Indien ist der grösste Milchproduzent der Welt. Die meisten «Herden» im südostasiatischen Land bestehen nur aus ein bis zwei Kühen. Diese tragen mit durchschnittlich 1800 kg Milch pro Laktation zum gigantischen Jahresvolumen von 241 Mio Tonnen (Referenzjahr 2022) bei. Zum Vergleich: Das Milchland Schweiz liegt mit einer Jahresmilchmenge von 3,82 Mio Tonnen auf Rang 38 – Tendenz sinkend.
Die Genossenschaft Mooh liegt auf Platz eins
Mooh, mit Sitz in Zürich, ist der grösste Erstmilchkäufer der Schweiz. Mit einem Volumen von 542 Mio kg liegt die Genossenschaft damit deutlich vor den Zentralschweizer Milchproduzenten mit 413 Mio kg, gefolgt von Mittelland Milch (Direktlieferant Emmi) auf Rang drei, mit 372 Mio kg eingekaufter Milch.
Mooh-Geschäftsführer René Schwager hat Indien über mehrere Wochen bereist. Nicht, um sich dort Zugang zum Milchmarkt zu verschaffen, sondern um das Schwellenland, das weltweit zu einem politischen und wirtschaftlichen Akteur aufgestiegen ist, kennenzulernen. Schwager hat der BauernZeitung von seiner Reise berichtet. «Das Durchschnittsalter der Bevölkerung beträgt 28 Jahre, das fasziniert mich», sagt Schwager. Er wollte sehen, was da «auf uns zukommt» – in einem Land, das altersstrukturell beinahe das Gegenteil der Schweiz darstellt.
Überall sind Kühe - wirklich überall
Was René Schwager auf seiner Reise grossen Eindruck gemacht hat, sind die Kühe. Seit Ende April 2023 ist Indien mit gut 1,4 Mia Bewohnern die bevölkerungsreichste Nation der Welt und hat China auf Platz zwei verdrängt. Auch die Statistik der Rinder führt Indien im weltweiten Vergleich an. Alleine für die Milchproduktion werden über 133 Mio Kühe und Büffel gehalten.
Kühe sind heilig, ein Umstand, der das Schlachten der Tiere verunmöglicht oder zumindest erschwert. «Inder essen wenig Fleisch. Rind auf der Speisekarte ist ein absolutes No-Go», weiss René Schwager. Hingegen werde viel Käse gegessen. «Eines der traditionell angebotenen Curry-Menüs ist fast immer mit Käse», ergänzt er. [IMG 3]
Da Kühe nicht geschlachtet werden, sterben sie meist auf natürliche Weise. «Dann werden sie liegen gelassen – bis Wildtiere oder Geier die Kadaver fressen», erzählt Schwager. Es gebe aber auch Kuhaltersheime, die durch gemeinnützige Organisationen geführt würden, welche herrenlose Tiere pflegten.
Gefragt nach den Begegnungen mit Kühen, sagt René Schwager: «Man muss sich das so vorstellen: die Kühe sind einfach überall.» In der Stadt auf dem Markt oder vor dem Coiffeursalon, auf der Strasse, sogar am Strand – überall. «Kühe laufen und liegen einfach rum, das ist normal», ergänzt er. Sie würden alles fressen, was sie finden, und würden sich daher mit Vorliebe dort aufhalten, wo auch Nahrung im Angebot steht; beispielsweise auf dem Gemüsemarkt.
Der dortige Milchpreis liegt bei 30 Rappen
René Schwager ist sicher: «Die Inder schauen gut zu ihren Kühen.» Ein wichtiger Grund dafür sei bestimmt der heilige Status. Andererseits sorge die Milchkuh auch für Wohlstand auf tiefem Niveau. Rund zwei Drittel der Leute wohne auf dem Land – irgendwo in einer Hütte. «Sie leben in einfachen Verhältnissen, sind Selbstversorger und verkaufen die Milch von ein bis zwei Kühen.» Der Milchpreis von rund 30 Rappen pro Liter Milch sei im Grunde bescheiden. Aber im Vergleich zu einem Essen im Restaurant, das man für 70 Rappen kaufen könne, sei der Milchpreis im Verhältnis zu den Lebenskosten sehr hoch.
[IMG 2] Der grosse Teil der Milch werde lokal konsumiert. So würde die Bevölkerung sehr viel Milch trinken, die der Milchmann liefert – frisch und unbehandelt. Natürlich werde auch viel verarbeitet. So gebe es praktisch keine Mahlzeit ohne Käse. Meist in Form von Paneer, einem indischen Frischkäse mit krümeliger bis schnittfester Konsistenz, der wiederum mit einer Sauce serviert wird.
Neben Kühen laufen auch Kälber und Stiere frei herum. Künstliche Besamung sei bekannt, es gebe sogar eine Forschungsanstalt – wenn auch auf technisch sehr bescheidenem Niveau.
Ein grosses Land mit kleinen Strukturen
Die Strukturen überraschen. Auch wenn Weltkonzerne wie Nestlé vor Ort die Farmen im Bereich der Milchqualität, Haltungsform und Vergrösserung der Bestände unterstützen, sind Herdengrössen mit mehr als 20 Tieren gemäss der aktuellen IFCN- Statistik abnehmend. Das System der einzeln gehaltenen Kuh, in freier Wildbahn lebend, scheint sich in Indien weiterhin zu bewähren. Ihre Heiligkeit macht es möglich. «Die Autos fahren drum herum», sagt René Schwager. Der Verkehr fliesse immer. Schwager erinnert sich, dass man ihn zu Beginn der Reise angewiesen habe, stets zu fahren und nie anzuhalten. «Wer anhält, wird überfahren. Der Verkehr ist wie Wasser; es läuft immer. Und Hupen ist als eine Art der Kommunikation zwischen den Fahrern überlebenswichtig», weiss er. Zumindest, was die Menschen anbelange, denn wegen der Kühe werde nie gehupt. Sie hätten das Anrecht, in Ruhe auf der Strasse zu liegen, auch wenn diese sechsspurig sei.
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