Fast täglich war Charlotte Hess-Stampfli, begleitet von Kater Leo, im April beim «Mausen» in den Wiesen bei ihren Hochstammobstbäumen anzutreffen. Daneben warten auf die Familienfrau, die Mutter eines Mädchens und eines Knaben im Alter von sieben und neun Jahren ist, zahlreiche Arbeiten im und ums Haus. Sie führt mit ihrem Mann Christof einen Hof mit Ackerbau und Mutterkuhhaltung mit Galloway-Rindern.

Der «Sonnenberghof», befindet sich Dorf auswärts im thurgauischen Märstetten. Bevor sie auf dem Sonnenberghof «sesshaft» geworden ist, habe sie ein «bewegtes» Leben geführt, erzählt Charlotte Hess-Stampfli, mit Reisen in ferne Länder. Oftmals konnte sie ihre Auslandsaufenthalte mit Arbeitseinsätzen verbinden. So nutzte sie etwa die Zeit in Norddeutschland als Gelegenheit, um als Fotojournalistin zu arbeiten.

Als Charlotte Hess-Stampfli 2014 ihren Mann Christof kennenlernte, studierte sie Psychologie und war zudem selbstständig als Marketing-Beraterin tätig. «Ich bin ein offener Mensch, aufgeschlossen und ein Freigeist. Manchmal traf ich früher spontane Entscheide, deren Konsequenzen ich mir erst nachträglich bewusst wurde», sagt sie.

«Learning by doing»

Dazu zählt sicher der Entscheid, 2014 den Landwirt Christof Hess-Stampfli kennenzulernen, der als Kandidat bei der Sendung «Bauer ledig, sucht» teilnahm. Damals ihrer spontanen Eingebung gefolgt zu sein, bezeichnet sie als eine glückliche Fügung.

Charlotte Hess-Stampfli wuchs in Neuenegg (BE) in einem nicht-bäuerlichen Elternhaus auf. In der unmittelbaren Nachbarschaft befanden sich mehrere Landwirtschaftsbetriebe, dadurch erhielt sie Einblick in die bäuerliche Kultur. Bäuerin zu werden, hätte sie sich jedoch damals nicht vorstellen können, der Beruf stand nicht in ihrer Lebensplanung.

Heute bestimmen der bäuerliche Haushalt und die Mithilfe auf dem Hof ihren Alltag. Die Feldarbeit erledigt grösstenteils ihr Mann Christof, sie hilft jedoch mit, wenn sie ihn damit entlasten kann. Die Kenntnisse bäuerlicher Tätigkeiten erwarb sie sich im Laufe der Jahre durch «learning by doing». Dazu gehört für sie der Umgang mit der Landtechnik, insbesondere im Bereich des Futter- und Obstbaus. «In ackerbaulichen Belangen würde ich mich gern stärker einbringen. Meist fehlt mir jedoch die Zeit, um mich vertieft mit der Materie auseinandersetzen zu können», meint sie.

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Breites Engagement

Sie möchte sich in naher Zukunft einen eigenen Betriebszweig aufbauen: Um diesem Ziel näherzukommen, besuchte Charlotte Hess-Stampfli 2023/24 die modulare Weiterbildung an der Bäuerinnenschule am Arenenberg. Bestärkt vom erfolgreichen Abschluss der Module meldete sie sich dieses Frühjahr beim SBLV für die Zulassung zum Erwerb des Fachausweises Bäuerin für Herbst 2025 an.

Sie hält es für wichtig, dass Bäuerinnen und Landfrauen und deren Leistungen in der breiten Bevölkerung noch «sichtbarer» werden. Als sie kürzlich erfuhr, dass der Thurgauer Landfrauenverband (TLFV) ein neues Vorstandsmitglied suchte, entschied sie sich nach einer Schnuppersitzung mit dem Vorstand, sich zur Wahl zu stellen – und wurde gewählt. «Ich engagiere mich gern, und der Zeitpunkt, mich in den TLFV-Vorstand wählen zu lassen, stimmt für meine Familie und mich», sagt Charlotte Hess-Stampfli zu ihrem Engagement. «Dass ich für die Ressorts Aktuariat und Kommunikation verantwortlich sein werde, stellt für mich eine neue, willkommene Herausforderung dar.» Sie räumt ein, sie habe viele, manchmal fast zu viele Ideen, auch bezüglich des Aufbaus eines eigenen Betriebszweigs.

Vermarktung ab Hof

Stets einen «Strauss» an Ideen zu haben, berge die Gefahr, sich zu verzetteln. Deshalb möchte sie in einem ersten Schritt ausschliesslich verschiedene Produkte aus Äpfeln produzieren und diese im eigenen Hofladen verkaufen. Das ganze Angebot des Hofladens soll ausnahmslos aus dem hofeigenen Obst und Gemüse stammen. Im Laufe der Zeit sollen dann verarbeitete Produkte aus dem Garten dazu kommen, wie Sauerkraut oder Eingelegtes.

Um den Wunsch nach einem eigenen Betriebszweig zu realisieren, sei jedoch die Umnutzung eines bereits bestehenden Gebäudes zu einem Produktions- und Verkaufsraum nötig. Diese Ausgangslage wählte Charlotte Hess-Stampfli zum Thema ihrer Arbeit für den Erwerb des Fachausweises Bäuerin. Mit der Realisierung der neuen Räumlichkeiten komme sie ihrer Vision ein Stück näher. Stark sei auch ihr Wunsch, die Menschen wieder zur Scholle zurückzubringen: «Die meisten Menschen sind weit entfernt von der Landwirtschaft. Deshalb möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, das Wissen über die Herkunft der Nahrungsmittel in die Bevölkerung zu tragen.»

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Diverse Biodiversitätsprojekte

Diesem Anliegen kommt sie als Agrarscout mit Auftritten an Publikumsmessen wie etwa an der Olma näher. Beim Spaziergang über den Hof, der nebst der Galloway-Herde von zwei Eseln, Hühnern und Katzen bevölkert wird, sagt Charlotte Hess-Stampfli, dass sie es als Privileg empfinde, Bäuerin sein zu dürfen. Diese Lebensform, so ist sie überzeugt, trage dazu bei, vielleicht ein Stück weit resilienter, also belastbarer, zu sein.

Ihr sei es deshalb wichtig, der Natur etwas zurückzugeben und einen Beitrag zur Biodiversität zu leisten: Sei es durch das Anlegen von Buntbrachen und Blühstreifen, oder mit dem Einsatz für den Erhalt von Habitatbäumen. Charlotte Hess-Stampfli räumt ein, dass sie sich ihrem Mann gegenüber durchsetzen müsse, wenn es ihr darum gehe, kleine Flächen für ihre Biodiversitätsprojekte «abzuringen». Er sei eher der Ansicht, dass produktive Flächen für die Lebensmittelproduktion genutzt werden sollen. Das erfordere gelegentlich Überzeugungsarbeit. Wenn ihre Projekte etwa die erfolgreiche Wiederansiedlung von Hermelin, Turmfalke und Schleiereule bewirken, überzeugt sie damit auch ihren Mann.

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Fünf Fragen
 
Was können Sie besonders gut?
Ich bin gut im Organisieren, wobei es sicher hilfreich ist, dass ich ein kreativer Kopf bin. So mag ich es, meine Kreativität in Lösungen und Ideen für alltägliche Herausforderungen einfliessen zu lassen.

Welchen Traum möchten Sie verwirklichen?
Ich möchte, dass unser Hof zu einem Begegnungsort wird, wo Natur und Landwirtschaft für alle – im wörtlichen Sinn – begreifbar werden.

Wie belohnen Sie sich selbst?
Ich schaffe mir kleine Auszeiten, indem ich mit dem Fotoapparat in der Natur auf Motivsuche gehe. Ein Wellnesswochenende, nur für mich allein, ist schon lange angedacht.

Welches Kompliment freut Sie besonders?
Es freut mich, wenn ich positive Rückmeldungen zur naturnah gestalteten Umgebung unseres Hofes erhalte.

Wohin möchten Sie (noch) einmal reisen?
Ich würde gern einmal nach Japan reisen. Momentan bin ich zufrieden, wenn ich mit meinen Kindern einmal im Jahr in der Schweiz, oder im angrenzenden Ausland ein bis zwei Wochen Ferien verbringen kann.