniger gross. Verfügbar ist jener Teil des Einkommens, welcher nach Abzug der unvermeidbaren Ausgaben eines Haushaltes für Steuern (Deklaration als Selbständigerwerbende), Versicherungen, Wohnen (Hausteil dem Betrieb angerechnet) und Nahrung (Selbstversorgungsmöglichkeiten) zur Verfügung verbleibt. In den unvermeidbaren Bereichen haben die Bauern weit weniger Aufwand, so dass der vermeintliche Lohnrückstand zu einem beträchtlichen Teil kompensiert wird.

Der Bauernverband profitiert vom Goodwill der Bevölkerung gegenüber den kleinen und mittleren Bauern. Die alljährlichen Armutsklagen gehören zum unredlichen Verwirrspiel der Agrarlobby, das es aufzudecken gilt.