Auf Zick-Zack-Kurs, aber immer am gleichen Ort, so könnte man die Laufbahn von Hans Ramseier, Dozent für Pflanzenschutz und Ökologischen Ausgleich an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) im bernischen Zollikofen, zusammenfassen. «Ich habe ja eine ganz komische Karriere gemacht», so sagt er es selber.
Vor vierzig Jahren hat er sein Studium am Schweizerischen Landwirtschaftlichen Technikum, wie die HAFL damals hiess, begonnen. «Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich mich in Wirtschaft oder Pflanzenbau vertiefen will, wählte dann aber Wirtschaft.» Die Diplomarbeit jedoch machte er über Nutztiere und eingestiegen ist er als Assistent im Ackerbau, Futterbau und Pflanzenschutz. Später engagierte er sich bei Projekten in Osteuropa. «Und so bin ich plötzlich im Internationalen gelandet». Bis er dann 2004 seine jetzige Stelle antrat.
Seine Laufbahn ist vielleicht bezeichnend für ihn. «Für mich ist die Landwirtschaft eine gesamtheitliche Sache, ich finde es eigentlich schlecht, wenn man so segmentiert», sagt er. Hans Ramseier hatte seinen Kopf, aber auch sein Herz an der HAFL. Für seine «Studis» hatte er stets ein offenes Ohr.
Sie sind Dozent für Pflanzenschutz und ökologischen Ausgleich. Viele betrachten das als Gegensatz. Soviel ich weiss, sehen Sie das etwas anders oder?
Ich sehe es wirklich total anders! (lacht) Für mich war das ganze Anbausystem immer wichtig, das Agro-Öko-System. Aber es stimmt, dass ich mir oft anhören musste, dass Pflanzenschutz und ökologischer Ausgleich etwas total Gegensätzliches sind. Das ist auch ein Erbe aus den 50er- bis 70er-Jahren, wo man sehr analytisch vorgegangen ist. Damals ging es darum, eine Krankheit zu erkennen, zu bestimmen und nachher das wirksamste Mittel zu finden. Ende. Das war nie mein Ansatz. Ich hatte in der Landwirtschaftsschule einen ganz guten Bodenkundelehrer, der mir glaubhaft rüberbringen konnte, dass der Boden das wichtigste Gut ist, zu dem wir schauen müssen.
Als ich anschliessend zum Thema forschte, hat sich das bestätigt: Es ist entscheidend, ob man Pflanzenschutzmittel einsetzt oder nicht und auch welche. Mit jedem direkten Eingriff in ein Agro-Öko-System löst man unerwünschte Nebenwirkungen aus und je krasser der Eingriff ist, desto mehr geht kaputt. Darum habe ich ökologischen Ausgleich und Pflanzenschutz immer zusammen gesehen. Der ökologische Ausgleich ist ein wichtiger Teil vom Pflanzenschutz, und zwar nicht vom rein chemischen. Für mich ist Pflanzenschutz nicht gleichbedeutend damit, einfach Pflanzenschutzmittel zu spritzen. Ich verstehe Pflanzenschutz etwas ganzheitlicher.
Bei den Studierenden sind Sie bekannt für Ihre Versuche im Unterricht, ob das Setzen nach dem Mondkalender erfolgreicher ist. Was ist der Stand der Dinge heute?
Ja, das habe ich jedes Jahr gemacht mit den «Studis». Mit einer einzigen Ausnahme hat es immer zugetroffen. Immer. Es gab auch Studierendenarbeiten dazu, wo es sich bestätigt hat. Aber man muss die Resultate in einen grösseren Ramen stellen: Wenn man unbedingt im Früchtetrigon Weizen säen will, weil es dann nach Maria Thun die besten Erträge gibt, aber vor der Saat kommt der Regen und man schmiert den Weizen in den Boden ein, dann hat man ganz bestimmt ein schlechteres Resultat.
Auch hier ist das Systemdenken wichtig: Es ist ein Faktor und wenn es gerade geht: Warum soll man es nicht mitnehmen? Alle biodynamischen Bauern, die ich kennengelernt habe, sind extrem gute Beobachter und sie denken ganzheitlich. Das ist entscheidend. Es geht nicht um die Einzelpflanze, sondern ums ganze System. Wir machen seit ein paar Jahren Homöopathie-Versuche mit Pflanzen. Das sind höchst spannende Resultate! Hier ist es ähnlich.
Was hat man denn bis jetzt dabei herausgefunden?
Es geht ganz sicher etwas ab in der Pflanze, das ist aus meiner Sicht wissenschaftlich erhärtet, aber wir stehen noch ganz am Anfang. Wir haben die Gehalte von zum Beispiel Kalium im Pflanzensaft der jungen und alten Blätter gemessen. Dort gibt es zum Teil grosse Unterschiede zwischen den Verfahren. Man kann nicht jedes Problem lösen mit Homöopathie. Es gibt sehr viele Präparate und die Abfolge dieser Präparate ist entscheidend. Man muss zur richtigen Zeit das richtige Präparat spritzen.
Wer auf Hans Ramseier folgt
Ende Februar wird Hans Ramseier pensioniert, bleibt aber in einem 20 %-Pensum an der HAFL. Seine Aufgaben übernehmen Fabio Mascher als Dozent Pflanzenschutz, Dominik Füglistaller als Dozent ökologischer Ausgleich und Irene Vonlanthen als Verantwortliche fürs Vorstudienpraktikum.
Was Sie auch auszeichnet, ist, dass Sie immer sehr viel Kontakte zur Praxis, mit Bauern/Bäuerinnen gehabt haben.
Ja, das war mir immer sehr, sehr wichtig. Nicht dass du in deinem «Kämmerli» etwas forschst und nicht merkst, was eigentlich Praxis ist. Das ist sicher auch deshalb, weil wir an der Hochschule selber fast keine Versuchsflächen hatten. Das hat mich gezwungen. Aber grundsätzlich ist mir die Zusammenarbeit mit den Bauern sowieso extrem wichtig. Das war für mich wirklich auch eine Ideenquelle und ein Filter. Du kannst nicht etwas im Büro planen und auf einer Kleinstfläche testen und nachher denken, alle Bauern machen das dann so und es ist gut.
Den Bauern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, muss ich wirklich ein Kränzchen winden, dass sie auch zum Teil hohe Risiken eingegangen sind. Es ist nicht alles gut gekommen, was ich draussen gemacht habe! Aber alle haben dann auch mitgeholfen und mitgedacht, wie man es anders und besser machen könnte. Dieser Praxisblick ist wirklich Gold wert. So forscht man nicht an irgendetwas vorbei, das gar keine Chance auf eine Umsetzung hat bei den Landwirten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Landwirtschaft?
Ich würde mir schon wünschen, dass den Bauern und Bäuerinnen etwas mehr Respekt entgegengebracht wird und ab und zu ein «Merci». Sie werden ja sehr viel kritisiert, gerade in den letzten paar Jahren. Das stört mich. Sie sind es, die unsere Lebensmittel herstellen und Lebensmittel, wie es der Begriff schon sagt, brauchen wir zum Leben.
Ein anderer grosser Wunsch geht an die Konsumierenden. Wir können alle mitwirken und in einem gewissen Mass mitbestimmen, wie die Landwirtschaft aussehen soll. Alles schreit nach umweltfreundlichem Anbau, aber offenbar sind die Konsumierenden nicht bereit, einen entsprechenden Preis zu zahlen. Der durchschnittliche Konsument gibt im Moment nur noch etwa 6,5 % seines Lohnes für Nahrungsmittel und Getränke aus. Wenn er 8 % ausgeben würde, könnten wir eine ganz andere Landwirtschaft machen.
Und was natürlich schon auch ein Wunsch ist, wäre, dass die Politik nicht mehr so oft wechselt. Das ist ja schon krass: Alle 4 Jahre kommt eine neue Agrarpolitik. Es ist mir manchmal so ergangen, dass ich überlegen musste, grad beim ökologischen Ausgleich, was nun eigentlich gilt.
Was sehen Sie für Chancen in der Zukunft für die Schweizer Landwirtschaft?
Wir haben schon noch sehr viel Potenzial, wo wir den bestehenden Problemen etwas entgegensetzen können. Zum Beispiel bei der Digitalisierung. Wir haben zum Beispiel gerade ein Projekt gestartet für die Anwendung eines Pollenmessgerätes, das Krautfäule und andere Pflanzenkrankheiten fortlaufend in der Luft messen kann, analog einem Pollen-Messgerät. Da verspreche ich mir schon sehr viel davon. So könnten neue verlässliche Modelle entwickelt werden zur gezielten Behandlung von Krautfäule. Auch bei der Digitalisierung in der Düngung oder bezüglich Boden gibt es denke ich sehr viel Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft ist.
Ich bin nach wie vor ein Fan von gemischten Familienbetrieben. Dort ist die Schweiz einfach noch super muss ich sagen. Die Spezialisierung in der Schweiz hat zwar in den letzten 20 Jahren stark zugenommen, aber wir haben nach wie vor eine gute Grundlage von gemischten Familienbetrieben. Kreislaufdenken, geschlossene oder halbgeschlossene Systeme: Das ist immer viel besser als ein offenes System.[IMG 2]
Nach wie vor ein guter Ansatz ist der integrierte Anbau, wo vorbeugende Massnahmen mit Fruchtfolge, Sortenwahl und Düngung ausgeschöpft werden, sodass man gar nicht direkt eingreifen muss. Oder Bio, wobei es etwas deprimierend für mich ist, dass der Konsument offenbar nicht bereit ist, den nötigen Mehrpreis zu zahlen. Aber auch da gibt es hoffnungsvolle Ansätze wie zum Beispiel die Berner Biooffensive, neu heisst es «Bern ist Bio», die auf der Seite Absatz und Vermarktung ansetzt.
Wo ganz sicher noch Handlugsbedarf besteht ist in Sachen Food Waste und Food Loss. Es kann nicht sein, dass ein Drittel der produzierten Nahrung nicht auf dem Teller landet. Das geht nicht!
Für mich vielversprechende Ansätze sind auch Permakultur und regenerative Landwirtschaft.
Sie hatten viele Projekte in den Ostländern, vor allem in der Ukraine. Wie war es für Sie, als der Krieg ausbrach?
Das hat mich emotional recht gefordert. Das Land wurde so etwas wie meine zweite Heimat. Die Ukrainer als Volk konnten sich nie entfalten. Zuerst wurden sie von den Zaren unterdrückt. Danach kam Stalin, der sie verhungern liess. Dann kam der 2. Weltkrieg, wo sie ständig auf den «Gring» bekamen. Und jetzt waren sie endlich frei und haben angefangen, sich eine Heimat aufzubauen. Ukrainer, die ich kannte, sagten häufig, als ich dort war: «Wir sind noch wie ein Kind, wir sind am Lernen und Wachsen».
Und ja, jetzt ist der Krieg gekommen. Einerseits ist da der materielle Verlust. Das erste Hochhaus in Kiew, das bombardiert wurde, kannte ich. Darin hatte es ein «Beizli», wo ich oft Nachtessen ging mit den Leuten, die ich in Kiew kannte, bevor ich zurück in die Schweiz flog. Andererseits lernte dort natürlich sehr viele Menschen kennen, mit denen ich jetzt noch in Kontakt bin. Es geht jetzt einfach sehr viel den Bach runter, sehr viel, das sie aufgebaut haben. Im Moment geht es ihnen ganz schlecht. Aber, was ich auch sagen muss: Die Haltung der Menschen ist eindrücklich. Junge Leute, die einfach sagen «wir verteidigen unsere Heimat bis aufs Blut und mit dem Tod». Es wäre schon wahnsinnig spannend, zu wissen, ob wir unsere Heimat auch so verteidigen würden. Da bin ich mir nicht sicher.
Gibt es ein Student oder eine Studentin, der oder die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Es gibt nicht nur eine oder einer, es gibt viele, die mir geblieben sind! Die «Studis» waren für mich sehr wichtig, als Mensch und als Student. Es freut mich, dass sie auch mal gekommen sind, wenn es um eine persönliche Frage ging, zum Beispiel «Soll ich jetzt heiraten oder nicht?» oder «Soll ich jetzt Kinder haben oder zuerst fertig studieren?».
Was war Ihre Antwort?
Also bei den Kindern sagte ich schon «Nein, nein, jetzt machst Du zuerst das Studium fertig, mit 23 kannst Du gut noch etwas warten». Viel ist mir auch geblieben von den Abschlussreisen, da war ich relativ viel unterwegs mit ihnen. Das sind Erlebnisse, an die ich heute noch gerne zurückdenke.
[IMG 3]
Wo war der Ort an der HAFL wo Sie sich wohl gefühlt haben?
Ich bin nie der Büromensch gewesen. Ich konnte schon mal ein paar Tage pickelhart im Büro bleiben wenn es zum Beispiel darum ging, eine Projekteingabe vorzubereiten. Aber sonst musste ich raus. Zwischendurch musste ich Erde in die Finger nehmen den Boden riechen und schauen, wie es surrt und macht, das war für mich extrem wichtig.
Auf was freuen Sie sich im neuen Lebensabschnitt, der jetzt kommt?
Ich freue mich schon darauf, mal runterzufahren. Es war eine intensive Zeit, gerade in den letzten Jahren. Das Team ist stark gewachsen. Und dann noch das machen, was mir Spass macht. Ich bleibe noch 20 Prozent an der HAFL. Auf das freue ich mich schon auch.
Symposium Pflanzenschutz
Am 15. Februar 2023, 13.30 bis 17.30 Uhr, findet an der HAFL in Zollikofen BE ein Symposium zur Pensionierung von Hans Ramseier statt.
Die Themen:
• Pflanzenschutz – Politisches Umfeld als Taktgeber
• Berner Pflanzenschutzprojekt – Was wurde erreicht?
• Biologischer Pflanzenschutz – Noch viel schlummerndes Potenzial
• Erfolgreicher Rapsanbau – Läuft uns die Zeit davon?
• Mit permanent bedeckten Böden Herausforderungen meistern
• Neue Technologien – Ein wichtiger Beitrag zur Reduktion des PSM-Einsatzes
Hans Ramseier selber referiert zum Thema «40 Jahre Lehre und angewandte Forschung – Ein paar Herausforderungen bleiben».
Kosten: 75 Franken. Eine Anmeldung ist immer noch möglich. Auf der Website der HAFL unter diesem Link erfahren Sie mehr.
