Abo Werden genügend Wildtiere zur Walderhaltung erlegt? Jäger und Forstleute sind sich darüber uneinig. Forst Den Wald besser vor Wild schützen Tuesday, 30. January 2024 Seit Jahrzehnten wird die Verjüngung des Waldes in der Schweiz durch Schalenwild erschwert. Jetzt aber dränge die Zeit, und die Verjüngungsprobleme müssten in den nächsten Jahren gelöst werden, warnen Fachleute.

«Keine Schuldzuweisung»

Es sind vier Verbände (Schweizerische Gebirgswaldpflegegruppe, Schweizerischer Forstverein, Verband Berner Waldbesitzer und Wald Schweiz), die sich mit einem gemeinsamen Positionspapier an die Öffentlichkeit wenden. «Es soll keine Schuldzuweisung an andere Akteure sein, sondern aus Sicht Wald aufzeigen, wo und wie Lösungen zu entwickeln sind», teilen sie mit.

Im Zentrum der vorgeschlagenen Massnahmen steht die Reduktion der Schalenwildbestände. «Die Jagd ist eine Notwendigkeit und muss der breiten Öffentlichkeit als solche vermittelt werden», finden die Waldfachleute. Sie sehen neben Kantonen (Jagdplanung) und Jägerschaft (Abschüsse) aber auch andere Akteure in der Pflicht. Denn das Schalenwild soll nicht nur zahlenmässig reduziert, sondern auch in seinem Verhalten beeinflusst werden.

«Nicht intensiv bis an die Waldgrenze.»

Benno Schmid, Wald Schweiz, über die Bewirtschaftung in Waldnähe.

«Höchste Zeit zu handeln»

Die Dringlichkeit ihres Anliegens begründen die Waldfachleute von der Schweizerischen Gebirgswaldpflegegruppe (GWG), dem Schweizerischen Forstverein (SFV), dem Verband Berner Waldbesitzer (BWB) und Wald Schweiz mit mehreren Faktoren:

Schäden: Zunehmend über weite Waldflächen in der Höhe und in Tieflagen, durch Verbiss, Fegen und Schälen junger Bäume.
Klimawandel: Wirke verschärfend, da die veränderten Klima- und Witterungsverhältnisse vielerorts einen Baumartenwechsel und grössere Baumartenvielfalt verlangen.
Grössere Flächen: Als Folge von Stürmen, Trockenheit und Borkenkäferbefall müssen mehr Gebiete verjüngt werden.

«Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klimaveränderungen rascher ablaufen, als der Wald sich entwickeln und den geänderten Bedingungen anpassen kann», heisst es weiter. Die Zukunft der Schweizer Wälder sei in Gefahr – «Es ist höchste Zeit zu handeln», so das Fazit.

Äsungsdruck reduzieren

«Der Abbau von Störungseinflüssen mit Lenkungsmassnahmen, Wildruhezonen und Wildschutzgebieten hilft, den Äsungsdruck an kritischen Waldstandorten zu reduzieren», hiesst es im Positionspapier. Und weiter: «Die Aufwertung und Erweiterung der Lebensräume und deren Vernetzung ausserhalb des Waldes verändern das Verhalten und die räumliche Verteilung des Schalenwilds; mit oftmals positivem Einfluss auf die Waldverjüngung.»

Tagsüber sind ausserhalb des Waldes äsende Rehe oder Hirsche hierzulande ein seltener Anblick, und auch nachts zeigen sie sich nicht immer. Eigentlich wäre dieses Verhalten gemäss Literatur aber natürlich. «Unser Schalenwild würde am liebsten die lichtverwöhnten, schmackhafteren Gräser und Kräuter auf den Flächen in der freien Landschaft äsen», ist auf der Informationsplattform Waldwissen.net zu lesen. Störungen etwa durch Verkehr oder Freizeitgesellschaft zwingen das Wild aber ins schützende Dickicht von Wäldern, was dort das Verjüngungsproblem vergrössert. Sollte Rehen, Hirschen und Gämsen also mehr Platz im Kulturland eingeräumt werden, um den Wald zu schützen? Und geht dieser Appell an Landwirte, die das Wild auf ihren Flächen tolerieren sollen?

Waldränder und BFF

Die Forderung nach aufgewerteten und erweiterten Lebensräumen betreffe nicht nur die Landwirtschaft, sagt Benno Schmid, Leiter Kommunikation und Politik bei Wald Schweiz. Es gehe ebenso um Raumplanung, Stichwort Zerschneidung der Landschaft mit Siedlungsgebieten und Infrastrukturachsen. «Gemeint sind unter anderem gestufte Waldränder, und vielleicht braucht es hier und da auch angepasste Streifen von Biodiversitätsförderflächen (BFF)», erklärt Schmid. «Wichtig ist, keine intensive Landwirtschaft bis an die Waldgrenze zu betreiben.» Stattdessen sollten quasi «Ökostreifen» angelegt werden, was teilweise bereits erfolgreich funktioniere.

«Ein Aufenthalt des Schalenwilds tagsüber ausserhalb des Waldes dürfte in unserer Kulturlandschaft wohl vielerorts illusorisch sein», ist sich der Kommunikationsleiter bewusst. Die Tiere sollten laut ihm aber in der Dämmerung aus der Deckung der Bäume kommen können. Dazu brauche es Ruhe. «Was wiederum zu Überlegungen führen kann, wie das Freizeitverhalten angepasst werden kann, damit das Wild diese Ruhe hat.» Deckung durch Hecken und Ökostreifen im Landwirtschaftsland trage zur Verbesserung des Lebensraums für Schalenwild bei.

Weniger Massierungen

Nicht zum ersten Mal kommt aus der Forstbranche ausserdem die Forderung, positive Effekte der Grossraubtiere wie Luchs und Wolf auf die Waldverjüngung beim Raubtiermanagement zu berücksichtigen. Studien zu diesem Thema seien Wald Schweiz nicht bekannt, gibt Benno Schmid Auskunft. «Viele Beobachtungen in Wolfsgebieten zeigen jedoch, dass Grossraubtiere einen positiven Einfluss auf die Verjüngung des Waldes haben können.» So würden kleinere Rudel zu weniger Massierungen von Schalenwild führen, und die jungen Bäumchen kämen besser auf.

Für eine schweizweite Vergleichbarkeit von Zustand und Veränderungen betreffend Waldverjüngung, Wildverbiss und Schalenwildpopulationen verlangen die vier Verbände ein einheitliches Überwachungssystem. Es solle klare Zielvorgaben enthalten und sei von Bund sowie Kantonen gemeinsam zu entwickeln.

Was ist ein gestufter Waldrand?

Übergangsbereichen wie jenem zwischen Wald und Offenland wird ein hoher potenzieller Wert für die Biodiversität beigemessen. Denn dort kämen Arten aus beiden Lebensräumen vor und zusätzlich solche, die auf solche Übergangsbereiche spezialisiert sind, wird auf «agrinatur.ch» erläutert. Typische Arten dieser Zone sind etwa Grünspecht, Feldhase oder Fledermausarten.

Für mehr Licht sorgen
Ein stufiger Waldrand schafft einen sanften Übergang, der aus mehreren Bereichen und Elementen besteht:

Krautsaum: Ungedüngt, extensiv genutzt.
Besonnte Kleinstrukturen: Z. B. Ast- und Steinhaufen, Brennnessel- oder Brombeerdickichte.
Strauchgürtel: Artenreich, mit Dornen und Beeren.
Waldmantel: Lückig, mit Tot- und Laubholz.

Idealerweise sollte die Baumlinie nicht schnurgerade verlaufen, sondern Buchten aufweisen. Der Krautsaum reicht so stellenweise in den Waldrand hinein. Das Ziel sei, mit der Aufwertung generell mehr Licht in den Bereich zwischen Wald und Kulturland zu bringen. Das grösste Potenzial hätten laut «Agrinatur» gut besonnte Waldränder an eher trockenen Standorten mit Ausrichtung nach Süden, Südosten oder Südwesten. Auf trockenen Standorten sei mit geringerem Pflegeaufwand zu rechnen, da sie weniger wüchsig sind. «Eine extensive Bewirtschaftung des angrenzenden Landes wirkt sich positiv auf die Biodiversität im Waldrandbereich aus.» Neben der Förderung der Vielfalt schütze ein stufiger Waldrand den inneren Teil des Forstes bei starkem Wind.

Weniger Schatten
Es wird empfohlen, als Waldeigentümer für Planung und Umsetzung auch Jäger und, wenn möglich, lokale Naturschützer miteinzubeziehen. Ein Merkblatt des Kantons Freiburg zeigt verschiedene Etappen bis zum fertigen, stufigen Waldrand auf. Am Anfang steht die Entnahme einiger dominanter Bäume.
Die Landwirtschaft profitiere dank abgestuften Waldrändern von weniger Schatten auf den Feldern, Lebensraum für Nützlinge und beitragsberechtigten Flächen.

Merkblätter und weitere Informationen: www.agrinatur.ch