Die beschauliche Toggenburger Ortschaft Nesslau liegt eingebettet zwischen hohen Bergen, den Churfirsten und dem Säntismassiv. Bekannt ist das Dorf für ganz verschiedene Dinge, so liegt etwa der geografische Mittelpunkt des Kantons St. Gallen auf dem Gemeindegebiet und mit Jörg Abderhalden und Arnold Forrer wohnen gleich zwei Schwingerkönige in der Gemeinde.

Aber auch aus landwirtschaftlicher Sicht ist Nesslau interessant: Auf rund 3600 Einwohnerinnen und Einwohner kommen nicht weniger als 140 direktzahlungsberechtigte Ganzjahresbetriebe und 77 Sömmerungsbetriebe. Nesslau ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Bauerndorf.

Bäuerliche Traditionen prägen das Zusammenleben

Abo Nesslauer Landwirte «Dass wir diese Traditionen alle gemeinsam leben, schafft eine grosse Verbundenheit» Monday, 29. August 2022 Aus diesem Grund hat die BauernZeitung Kilian Looser getroffen. Looser ist Gemeindepräsident von Nesslau und gleichzeitig Leiter des Landwirtschaftsamtes der Gemeinde – für eine landwirtschaftliche Zeitung also genau der richtige Gesprächspartner.

«Die Landwirtschaft ist ein ganz wichtiger und historisch gewachsener Teil unseres Dorfes», setzt Looser gleich zu Beginn des Gesprächs an. So würden die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung und die Nesslauer Bauern nicht nebeneinander, sondern wirklich miteinander leben. Viele Traditionen wie etwa das «Öberefahre», so wird die Alpfahrt im Toggenburg und im Appenzellerland genannt, die grosse und gut besuchte Viehschau Anfang Oktober oder die vielen Jodelchöre brächten das zum Ausdruck. Gerade die Jodlerchöre hätten einen sehr guten Zulauf, bestätigt Looser.

«Die Mischung in unserer Bevölkerung funktioniert sehr gut; bei uns schaut man noch zueinander und pflegt einen guten Umgang. Die landwirtschaftlichen Traditionen verbinden und wir leben das Ganze modern, das hat nichts Rückwärtsgewandtes oder gar Verbohrtes an sich», stellt der Gemeindepräsident klar.

«Es hat alles, was es braucht»

Der allergrösste Teil der ortsansässigen Bauern betreibt Milchwirtschaft. In der aus den Dörfern Nesslau, Neu St. Johann, Krummenau, Ennetbühl und Stein bestehenden Gemeinde liegen die Betriebe allesamt in der Bergzone. Prägend ist folglich die Alpwirtschaft, die auf drei Stufen ausgelegt ist: Im Frühsommer ziehen die Tiere von den Heimbetrieben zuerst auf eine Voralp und dann auf eine Hochalp, im Spätsommer geht es den gleichen Weg zurück.

Die bäuerlichen Traditionen verbinden die Bevölkerung von Nesslau.

Kilian Looser, Gemeindepräsident von Nesslau.

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Die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde und den Bauern funktioniere gut, berichtet Kilian Looser. Dazu seien die Bedingungen optimal: «Es hat hier eigentlich alles, was es zum ‹Bauern› braucht.» Obwohl die Bauern in Nesslau zufrieden seien, gebe es Dinge, die sie beschäftigten: «Eine grundsätzliche Herausforderung liegt sicher in den stetig zunehmenden Ansprüchen und Vorschriften», weiss Loser. So böten etwa die Direktzahlungsverordnungen, das Schleppschlauch-Obligatorium oder die Auflagen zur Landschaftsqualität und Vernetzung immer wieder Stoff für Diskussionen. Um die Bauern in diesem Punkt zu unterstützen, habe die Gemeinde ein Naturschutzbüro beauftragt.

Obwohl das Leben in Nesslau einen geruhsamen Gang geht, gehört auch die Veränderung dazu. So habe etwa die Mutterkuhhaltung in den letzten Jahren vereinzelt Einzug gehalten, erzählt Kilian Looser: «Es sind vor allem jüngere Landwirte, die bei der Betriebsübernahme auf Mutterkuhhaltung umstellen und nebenbei auswärts arbeiten.»

Einige wenige Landwirte würden zurzeit auch Versuche für Gemüse- und Ackerbau vorantreiben, berichtet Looser. Man wolle herausfinden, welche Kulturen und welche Sorten unter den hiesigen Gegebenheiten funktionierten.

Mehrere Verarbeiter sind am Ort

Die Produkte, die die Nesslauer Bauern produzieren, werden zu einem Teil gleich am Ort verarbeitet und vermarktet. Zwei Metzgereien schlachten noch im Haus und schreiben an ihren Verkaufstheken an, von welchem Betrieb das Fleisch stammt. Und das Mehl aus dem «Toggenburger Bergweizen» verarbeiten die beiden Nesslauer Bäcker zu Backspezialitäten wie dem Toggenburger Mandelfisch.

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Das wichtigste landwirtschaftliche Erzeugnis in Nesslau ist und bleibt aber natürlich die Milch. Die anfallende Industriemilch wird von verschiedenen Verarbeitern abgeholt, daneben wird aber auch in Nesslau viel Milch ver-arbeitet. Im Dorf gibt es eine Appenzeller-Käserei und in Neu St. Johann, das ebenfalls zu Nesslau gehört, wird die Milch zu Tilsiter verarbeitet. Zusätzlich werde auch auf der nahegelegenen Schwägalp Nesslauer Milch verkäst, vervollständigt Kilian Looser die Liste der nachgelagerten Betriebe.

Starke Nesslauer Viehzucht

Abo Nesslauer Landwirte «Wir spüren im Moment noch wenig vom Rückgang der Betriebszahlen» Monday, 29. August 2022 «Eine grosse Stärke unserer Bauern ist die Viehzucht», sagt Kilian Looser mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Die Zucht habe einen entsprechend hohen Stellenwert, woraus sich unter den örtlichen Züchtern fast eine Art Wettbewerb ergebe, meint Looser. «Am Ende sind sie aber alle gegenseitig stolz auf ihre Erfolge», fügt er schmunzelnd an.

Entsprechend stolz zeigen die Nesslauer Züchter ihre Tiere auch an der Nesslauer Viehschau, die immer am ersten Mittwoch im Oktober stattfindet. Über 1000 Tiere werden jeweils aufgeführt. Um aus so vielen Tieren die besten auszuwählen, seien viele Vorselektionen nötig, dafür sehe man am Ende eine sehr hohe Qualität, berichtet Looser.

Entsprechend gross ist auch das Interesse des teilweise von weither angereisten Publikums. Wenn Kilian Looser von der Viehschau spricht, gerät er fast ein wenig ins Schwärmen: «Die Viehschau ist ein sehr traditioneller Anlass, zu dem etwa das sennische Auftreten, Schellenkühe, Jodelgesänge und so weiter gehören. So wird der Anlass jeweils zu einem Volksfest, bei dem Jung und Alt gemeinsam ‹auf die Piste› gehen.»

Natürliche Bodenständigkeit

Im Lauf des Gesprächs mit Kilian Loser fallen mehrfach die Worte «Bodenständigkeit» und «Bodenhaftung». Hat der Gemeindepräsident eine Erklärung dafür, dass die Einwohnerinnen und Einwohner seiner Gemeinde diese nicht so schnell verlieren? «Ich habe Erklärungsansätze», meint er und lacht. Vieles sei historisch gewachsen, erzählt er dann. Man habe im Toggenburg immer hart arbeiten müssen und sei deshalb mit wenig zufrieden. Die fast 80 Vereine in Nesslau trügen sicherlich ihren Teil zum guten Zusammenhalt in der Gemeinde bei, ergänzt Looser und weist erneut auf die wichtige Rolle der bäuerlichen Traditionen hin. Letzten Endes liege es aber einfach auch an den Nesslauerinnen und Nesslauern.