«Ich würde schon sagen, dass Bäuerinnen in den letzten 20 Jahren mutiger geworden sind – und eher sagen, ‹alles lasse ich mir nicht bieten›», sagt Agnes Schneider Wermelinger. Die langjährige Mediatorin hat sich auf Bauernfamilien spezialisiert und kommt dann ins Spiel, wenn die Liebe gegangen ist.

Drei Gründe fürs Liebesaus

Schicksalsgeschichte Eine Bäuerin geht – und kehrt nach der Scheidung zurück auf den Hof Wednesday, 9. March 2022 Pro Jahr sind es acht bis zwölf einvernehmliche Scheidungen, bei denen die gebürtige Toggenburgerin mit dem Paar das Güterrecht regelt und die Scheidungskonvention für das Gericht ausarbeitet. Eine Anwältin oder einen Anwalt braucht es dann nicht.

Doch nicht immer kommt sie mit dem Paar zu einer Lösung: «In zwei von zehn Fällen merke ich, dass es nicht geht.» Die Gründe für eine Trennung sind laut Agnes Schneider Wermelinger deren drei: Bei einem Drittel ihrer Fälle seien Generationenkonflikte der Grund, «die bis ins Paarleben hineinfunken», bei einem weiteren Drittel Untreue bzw. aussereheliche Beziehungen der Frau oder des Mannes. «Der dritte Grund – den ich oft den traurigsten finde, weil man dann einfach nichts mehr machen kann – ist, dass sich die Partner auseinandergelebt haben, sie nicht mehr die gleichen Werte teilen.»

Von 30 bis 75 Jahren

Zur Person: Agnes Schneider Wermelinger

Die dipl. Bäuerin (*1960) ist Mediatorin. Sie hat ein CAS in Agrarrecht, ist Fachfrau Marketing und Kommunikation FA und Phytotherapeutin.

Website von Agnes Schneider Wermelinger

Die Altersspanne ihrer Klientinnen und Klienten reicht von 30 bis 75 Jahren. «Häufiger ist es die Frau, die den Entschluss fällt, zu gehen, weil sie aus irgendeinem Grund nicht mehr kann.»

In den meisten Fällen geht der Wunsch von einer Person aus, die andere möchte sich oft nicht trennen, das macht Agnes Schneider Wermelingers Arbeit nicht einfacher: «Ich habe immer eine grosse Box Nastücher in meinem Mediationskoffer. Es wird sehr viel geweint, auch von Männern. Das zu ertragen, fiel mir am Anfang schwer.» Überhaupt sei es nicht so einfach, sich emotional abzugrenzen. «Manchmal gelingt es mir besser, manchmal weniger gut, aber ich bin sicher niemand, dem das leichtfällt.»

Seitensprung per Annonce

Agnes Schneider Wermelinger hat in ihrer langjährigen Tätigkeit schon fast alles erlebt. «Es gibt wüste Geschichten», sagt sie ehrlich. «Bauern etwa, die per Kleininserat eine andere Frau für eine Sexgeschichte suchen. Das ist wahnsinnig erniedrigend für die Frau.» Am schlimmsten sei für sie Ungerechtigkeit oder «wenn Gewalt im Spiel ist».

Abo Analyse Scheidung: Als Paar getrennte Wege zu gehen, braucht Mut Monday, 26. June 2023 Nicht immer sei es einfach, neutral oder wie es in der Fachsprache heisst, «allparteilich» zu sein. Im Gegensatz zur Neutralität, deren Ziel eine unparteiische Haltung ist, ergreift man bei der Allparteilichkeit aktiv für beide Seiten im gleichen Mass Partei. Eine der ersten Lektionen in der Ausbildung zur Mediatorin sei gewesen, dass es immer zwei Wahrheiten gebe. Jeder Ehepartner bringt seine eigene mit. 

Eigene Erfahrung hilft

Agnes Schneider Wermelinger ist selbst ein Scheidungskind. «Meine Eltern haben eine Horrorscheidung durchgemacht, zu einer Zeit in den Sechzigerjahren, als noch fast niemand geschieden war.» Das habe sie geprägt, sie sei immer felsenfest überzeugt gewesen, dass sie sich selbst niemals scheiden lassen würde. «Es kam anders.» Agnes Schneider Wermelinger heiratete sehr jung einen Bauern. Die Beziehung scheiterte. «Heute bin ich in zweiter Ehe mit einem wunderbaren Mann glücklich. Dass ich selbst geschieden bin, hilft mir heute bei meiner Arbeit, weil ich selbst weiss, wie sich das anfühlt und dass es wieder aufwärts geht, auch wenn man das zunächst kaum glauben wird.»

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Ihr Ex-Mann und sie hätten das mit der Scheidung recht gut hinbekommen. Wenn einem das gelinge, dann habe man auch wieder einen guten Start ins neue Leben. «Ich sage immer, die schlimmste Phase sind die ersten zwei Jahre. Danach sollte es wieder gut sein. Falls es das nicht ist, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.»

Meistens gute Lösung

Finanziell findet Agnes Schneider Wermelinger mit ihren Kunden in den meisten Fällen eine Lösung, die stimmt. «Stimmt» will heissen: Die Frau kommt finanziell nicht zu kurz und gleichzeitig wird der Bauernbetrieb nicht gefährdet. Und doch würden die Bäuerinnen recht oft auf einen Teil des Geldes verzichten, das ihnen eigentlich zustehen würde. Schneider Wermelinger bedingt sich jeweils das Recht aus, sich mit dem Buchhalter auszutauschen. Diese Zusammenarbeit ist nicht immer einfach: «Der Buchhalter ist oft nahe am Bauern, weil er seinen Kunden nicht verlieren will.»

Sie hat auch schon öfter Vorbehalte erlebt, weil sie eine Frau ist. «Sehr traditionelle Bauern – und von denen gibt es immer noch einige – sind womöglich mit einem Mann als Mediator besser bedient.» Die wichtigsten Eigenschaften als Mediatorin seien neben Durchsetzungsvermögen Empathie, Gerechtigkeitssinn, Gelassenheit und «ja, auch eine gewisse Fröhlichkeit».

Unterlagen aufbewahren

Agnes Schneider Wermelinger unterrichtete jahrelang an der Bäuerinnenschule Agrarrecht. «Ich habe den jungen Frauen drei Dinge mit auf den Weg gegeben.» Erstens: Sie sollen die letzte Steuererklärung vor der Eheschliessung aufbewahren. Zweitens: Das gleiche gilt für den letzten Bankauszug. Beides kann im Scheidungsfall unglaublich wichtig sein. «Nach zehn Jahren weiss meist keine Gemeinde oder Bank mehr Bescheid, was einmal war.» Drittens: «Wenn es nicht mehr geht, holt euch professionelle Hilfe.»

Das Leben geht weiter

Obwohl eine Trennung per se etwas Trauriges ist, kann Agnes Schneider Wermelinger ihrer Tätigkeit auch Schönes abgewinnen. «Es gibt Leute, die mir sagen, ‹Du spinnst, ich könnte das nicht›. Aber wenn wir eine gute Lösung für beide Parteien finden, ist das auch eine gute Sache.»

Einen Ausgleich zur Tätigkeit als Mediatorin findet sie unter anderem in der Phytotherapie. «Ich bin eine leidenschaftliche Kräuterhexe. Das macht mir grosse Freude und gibt mir Kraft.»

Letzte Folge der Serie «Liebe auf dem Land»

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In der Serie «Liebe auf dem Land» berichteten wir in loser Folge über alle Aspekte des Beziehungslebens, die schönen wie die schwierigen. Mit diesem Artikel endet die Serie. 

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