Die Sonne bringt den Schnee zum Glitzern. Hinter dem urchigen Emmentaler Speicher kommt ein Langläufer die Loipe herab. In der Kurve beim Baum wird er gleich hinfallen.
«Starkes Symbol»
Es rumpelt. Ein junges Paar, elegant angezogen, zieht einen Sarg auf einem Leiterwagen hinter sich her zum Leichenwagen. Das Auto ist diskret weiss wie der Schnee. «Es ist ein ungewohntes Bild, so ein Sarg, nicht? Ein starkes Symbol», sagt Diana Wälti.
Stimmiges Bild
Und doch passt an diesem Wintermorgen alles zusammen. Der Sarg zum Leiterwagen, zum blauen Himmel, zum Schnee. Es wirkt friedlich. Stimmig. Der Tod gehört zum Leben dazu. Und er prägt seit Jahren die Leben der vier Menschen, die sich nun zum Fototermin versammeln. Diana Wälti, ihr Mann Markus Niederhauser, die gemeinsame Tochter Lia Niederhauser und ihr Partner Kevin Huguenin.
Kürzlich haben sie gemeinsam den Bestattungsdienst Emmental gegründet, zusätzlich zu den Unternehmen, mit denen Huguenin im Raum Biel, Seeland und Bern aktiv ist.
«Vor zwei Jahren sind wir am Küchentisch gesessen und haben gesagt, es wäre schön, wenn wir auch für das Emmental etwas anbieten könnten», sagt Wälti. «Wir kommen von hier, wir wissen, wie die Emmentaler ticken.» [IMG 4]
Tod der Eltern als Anfang
Diana Wälti und ihr Mann waren jahrelang im eigenen Speicher in der Gastronomie tätig. Nun wurde das ehemalige Landhaus Spitzenstein Heimat für den Bestattungsdienst. «Für mich hat alles mit dem Tod meiner Eltern begonnen», erinnert sich Wälti an ihre Anfänge als Bestatterin zurück. Vor zehn Jahren starben ihre Eltern innert vier Monaten, erst der Vater, dann die Mutter. «Das Handwerk hat mich fasziniert.»
Sie übernahm eine Vertretung beim Bestattungsdienst Finis, später arbeitete sie bei KevinHuguenin, machte die Ausbildung zur Bestatterin. Seither ist sie freischaffend auf dem Beruf tätig. Dann verliebte sich Tochter Lia in Kevin Huguenin und ergriff selbst den Beruf. In den letzten Jahren sind die vier zu einer Bestatterfamilie zusammengewachsen.
Viele steigen quer ein
«Viele in der Branche sind wie ich Quereinsteiger(innen)», sagt Diana Wälti. Natürlich habe es zu Beginn ihrer Tätigkeit manchmal Reaktionen darauf gegeben, dass da eine Frau kam, etwa Sprüche wie «Können Sie einen Sarg tragen?» Doch es kann auch helfen, eine Frau zu sein, denn das Allerwichtigste im Beruf ist Empathie.
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Trauer trägt keine Maske
«Man muss die Menschen gernhaben», sagt Diana Wälti. «Sie sind am authentischsten, wenn sie traurig sind. Dann trägt man keine Maske.» Manchmal kommt sie in ein Trauerhaus, in dem die Menschen ausser sich sind. «Dann bin ich als Bestatterin die letzte Person, die sie sehen wollen. Man muss sich innert Minuten, manchmal auf innert Sekunden auf eine neue Situation einstellen.»
Organisationstalent ist gefragt
Wenn die Polizei nach einem Unfall anruft, muss man sich unverzüglich auf den Weg machen. Man muss ein Organisationstalent sein, denn zum Rundum-Service gehören nicht nur das Abholen und Herrichten der verstorbenen Person, sondern unter anderem auch der Kontakt zum Pfarrer, der Termin der Trauerfeier, das Aufgeben der Todesanzeige und die Botengänge zu allen involvierten Stellen und Ämtern.
Manchmal gibt es auch logistische Herausforderungen. Zum Beispiel, wie man einen schweren Verstorbenen aus dem fünften Stock über Wendeltreppen zum Auto bringt. Deshalb sind sie bei einem Todesfall immer zu zweit unterwegs.
Es herrscht Aschefreiheit
Früher kannte man die Erd- oder Urnenbestattung und ganz klassisch den Friedhof. Das hat sich längst geändert. Möglich ist heute fast alles. Als Besonderheit bietet der neue Bestattungsdienst Emmental zum Beispiel einen Sarg mit Heuborte an. Zur letzten Ruhe gebettet wird die oder der Verstorbene darin auf Emmentaler Bioheu und einem Kissen mit Edelweissmuster.
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Viele wünschen sich auch, dass ihre Asche an einem speziellen Ort verstreut wird. In der Schweiz ist das erlaubt. «Wir haben die so genannte Aschefreiheit», erklärt Diana Wälti. Trotzdem sichert sie sich vor einem Ritual in der freien Natur ab, recherchiert den genauen Ort und wem er gehört, fragt dort um Erlaubnis.
«Nichts wäre schlimmer, als wenn man mit einer Trauergemeinde Asche verstreuen will und dann ist der Bauer im Wald am Holzen und weiss von nichts», nennt sie ein Beispiel.
Schublädli auf, Schublädli zu
Nicht immer ist es für die Bestatter einfach sich abzugrenzen, sie sehen schlimme Bilder, nicht alle verstorbenen Personen sind unversehrt, erleben heftige Schicksale ganz unmittelbar mit. «Ich bin selbst Mutter. Wenn ein junger Mensch gestorben ist, etwa durch Suizid, was leider oft vorgekommen ist in den letzten zwei Jahren, dann bin auch ich sprachlos», sagt Diana Wälti.
Dennoch muss man sich abgrenzen können, sonst kann man den Beruf nicht ausüben. «Ich sage immer, Schublädli auf, alles hinein, Schublädli zu. Sonst kippt irgendwann der ganze Schrank um», ergänzt Kevin Huguenin. Man müsse seine eigenen Grenzen kennen, gerade bei einem Todesfall im eigenen Umfeld.
Jüngster Bestatter der Schweiz
Als Kevin Huguenin mit 15 Jahren in die Branche einstieg, wurde er schweizweit als «jüngster Bestatter der Schweiz» bekannt. Sein Alter und seine für die Szene unüblichen Pauschalangebote polarisierten. Nach kritischer Berichterstattung ermittelte die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland gegen ihn – Wucher, Betrug und Urkundenfälschung standen im Raum. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren im Oktober 2021 ein. Alle Leistungen seien in den Verträgen von Huguenin transparent aufgeführt, ebenso die Zusatzleistungen, die nicht im Pauschalangebot inbegriffen sind, hielt sie fest.
Auch wenn die Bestatterfamilie stets versucht, das Beste aus der Situation zu machen, manchmal müssen sie jemandem sagen, dass es besser wäre, die Verstorbene oder den Verstorbenen nicht mehr zu sehen.
«Schwierigster Moment»
«Das ist immer der schwierigste Moment», sagt Markus Niederhauser. «Und doch können wir niemanden davon abhalten. Manchmal müssen wir sagen, dass sie es auf eigene Verantwortung tun.» Wie heftig eine psychische Reaktion ausfällt oder ob die Bilder Spuren hinterlassen, ist nicht abschätzbar.
Kein erwünschter Gast
Dass der Tod ein Tabuthema ist, erleben die vier immer wieder. «Er ist in unserer Gesellschaft nicht erwünscht», sagt Diana Wälti.
Gerade im städtischen Raum erlebt sie oft, dass Angehörige möglichst schnell einäschern wollen. Sie versucht nach Möglichkeit, ihnen eine Aufbahrung ans Herz zu legen, damit alle persönlich Abschied nehmen können, die das wollen. «Ich sage immer, diese Möglichkeit kommt nie mehr zurück.»
«Jugendliche liegen im Sarg Probe»
Sie hat erlebt, dass jüngere Leute ein unverkrampfteres Verhältnis zum Tod haben. Manchmal ruft sie ein Pfarrer an und lädt sie zum Konfunterricht ein. «Dann rede ich mit den Jugendlichen zwei Stunden über den Tod. Sie haben weniger Berührungsängste und liegen auch mal in einem Sarg Probe.»
Lia Niederhauser hat die gleiche Erfahrung gemacht. Auf ihren Beruf, der mit Anfang Zwanzig ungewöhnlich ist, reagierten Gleichaltrige vor allem mit Neugier, erzählt sie.
Rund um die Uhr erreichbar
Natürlich hat der Beruf, wie jeder andere, Schattenseiten. Die permanente Erreichbarkeit, 24 Stunden pro Tag, 365 Tage im Jahr, kann zehren. Daher ist Diana Wälti froh um ihr Teilzeitpensum als Masseurin und Kosmetikerin im Spa des Westside in Bern.
Ihr Mann arbeitet ebenfalls auf seinem angestammten Beruf als Feinmechaniker weiter. Auch das Verhältnis der Bestattungsinstitute untereinander ist nicht unbedingt von Freundlichkeit geprägt. Trotzdem gibt es für die Familie nichts Schöneres, als Menschen in anspruchsvollen Situationen zu begleiten.
«Bestehen aus Energie»
Der Tod gehört zum Leben. Ob er wirklich das Ende ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Auch Diana Wälti hat diesbezüglich zwei Seelen in der Brust.
«Einerseits bin ich nüchterne Bestatterin. Anderseits bestehen wir Menschen aus Energie. Es ist schwierig, sich vorzustellen, dass danach alles weg sein soll, was uns ausgemacht hat.» Nachdem ihre Mutter gestorben war, sei sie oft in Räume gekommen und habe ihr Parfüm gerochen. «Dieser Duft, dieses Gefühl der Präsenz, das war tröstlich.»