«Etwas vom Schönsten ist für uns das ‹Öberefahre›», antworten Ralf und Maya Tischhauser auf die Frage nach ihrer liebsten Nesslauer Tradition. Gemeinsam führen die Eltern von vier Söhnen einen Milchbetrieb hoch oben über dem Dorf. Wie im Toggenburg üblich, betreiben auch Tischhausers ihren Betrieb auf drei Stufen. Jedes Frühjahr ziehen sie von ihrem Heimbetrieb zuerst für ein paar Wochen auf die Seebenalp und dann weiter auf eine Hochalp, wo sie die heissesten drei Sommermonate verbringen.
Lebendige Traditionen verbinden
Das «Öberefahre» – so nennt man die Alpfahrt im Toggenburg und im Appenzellerland – begehen Tischhausers gemeinsam mit der Familie und Freunden; es sei für sie jeweils fast so etwas wie ein Feiertag, sagen die beiden. «Das Ganze bedeutet natürlich viel Arbeit, aber wir machen es alle ‹cheiben gern› und immer ganz traditionell mit allem, was dazugehört. Natürlich ‹montieren› wir dann alle unsere Tracht, auch die Kleinsten», schwärmt Ralf Tischhauser, während sein anderthalbjähriger Sohn zufrieden in der Sonne spielt.
Ein weiteres bedeutendes Ereignis im Kalender der Nesslauer Bauern ist die grosse örtliche Viehschau im Oktober. Auch an diesem Anlass wird Tradition gross geschrieben. Auf keinen Fall fehlen dürfen dabei die Jodelgesänge der verschiedenen örtlichen Jodlerchöre. Auch Ralf Tischhauser ist Mitglied in einem Jodelclub und fährt einmal in der Woche hinunter nach Ennetbühl zur Probe. «Dass wir diese Traditionen alle gemeinsam leben, schafft eine grosse Verbundenheit», ist sich Tischhauser sicher.
Diese Verbundenheit unter den Nesslauer Bauern beschränke sich aber nicht nur auf das Jodeln und die Alpfahrt, sie bestehe auch im Alltag, erzählt Tischhauser. «Der Austausch und der Zusammenhalt untereinander, das ist hier schon sehr schön», hält er fest. So würden sich manche Bauern etwa das landwirtschaftliche «Gschirr» teilen, also Maschinen wie Mistkräne, Viehwagen und Ähnliches.
Ganz grundsätzlich unterstütze man sich immer tatkräftig, wenn Not am Mann sei, fährt Tischhauser fort: «Man hilft einander bei Arbeiten, die einer allein nur schwer ausführen könnte, und das beruht wirklich auf Gegenseitigkeit. Wenn einer Hilfe braucht, kommen die anderen sofort und packen mit an. Und nach getaner Arbeit trinkt man zusammen ein Bierchen.»
Begehrte Blüem- und Gurt-Kühe
Wie bei den allermeisten Toggenburger Bauern hat das Vieh auch bei Ralf Tischhauser einen hohen Stellenwert, der weit über die blosse Milchproduktion hinausgeht. Er hält rund 30 Kühe der Rassen Brown Swiss und Original Braune und zirka 20 Stück Jungvieh. Im Winter wird ein OB-Stier in seiner Herde gehalten; Tischhauser will durch dieses «Rückkreuzen» Kühe züchten, die optimal an die hiesigen Verhältnisse angepasst sind. «Hochleistungskühe lassen sich mit unseren Böden schlicht nicht füttern, jedes Kilo Kraftfutter müssen wir zukaufen.»
Ralf Tischhauser hat es geschafft, dass seine Kühe regel-mässig Blüem-Kälber zur Welt bringen. «Ich hatte während drei, vier Jahren einen Blüem-Stier und konnte die Eigenschaft so in meiner Zucht verankern. Es klappt nicht immer, aber ich habe jedes Jahr fünf, sechs Blüem-Kälber», sagt er. Diese Tiere seien bei Liebhabern gefragt, vor allem die Kälber.
Welcher Stall soll es dereinst sein?
Die Familie Tischhauser wirkt zufrieden und gut eingerichtet mit ihrem Betrieb und ihrem Leben in Nesslau. Trotzdem gibt es einige Dinge, die sie beschäftigen. So muss etwa bald ein neuer Stall gebaut werden und die Frage nach der Haltungsform drängt sich auf. «Mir sagt der Anbindestall schon zu, die Tiere sind ruhiger und zutraulicher», meint Ralf Tischhauser. «Zudem sind unsere Alpen so eingerichtet. Um letztlich auf allen drei Stufen Laufställe zu bauen, reichen wohl weder die Finanzen noch der Platz», meint er und fügt sogleich an, dass man auf dem Heimbetrieb dereinst wohl einen Laufstall werde bauen müssen: «Wir sehen die Vorteile dieses Systems schon auch und werden beim Stallbau wohl einfach mit der Zeit gehen.»

