Leonie hat im Kindergarten Zmittag gegessen und geht ungern zum Mittagsschlaf nach oben. Die dreijährige Lara hingegen hat sich zuvor problemlos ins Bett bringen lassen. Corinne Röthlisberger gönnt sich eine kurze Pause zum Runterfahren. «Ich freue sich auf den Sommer», erzählt die 32-Jährige strahlend.
Auf der Suche nach einer zweiten Fachperson
Der Lehrvertrag mit der Lernenden ist unterschrieben und Corinne Röthlisberger ist gespannt auf die junge Frau, die sie im vergangenen Jahr schon oft in den Ferien unterstützt hat. Auch die ausgeschriebenen Einsatzwochen über Caritas Berghilfe sind schon fast ausgebucht. Zudem hilft ihr eine gelernte Kleinkindererzieherin in einem Teilzeitpensum, jeweils die Einarbeitung der Helfer(innen) von der Berghilfe zu bewerkstelligen. Auch einen Praktikanten, der im Sommer die Ausbildung als Demeter-Landwirt beginnt, hat sie verpflichten dürfen. Offen ist die Praktikumsstelle für den Frühsommer «und leider auch die Stelle als Bereichsleiterin Milchwirtschaft».
Betriebsspiegel
Ort: Ganterschwil SG, Bergzone I
Betriebstyp: biodynamisch
LN: 14,3 ha
Kulturen: Hochstamm-Obst, Gemüse, Kräuter und Beeren
Tierhaltung: 16 Milchkühe plus Aufzucht und 1 Stier; 4 Gänse, 4 Enten
Milchmenge: 70'000 l Demeter-Käsereimilch für die Swiss Cheese Factory in Ganterschwil, ca. 1500 l werden auf dem Hof zu Joghurt, Quark und Glace verarbeitet.
Eine zweite Fachperson würde ihr eine erhöhte Marktpräsenz und vor allem einen zweiten Ausbildungsplatz ermöglichen. So hat sie in den vergangenen Wochen bereits vier Anfragen von potenziellen Lehrlingen auf diesen Sommer und mindestens so viele auf den Sommer 2024 vertrösten müssen. «Deshalb ist eine zweite Fachperson unabdingbar», präzisiert die Betriebsleiterin, und sie müsse alles unternehmen, um diese Stelle möglichst rasch besetzen zu können. Mit den jungen Menschen, die als Landdienstler mitarbeiten, mache sie meist sehr gute Erfahrungen. In der Verarbeitung, im Garten sowie im Stall und im Haushalt seien Kurzeinsätze auch von ungeschultem Personal sehr hilfreich.
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Seit der Betrieb Demeter-zertifiziert ist, kriegt Röthlisberger oft Anfragen von Steinerschulen aus Deutschland und der Schweiz, die Schülerinnen und Schüler für Arbeitseinsätze stellen.
«Ausser bei Maschinenarbeiten und beim Melken kann ich diese jungen Menschen überall einsetzen.»
Corinne Röthlisberger zu den Arbeitseinsätzen von Praktikanten
Auf den Sozialen Medien ist die junge Frau aktiv. Sie führt Diskussionen über eine nachhaltige Landwirtschaft, gesunde Ernährung, faire Arbeitsbedingungen und selbstverständlich sucht sie auch auf diesem Weg Personal für ihren Betrieb.
Keine einfache Zeit nach der Scheidung
Dass sie den 14 ha grossen Betrieb in der Bergzone I einmal alleine leiten würde, hätte sie sich vor fünf Jahren nicht vorstellen können. Und trotzdem kam es so, nur zweieinhalb Jahre nach dem Umzug auf den Hof. Die studierte Umweltingenieurin und der Landwirt kannten sich bereits zehn Jahre, als sie 2017 heirateten. Im gleichen Jahr kam Leonie zur Welt und ein Jahr später kauften sie den Biohof im Toggenburg. Als im Jahr 2020 Lara geboren wurde, hatte sich das Paar bereits getrennt, heute sind die beiden geschieden.
«Unsere unterschiedlichen Auffassungen der Betriebsführung, unsere Ideen und Herangehensweisen gingen so frappant auseinander, dass wir uns trotz der Hilfe von aussen keine gemeinsame Zukunft mehr vorstellen konnten.»
Corinne Röthlisberger zu den Hintergründen der Scheidung
So zogen sie einen Schlussstrich unter ihre Ehe, auch wenn sie wusste, dass dies kein Sonntagsspaziergang werden würde. Besonders finanziell war es schwierig, erzählt Röthlisberger. Ein Tilgungsaufschub bei der Bürgschaft, ein Zinszahlungsstopp und Tilgungsverlängerungen bei den privaten Geldgebern haben ihr Luft verschafft.
Unterstützung von Familie und Bekannten
Heute schaut sie dankbar zurück, wie viel Hilfe sie als alleinige Betriebsleiterin empfangen durfte. Ihre Familie und der Bekanntenkreis verhalfen mit einem grossen finanziellen Zustupf zu einem Occasion-Heukran. Viele Freunde packten eigenhändig an, wenn grosse Arbeiten bevorstanden. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen lässt sie Güllearbeiten im Lohn erledigen und bei der Heuernte helfen Landwirte aus der Umgebung, da sie alleine nicht zwei Maschinen gleichzeitig bedienen kann.
So weit so gut, könnte man meinen. Doch Corinne Röthlisberger hat grosse Pläne, stehen bleiben geht nicht. Sie plant, einen neuen Laufstall für ihre «Wiesendamen» zu bauen. «Das muss einfach sein, damit es den 17 Tieren wohl ist und ich im Winter notfalls den Stall auf längere Dauer, nebst den Kindern, selbst stemmen kann.»
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Offen für neue Absatzkanäle
Der Permakulturgarten bleibt vorerst in dieser Grösse. Im Moment sucht sie noch zusätzliche Absatzkanäle, auch für ihre Glace. Wenn sie von ihren Visionen spricht, spürt man, dass es ihr um die Stärkung des Ganzen geht. Boden, Pflanze, Tier und Mensch werden als Teil eines grossen Kreislaufes gesehen, in dem alle aufeinander angewiesen sind und sich gegenseitig unterstützen. Sie will Nützlinge fördern und mit natürlichen Rhythmen arbeiten, Landwirtschaft als soziale Kulturaufgabe verstehen und mitgestalten.
Die Betriebsleiterin denkt und spricht schnell und sagt selbstsicher: «Ich vertraue darauf, auf dem richtigen Weg zu sein.» Dass sie mit ihrer Vision bei den Bauern im unteren Toggenburg auch hin und wieder missverstanden wird, kann sie nachvollziehen. Die Betriebsleiterin lächelt.
«Ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr Visionen für eine bessere Welt und setze mich jeden Tag dafür ein.»
Corinne Röthlisberger hat viele Visionen
Viel Zeit verbrachte sie als Kind auf dem Bauernhof ihrer Grosseltern und als es um die Berufswahl ging und der Lehrer sie gerne in der Kanti gesehen hätte, begann sie eine Lehre als Landschaftsgärtnerin in einem konventionellen Betrieb.
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Für eine Lehrertätigkeit fehlt die Zeit
Nach der Lehre wechselte sie in den Naturgartenbau, holte die Berufsmaturität nach und studierte anschliessend Umweltingenieurin mit Vertiefung Biologische Landwirtschaft und Hortikultur an der ZHAW in Wädenswil. Die Frage, ob sie sich auch als Lehrperson an einer landwirtschaftlichen Schule vorstellen könnte, kommt für sie nicht unerwartet. «Natürlich könnte ich mir dies vorstellen, doch solange ich keinen Bereichsleiter, keine Bereichsleiterin Milchwirtschaft und einen Anbindestall habe, fehlt mir die Kapazität.»