Abo AP 2030 Reizwort Lenkungsabgabe: Was ist das überhaupt? Thursday, 1. August 2024 Seit 1994 werde die Einführung von Lenkungsabgaben (LA) im agrarpolitischen Kontext immer wieder diskutiert. Dies mit wechselnden Begründungen, hält der Schweizer Bauernverband (SBV) in einem neuen Bericht fest. Aktuell bringt die AP 2030 LA wieder aufs Tapet.

Fokus Vereinfachung

Früher sei die Diskussion um LA damit begründet worden, dass der Einsatz gewisser Mittel und Hilfsstoffe nicht mehr signifikant abnehme. Jetzt liege der Fokus auf LA als Massnahme zur administrativen Vereinfachung. Beides funktioniere mit diesem Instrument aber nicht, ist der SBV überzeugt. Er basiert seine Ausführungen auf folgender Definition: «Eine LA ist ein ökonomisches Instrument, das darauf abzielt, Konsum oder Einsatz von gewissen Mitteln und Gütern in eine bestimmte Richtung zu lenken. Im Gegensatz zu einer konventionellen Steuer werden die Abgabeeinnahmen einer LA zweckgebunden reinvestiert.» Bei Letzteren wird gemeinhin von einer Rückvergütung gesprochen.

Agrarpolitisch solle es LA auf landwirtschaftliche Produktionsmittel geben, schreibt der SBV. «Es gibt keine einheitliche Meinung, welche Mittel zu belasten wären.» Grundsätzlich möglich seien Abgaben z. B. auf Pflanzenschutzmittel (PSM), Nährstoffe (Mineraldünger, Hofdünger, Futtermittel) oder Energie (Diesel, Benzin, Öl). Da man gleichzeitig über «wahre Kosten» diskutiere, betrachteten gewisse Kreise LA als Lösungsansatz zur «Verteuerung der konventionellen Landwirtschaft, um die wahren Kosten abzubilden», zitiert der SBV.

In kurzer Zeit alle betroffen

Aus Sicht des Verbands wäre die Einführung von LA ein völliger agrar-politischer Paradigmenwechsel: Weg von Anreizen und Verboten hin zu «Abreizen» in Form höherer Kosten auf ausgewählte Produktionsmittel. Dabei wird in dem Bericht vor einer starken Signal- und Präjudizwirkung gewarnt, sollte es einmal eine LA geben: Rasch kämen demnach weitere LA dazu, «in kurzer Zeit wäre die gesamte Landwirtschaft inklusive Labels betroffen».

Der SBV illustriert die befürchtete Dynamik mit aktuellen Überlegungen. So fordere Bio Suisse eine LA auf Mineraldünger. Tierhaltungsintensive Regionen und Biomasse-Produzenten seien LA auf stickstoffhaltigen Mineraldüngern nicht abgeneigt, da sie sich davon eine bessere Nachfrage nach überschüssigen Hofdüngern erhofften. Pflanzenbauorganisationen machen sich gemäss SBV Gedanken, LA auf Futtermittel einzufordern, sollten LA auf Mineraldünger realisiert werden. Der Verband selbst geht davon aus, dass einer LA auf Mineraldünger eine solche auf Futtermittel folgen würde, um die Zunahme der Tierbestände zu verhindern.

«Faktisch reine Steuer»

Berechnungen des SBV betonen die hohen Kosten durch LA – je nach Höhe der Abgabe und Art des Betriebs. Wie stark Landwirte auf die LA reagieren und wie ausgeprägt somit die Lenkungswirkung wäre, hänge von den verfügbaren Alternativen sowie der Kostensensibilität je nach Produkt ab. Bei Insektiziden würden LA faktisch zur reinen Steuer verkommen, da die Auswahl an erlaubten Wirkstoffen kaum ein Ausweichen ermögliche.

Weiter kritisiert der SBV die Ziele, die mit allfälligen LA verfolgt würden.

Umweltziele Landwirtschaft: Sie seien ohne starke Produktionseinbussen nicht erreichbar und daher «weder verkraftbar noch akzeptabel».

Pflanzenschutz: Das «übervorsorgliche und nicht auf die Zulassung abgestimmte Monitoring» verhindere die Zielerreichung.

«Die Landwirtschaft könnte sich zwar abmühen, würde aber den Zielen nie genügen und wäre daher dauerhafter Kritik sowie in der Folge immer höheren LA ausgesetzt», so die Warnung. Solange obige Punkte nicht angepasst würden, könne man LA nicht diskutieren.


«Die Rückerstattung ist ein schwarzes Loch»

Der SBV nimmt bei Lenkungsabgaben (LA) eine abwehrende Haltung ein und verweist auf Kosten, auf denen die Landwirtschaft sitzen bliebe. Welche Möglichkeiten böte hier die – der Definition nach dazugehörende – Rückvergütung?

[IMG 2]David Brugger: Die Landwirtschaft kann die höheren Kosten dem Verursacher – also dem Konsumenten – nicht weitergeben. Deshalb bleibt sie darauf sitzen. Die lenkende Wirkung des Konsums bleibt aus. Die Rückerstattung ist ein schwarzes Loch. Es ist völlig unklar, wer in welcher Form davon profitieren könnte – Streit ist garantiert. Sicher ist, dass es zu grossen Verschiebungen innerhalb der Betriebe kommt – z. B. von intensiven zu extensiven. Das dürften viele als ungerecht empfinden, zumal immer mehr gefordert wird, dass auf den Betrieben wieder vermehrt Lebensmittel für den menschlichen Konsum produziert werden, was anspruchsvoller ist und in der Tendenz mehr Hilfsstoffe braucht.

Bei LA ist noch sehr viel offen, es gibt diverse Möglichkeiten, sie umzusetzen. Welche Annahmen haben Sie für Ihren Bericht getroffen und warum?

Man muss realistisch bleiben. Wir gehen davon aus, dass die bestehenden Gesetze, Verbote und Umweltauflagen bleiben, z. B. die Umweltziele, die Gewässerschutzgesetze, die Grundlagen zur Düngung (Grud) oder die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (PSM). Die Lenkungsabgabe käme dann noch als weiteres Steuerelement obendrauf.

Sie bezeichnen LA als «administrativen Moloch». Wo liegt der Mehraufwand für die Betriebe, wenn die Abgabe via Händler bzw. Produktions-mittelpreise erhoben werden?

Die Bauernbetriebe müssten bei der Wahl der Mittel zusätzlich prüfen, wie stark diese belastet sind. Weiter müssten sie sich bemühen, von der Rückerstattung zu profitieren. Aus anderen Ländern wissen wir, dass es bei der Rückerstattung grosse Diskussionen gab und die Bedingungen (Höhe der Belastung und Voraussetzungen für Rückerstattung) laufend angepasst wurden. Das bedeutet Stress für die betroffenen Betriebe und viel mehr administrativen Aufwand als bisher.

Könnten dank LA Kontrollen auf den Betrieben wegfallen?

Nein, die Umweltgesetzgebung mit sehr detaillierten Vorgaben im Bereich PSM und Nährstoffe gelten weiterhin und ihre Einhaltung wird weiter kontrolliert. Dies wurde jüngst im Rahmen des Absenkpfads PSM und Nährstoffe massiv aus-gebaut. Auch weitere Elemente aus dem ÖLN wie BFF oder Bodenschutz müssen kontrolliert werden. Wer also meint, dank Lenkungsabgaben gäbe es weniger Kontrollen, der irrt sich.

Wäre eine Rückverteilung z. B. via Agis-Daten denkbar, um den Aufwand zu minimieren?

Vermutlich schon, aber auf Basis welcher Werte? Man könnte z. B. eine Rückvergütung je Hektare LN vornehmen. Kleine Betriebe würden dann weniger, grosse mehr erhalten. Das wäre sehr einfach für die Ver-waltung, aber auch sehr ungerecht. Um eine Umweltwirkung zu haben, muss die Abgabe gezielt ansetzen, etwa bei den Nährstoffüberschüssen. Und die Rückerstattung muss an jene Betriebe erfolgen, die keine Überschüsse erzeugen. Eine faire Rückvergütung wäre sehr komplex.

Warum bräuchte es trotz bestehendem Grenzschutz laut SBV Lenkungsabgaben auch auf Importe?

Weil die Importprodukte sonst einen Wettbewerbsvorteil haben und die Preisdifferenz zum Ausland noch grösser wird. Wir wollen nicht, dass der ökologische Fussabdruck sich weiter ins Ausland verlagert.

Wie wäre da die Rückvergütung ins Ausland auszugestalten?

Das ist eine gute Frage. Diese Umsetzung ist anspruchsvoll, weshalb die grosse Gefahr besteht, dass Importe verschont werden. Dann haben diese einen Kostenvorteil zulasten der einheimischen Produktion. Am Schluss leiden die Inlandproduktion und die Einkommen für die Bauernfamilien, ohne dass die Umwelt global betrachtet profitiert.

Befürworter sehen in LA die Möglichkeit für mehr Selbstverantwortung statt harter Vorgaben vom Staat. Was sagen Sie dazu?

Das klassische Argument der Ökonomen seit der Erfindung der LA vor über 100 Jahren. Am Anfang kommt alles sehr smart und angenehm daher, alle gewinnen. Leider zeigten die Realität und die Erfahrungen im Ausland, dass das Konzept in der Praxis nicht funktioniert.

Was ist Ihre Meinung zu LA aufseiten Konsumenten, via Produktpreise – liesse sich damit die vom Bundesrat angepeilte Umstellung der Ernährung sinnvoll vorantreiben?

Der Staat schreibt keine Richt- oder Produktpreise vor und die Politik wird das auch in Zukunft tunlichst vermeiden. Der Konsument würde das auch nie akzeptieren. Eine Umstellung des Ernährungsverhaltens der Konsumenten auf diesem Weg bleibt eine Utopie.

Unter welchen Umständen könnten LA der Schweizer Landwirtschaft nützen?

Wir sehen keinen Nutzen – nur Nachteile und viele Risiken