Agrotourismus ist unbestritten eine Branche, die von der letzten «kranken» Zeit profitiert hat und hoffentlich auch langfristig profitieren wird. Die Schweizerinnen und Schweizer suchen wieder mehr Nähe, mehr Natur, mehr Schweiz. Alles in allem eine schöne Entwicklung. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Halbwertszeit der Swissness nicht nur von kurzer Dauer ist. Aber ja, wir leben jetzt und wir müssen jetzt das Beste daraus machen.
Fast jeder ist ein Landwirtschaftsexperte
Eigentlich ist es ja gar nicht kompliziert. Eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wünscht sich eine intakte Natur, schöne Bergblumen, herzige, freilaufende Wölfe, genügend nachhaltige Lebensmittel, eine hohe Ernährungssicherheit und dies alles für möglichst wenig Geld. Und fast jeder ist ein Landwirtschaftsexperte und weiss, wie dies erreicht werden kann. Initiativen werden lanciert, es gibt Gegenvorschläge, das Volk lehnt ab, neue Initiativen werden lanciert usw.
Bald kommt die Massentierhaltungs-Initiative zur Abstimmung. Die nächsten Volksbegehren mit einer ähnlichen Stossrichtung stehen bereits in der Pipeline. Im Parlament haben wir Ernährungsexperten, Landwirtschaftsexperten, Tierhaltungsexperten – vermutlich zählt sich jedes Parlamentsmitglied, das eine Ratte als Haustier besitzt, auch zu den Tierhaltern – Gesundheitsexperten, Klimaexperten usw.
Agrotourismus zeigt die bäuerliche Realität
Genau hier kommt dem Agrotourismus eine immens wichtige Rolle zu, nämlich über die Diskrepanz zwischen idyllischer Traumvorstellung und Realität aufzuklären. Jeder Gast, der einmal Ferien auf dem Bauernhof geniessen durfte oder schon einmal einen ganzen Tag auf einem Bauernhof verbracht hat, wird verstehen, dass wir von einer Massentierhaltung weit entfernt sind. Der Gast erlebt die einfache bäuerliche Realität.
Nein, wir leben nicht mehr in der Zeit von Heidi und Peter oder in der Zeit, wo der Schellen-Ursli noch mit dem Wolf das Pausenbrot geteilt hat. Aber trotzdem können wir eine schöne, intakte Landschaft geniessen. Und nein, diese schöne Landschaft ist nicht dank den Umweltverbänden so schön und intakt, sondern dank einer produzierenden Landwirtschaft, welche Tag für Tag, jahrein jahraus pflegt und bewirtschaftet. Übrigens kommt die Milch nicht aus dem Tetrapack, sondern von der Kuh, welche mindestens zweimal täglich gemolken wird.
Nicht zu unterschätzender Image-Aufbau
Wenn auch die Logiernächtezahl auf Bauernhöfen statistisch eine untergeordnete Rolle spielen, Image aufbauend für die einheimische Landwirtschaft ist jede einzelne davon. Diese wichtige Aufgabe des Agrotourismus darf auf keinen Fall unterschätzt werden.
Wir müssen jede Chance packen, um den zukünftigen Generationen zu zeigen, welche Rolle die Landwirtschaft für die Ernährungssicherheit einnimmt und auch welche Bedeutung der täglichen Arbeit der bäuerlichen Bevölkerung für die Landschaftsqualität zukommt. Es sind weder die Beamten noch die Verbandsvertreter, welche diese Aufgaben übernehmen, sondern die produzierenden Bäuerinnen und Bauern.
Zum Autor
Reto Rauch ist Ingenieur Agronom in Sent und beim Reitstall und Saloon San Jon dabei. Er schreibt für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.

