«Ernsthaft?»: Das war mein erster Gedanke, als ich den Vorschau-Artikel zur Delegiertenversammlung von Bio Suisse meines Arbeitskollegen gelesen habe. Darin die Ankündigung, dass die Knospe-Delegierten über ein Zielpapier mit dem Namen «Gleichstellung der Geschlechter» abstimmen sollen.
Frauenquoten nicht per se schlecht
Dann habe ich den Inhalt studiert. Es gibt Grundsätze in diesem Papier, die ich wichtig finde. Zum Beispiel, dass Bio Suisse die Präsenz untervertretener Geschlechter in Führungs- und Verbandsgremien fördern will.
Man kann von Frauenquoten halten, was man will, aber ich finde sie per se keine schlechte Sache, in gewissen Fällen wären sie geradezu nötig, wenn ich da so an Versammlungen von landwirtschaftlichen Verbänden denke, an denen ich als Agrarjournalistin neben der Servicefachfrau (fast) die einzige Frau bin. Das kommt immer noch vor, aber seltener als früher.
Biobäuerinnen in den Vordergrund rücken
Auch gefällt mir, dass Bio Suisse für eine ausgewogene Präsenz der Geschlechter im öffentlichen Auftritt sorgen will – es gibt bestimmt genug patente Biobäuerinnen, die man zeigen kann. Oder, dass eine angemessene Sozialversicherung für mitarbeitende (Ehe-)Partner(innen) angestrebt wird. Schliesslich weiss man nicht erst seit der BLW-Studie «Frauen in der Landwirtschaft», dass deren soziale Absicherung sich zwar verbessert hat, aber immer noch zu wünschen übrig lässt.
«Ist das nicht längst selbstverständlich?»
Es gibt Punkte, bei denen ich dachte: «Ist es heute wirklich nötig, das in einem offiziellen Papier festzuschreiben? Ist das nicht längst selbstverständlich?» Zum Beispiel, dass strategische und finanzielle Entscheide auf dem Betrieb partnerschaftlich gefällt werden sollen.
Vielleicht liegt es daran, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der meine Mutter schon in den Neunzigerjahren jeden Traktorkauf nicht nur abgesegnet hat, sondern den Traktor auch selbst gefahren ist.
Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Frau ein finanzielles und strategisches Mitspracherecht auf dem Betrieb hat. Schliesslich trägt sie nicht selten mit einem Aussenjob oder Betriebszweig zum betriebswirtschaftlichen Gelingen bei oder ihr eigenes, vor der Beziehung erarbeitetes Vermögen fliesst sogar in den Hof.
Keine Diskriminierung, kein Sexismus
Auch die Tatsache, dass man Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und Sexismus nicht duldet sowie «respektvoll und anerkennend» miteinander umgehen soll, finde ich dermassen logisch, dass ich mich gefragt habe, wozu es dazu ein Papier braucht? Vielleicht, damit man eine offizielle Handhabe hat, sollte es tatsächlich zu negativen Ereignissen kommen, die auch noch publik würden?
Haushalt fair aufteilen
Dann gab es den Punkt, über den ich mich tatsächlich etwas amüsiert habe, nämlich, dass Haushalts-, Pflege- und Betreuungsarbeiten partnerschaftlich bewältigt werden sollen. Vielleicht liegt das daran, dass es in meinem Freundeskreis mittlerweile gang und gäbe ist, dass der Mann nach der Geburt der Kinder einen Tag pro Woche zu Hause bleibt – auch wir haben das so gehandhabt. Vielleicht ist es für mich einfach selbstverständlich, dass ich zwar die Wäsche mache und mehr putze, dafür aber so gut wie nie kochen muss.
Ja, man kann die Gleichstellung der Geschlechter in einem Papier festschreiben, wenn man das möchte, schaden tut es sicher nichts. Offenbar hat Bio Suisse mit dem Papier ein Anliegen aus der eigenen Basis aufgenommen. Man kann sie festschreiben, aber man muss sie auch leben.
Frauen können es selten allen recht machen
Da gibt es immer noch viel zu tun. Ja, die Väter in meinem Freundeskreis arbeiten Teilzeit, aber höchstens 80 %, während die Frauen auf 50 bis 60 % reduziert haben. Ich will das gar nicht verurteilen, auch ich hatte diesen Wunsch, weil ich keine Kinder wollte, um dann ständig weg zu sein.
Und ja, auch ich habe schon den Satz gehört, ich hätte meine Karriere für die Kinder aufgegeben, genauso wie man mich bereits gefragt hat, wie sich denn drei Tage Büro mit zwei kleinen Kindern vereinbaren lassen würden.
Der anstrengende Mental Load
Ich kenne die Tatsache bestens, dass der sogenannte Mental Load («Mentale Last») grösstenteils an den Frauen hängen bleibt. Immer an alles denken, immer alles organisieren – das müssen vor allem sie. Geburtstagsgeschenke für das Gspänli kaufen, Kuchen für das Kindergartenfest backen, neue Kinderkleider besorgen, weil die alten schon nicht mehr passen, Anmeldung für die Tagesschule u. v. m. Mental Load ist stressig und wird weder bezahlt noch besonders bemerkt oder verdankt.
Die Bio-Suisse-Delegierten haben das Papier mit grosser Mehrheit angenommen – und zuvor per Antrag «Förderung» der Gleichstellung durch das Wort «Umsetzung» ersetzt.

