Die Hände unter die rosa Schürze geschoben und in Tracht steht sie auf der Bühne. Am Flügel stimmt Dozentin Nadja Räss die ersten Töne an; Andrea Küttel beginnt zu singen. Die Kraft kommt aus dem Bauch und geht direkt ins Herz der Zuhörer. An einem Podium der Hochschule Luzern zeigt die Jodelstudentin mit dem Lied «Lysi Stunde», was sie im ersten Studienjahr gelernt hat.

«Ich habe schon gejodelt, bevor ich reden konnte», sagt Andrea Küttel. Sie ist in Chur in einer Jodlerfamilie aufgewachsen, ihre Eltern sind als Dirigenten tätig. Mit 23 Jahren ist sie die jüngste unter den Luzerner Jodel-Studentinnen. Sie wollte schon immer Gesang studieren, dachte aber zuerst an ein klassisches Studium mit Jazz oder Pop. «Als ich erfuhr, dass man sich auch zur professionellen Jodlerin ausbilden lassen kann, war die Entscheidung sofort klar.»

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Andrea Küttel singt «Lysi Stunde» und wird von Nadja Räss am Piano begleitet. (Video Karin Pfister)

Vom ersten Ton an fasziniert

«Bei uns hat niemand gejodelt; ich habe das Jodeln erst mit 20 Jahren entdeckt», sagt Simone Karmann. Die 32-jährige stammt aus Bergdietikon im Aargau und ist gelernte Physiotherapeutin. Der Beruf hat sie ins Berner Oberland geführt, wo sie zum ersten Mal mit dem Jodeln in Berührung gekommen ist. «Es hat mich vom ersten Ton an reingezogen.»

Da ihr das Zuhören allein nicht reichte, fing sie schon bald mit Privatstunden an. Vor zwei Jahren entschied sie sich für das Studium an der Hochschule Luzern. «Ich wollte noch mehr Musik in meinem Leben.» Mit der professionellen Ausbildung hole sie sich auch das Rüstzeug, um danach im musikpädagogischen Bereich tätig zu sein.

Jodel-Neuland

Das Fach Jodeln an der Luzerner Hochschule ist das «Baby» von Nadja Räss. Die Jodlerin stammt aus Einsiedeln und hat selber klassischen Gesang studiert. Mit dem Studium betritt sie Neuland; alle Lerninhalte müssen zuerst erarbeitet werden. Daher tauscht sie sich regelmässig mit bekannten Jodlern und Jodlerinnen sowie Vertretern der Jodlerszene aus, um möglichst allen Aspekten gerecht zu werden.

Geeignet ist die Ausbildung für Menschen, die das Jodeln schon beherrschen und ihren Gesang professionalisieren möchten. An der Aufnahmeprüfung wird unter anderem das Entwicklungspotential der Stimme geprüft. «Natürlich braucht man keinen Bachelor-Abschluss, um jodeln zu können. Viele Jodlerinnen und Jodler lernen es zu Hause, in Kursen und Vereinen. Wir bieten dazu eine vertiefte Gesangsausbildung an.»

Viel Zeit im stillen Kämmerchen

Die meisten der Luzerner Studierenden werden nach Abschluss im musikpädagogischen Bereich tätig sein. «Für uns ist das sehr wertvoll. Ich finde es tragisch, dass viele Primarschulen nicht mal mehr Volksmusik lehren.» Nadja Räss hofft, dass durch die Absolventinnen und Absolventen des Studiums später viele Schülerinnen und Schüler mit dem Jodeln in Kontakt kommen.

Ein Musikstudium sei etwas sehr persönliches und individuelles, erklärt die Fachfrau. Nadja Räss verbringt mit den Studierenden daher viel Zeit zu zweit im stillen Kämmerchen. «Wir arbeiten an der Stimme, an der Atmung und an der Technik.» Dazu komme Musiktheorie und das Erarbeiten von neuen Stücken. Nach Abschluss des Studiums beherrschen die Studierenden rund 60 bis 80 Jodelstücke – Naturjodel sowie Jodlerlieder mit Text.

Technik und Emotionen

Das Bachelor-Studium dauert, der Master noch zwei zusätzliche Jahre. Nach der ersten Studienhälfte zieht Nadja Räss eine erfreuliche Bilanz. «Das Niveau ist hoch. Es fordert auch mich sehr heraus.» Das wichtigste beim Jodeln sind nebst der Atmung und Technik die Emotionen. Oder wie Nadja Räss es ausdrückt: «Jodeln ist meine Muttersprache und meine Psychiaterin.»

Eine Horizonterweiterung

«Hier habe ich die Gelegenheit, meine Fähigkeiten weiterzuentwickeln und den Zugang zur eigenen Stimme zu vertiefen», sagt Simone Karmann. Sie empfindet das Studium als eine Horizonterweiterung. «Und es ist auch ein Geschenk, dass ich so etwas Schönes als Zweitausbildung machen darf.» Am meisten berühren sie ältere Kompositionen wie «E gschänkte Tag» des Dirigenten und Komponisten Adolf Stähli oder traditionelle Naturjodel.

Auch Andrea Küttel zieht eine positive Zwischenbilanz ihres Studium. Sie sei an «einfach allem» rund um die Musik und speziell am Jodeln interessiert, sagt sie. An einem normalen Studientag ist sie sechs bis sieben Stunden am Singen. Jodeln ist ein Teil davon. «Jodeln ist ein Ausdruck meiner Gefühle. Wenn ich
anfange zu singen, lege ich alles von mir rein.»

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Auch Maritta Lichtensteiger zeigt uns, was sie im Studium gelernt hat. (Video Karin Pfister)

 

Volksmusik auf Hochschul-Niveau

Volksmusik wird an der Hochschule Luzern schon länger als Studium angeboten. Seit zwei Jahren kann man sich für «Jodel» als Hauptfach einschreiben. Nadja Räss hat das Studium entwickelt und ist auch für die Inhalte verantwortlich.

Die meisten Studierenden möchten das Studium mit einem Bachelor of Arts in Musik abschliessen – je nach Neigung mit dem Profil Klassik oder Jazz. Das Bachelor-Studium dauert drei Jahre. Die Studentinnen und Studenten vertiefen während dieser Zeit die Technik auf ihrem Instrument oder ihrer Stimme. Gelehrt wird auch theoretisches Wissen sowie eine umfassende praktische Kenntnis der Volksmusik. 

Nach bestandener Prüfung wird man zu einem berufsbefähigenden Master-Studium zugelassen, zum Beispiel dem Master Musikpädagogik.

Quelle: Hochschule Luzern


Weitere Informationen: www.hslu.ch/volksmusik