Abo Ohne Herzschmerz geht es kaum: Wenn eine Ehe auseinander bricht, geht nicht nur eine Beziehung oder eine Familie in die Brüche – meist sind auch sehr viele negative Emotionen im Spiel. Liebe auf dem Land Agnes Schneider Wermelinger begleitet Bauernpaare bei der Scheidung: «Es wird sehr viel geweint» Monday, 26. June 2023 Zwei von fünf Ehen in der Schweiz werden geschieden. Genaue Zahlen aus der Landwirtschaft sind nicht bekannt, allerdings sei Scheiden auch in unserer Branche salonfähig geworden, sagt Mediatorin Agnes Schneider Wermelinger im Gespräch mit der BauernZeitung.

Die Verliebtheit geht in Liebe über, aber Liebe ist Arbeit

Am schönsten wäre es, es müsste gar nie so weit kommen. Zwei mögliche Erfolgsfaktoren dafür sind realistische Erwartungen und eine gute Kommunikation. Oder wie Paarberater Cornel Rimle im April in einem Interview mit der BauernZeitung sagte: «Viele Leute verwechseln Verliebtheit mit Liebe. Sie nehmen die Anfangszeit als Massstab für die Beziehung und glauben, dass man sich immer so fühlen muss.» Der grosse Bruch kommt, wenn die Verliebtheit zu Ende geht und man anfangen muss, zu reden. «Die meisten Paare verpassen es in der Zeit, eine gute Streitkultur zu entwickeln.»

Auch ohne Streit kann man sich verletzen

Nun gibt es Paare, die gar nie streiten, was nicht heisst, dass es nicht zu Verletzungen kommt. Man regt sich über den anderen auf, ohne darüber zu reden. Die damit verbundenen negativen Gefühle speichert man trotzdem ab. Das schafft Distanz. 

Doch was ist eine gute Streitkultur? Cornel Rimle betont, man müsse in erster Linie seine Bedürfnisse kennen und diese klar ausdrücken. Das falle aber vielen Menschen in der Landwirtschaft schwer. «Oft ist der Hofnachfolger in der Tendenz ein Mensch, der harmonieliebend ist.»

Generationenkonflikte drücken 

Häufig leben auf dem Bauernhof mehrere Generationen eng beieinander. Man arbeitet rund um die Uhr zusammen, hat ohne Ausserhausjob wenig Ausweichmöglichkeiten. Einerseits ist es schön, den Partner in der Nähe zu haben, aber das sorgt auch für Reibung. Für jene(n) in der Beziehung, der von aussen kommt – meist immer noch die Frau –, können starre Strukturen und hohe Erwartungen schwierig sein.

Der Mann wiederum fühlt sich womöglich im Sandwich zwischen Frau und Eltern. Kein Wunder, sind Generationenkonflikte oft ein Trennungsgrund – das ist bei einem Drittel der Scheidungen, die Agnes Schneider Wermelinger betreut, der Fall.

Womöglich langer Leidensweg

Der Entscheid, sich zu trennen, fällt meist nicht von heute auf morgen. Der Leidensweg kann Jahre dauern. Ist die Trennung erst ausgesprochen, kommt für die ganze Bauernfamilie ein einschneidender Moment. Für die Person, die den Hof verlässt – wiederum häufig die Frau –, kracht ein ganzes System zusammen.

Schliesslich ist ein Bauernhof neben Arbeits- auch Lebensort und zusätzlich meist Lebensgrundlage. Jener, der bleibt, hat plötzlich viel mehr Arbeit, Überlastung ist eine reelle Gefahr. Eine Trennung verändert nicht nur die Leben aller Beteiligten (gerade auch der womöglich vorhandenen Kinder), sie ist auch mit vielen heftigen, meist negativen Emotionen verbunden. Deswegen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist kein Zeichen von Schwäche.

Der Hof ist fast nie gefährdet

Auch finanziell ist zu Beginn vieles unklar. Dass die soziale Absicherung vieler Frauen in der Landwirtschaft zu wünschen übrig lässt, ist hinlänglich bekannt. Gleichzeitig fürchten viele Bauern bei einer Scheidung um den Betrieb.

Die Angst, dass ein Hof deswegen verkauft werden muss, ist aber in den meisten Fällen unbegründet, wie 2019 eine Studie der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) mit 60 untersuchten Fällen zeigte. Bei 83 Prozent konnte ein Ehegatte den Betrieb weiterführen. Andere übergaben ihn an die jüngere Generation oder verpachteten ihn an Dritte. In keinem Fall wurde er ausserhalb verkauft.

Viele verzichten zugunsten des Betriebs

Gleichzeitig zeigte die Studie, dass Verzicht bei einer bäuerlichen Scheidung einen hohen Stellenwert hat. Insgesamt 72 % gaben an, in der Scheidungskonvention bewusst auf eigene Ansprüche verzichtet zu haben.

Wer heiratet, möchte nicht an Scheidung denken. Trotzdem hilft es sehr, wenn man vorgesorgt hat. Will heissen, dass man die letzten eigenständigen Steuererklärungen vor der Eheschliessung aufbewahren sollte. Dass man Veränderungen im Eigengut lückenlos nachweisen kann (Belege aufbewahren). Investiert ein Ehepartner ins Eigengut des anderen bzw. den Hof, sollte man dies unbedingt schriftlich festhalten (Darlehensvertrag).

Es geht wieder aufwärts

Eine Trennung braucht Mut, kann aber auch eine Erleichterung bedeuten. Allen Schwierigkeiten zum Trotz waren vier von fünf der geschiedenen Bäuerinnen und Bauern in der HAFL-Umfrage nach der Scheidung mit ihrer Situation zufrieden oder sehr zufrieden. So mag es nach einer Floskel klingen, die aber einen wahren Kern hat: Das Leben geht weiter.