Milchproduzenten schöpfen ihre Motivation laut Studie oft aus der besonderen Lebensweise mit viel Autonomie, Kontakt zu Tieren, Arbeit in der Familie und verbunden mit der Natur. Idealerweise sollte das die hohe Arbeitsbelastung und das Angebundensein ausgleichen. (Bild BFH-HAFL) Leben So verbessern Bäuerinnen und Bauern in der Praxis ihre Lebensqualität Thursday, 8. July 2021 Das Ziel ist gesteckt: Ab 2024 müssen alle Milchbauern auf dem Grünen Teppich produzieren. «Das ist wichtig», sagt Pierre-André Pittet. Der Vizedirektor der Schweizer Milchproduzenten (SMP) hat hehre Ziele, wenn es um den Branchenstandard geht. «Ich traue das den Branchenakteuren zu», sagt Pittet auf die Frage, ob dieses Ziel überhaupt realistisch sei. Er will mit der BauernZeitung heute aber nicht in erster Linie über erreichbare Ziele sprechen. Er hat ein anderes Thema im Visier: die Lebensqualität der Milchproduzenten.

Es braucht zuerst eine Standortbestimmung 

[IMG 3]Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Grünen Teppichs haben die Schweizer Milchproduzenten den Aspekt der Lebensqualität aufs Parkett gehievt. «Wie will man die Lebensqualität verbessern, wenn man sich nicht einmal damit befasst und eine Standortbestimmung macht?», fragt Pierre-André Pittet. Er ist sicher: «Wollen wir, dass die kommenden Generationen in der Schweiz noch Milch produzieren, müssen wir uns mit diesem Thema intensiv beschäftigen – und zwar rasch.» Die Lebensqualität der Eltern sei massgeblich dafür verantwortlich, was die Jungen schliesslich einmal machen würden. «Das ist prägend», sagt der SMP-Vizedirektor eindringlich. Viele seien nicht mehr bereit, dereinst einmal selbst das Leben ihrer Eltern zu führen, das zu sehr an den Hof gebunden und mit zu wenig freier Zeit ausgestattet sei. Hinzu kämen massiv ungerechte Vorwürfe vonseiten der Gesellschaft und der ganze Horror mit der komplizierten Agrarpolitik.

Realität abbilden

Die die Schweizer Milchproduzenten schlagen daher vor, die Lebensqualität der Milchbauern abzubilden. Dafür wurde mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (BFH-HAFL) in Zollikofen ein Selbstcheck mit 40 Fragen erarbeitet. Genanntes Ziel der SMP ist es, diesen Check in den Anforderungen des Grünen Teppichs zu verankern.

«So würden wir alle gezwungen, uns damit zu beschäftigen. Wir würden nicht mehr nur vermuten, wie es den Milchbauern geht, wir würden es wissen»,

sagt Pierre-André Pittet.

Er ergänzt: «Wir wollen nicht Forschung betreiben, sondern Chancen für Verbesserungen auf diversen Stufen installieren.» Der Nutzen des Selbstchecks sei zuerst eine Hilfe zur Selbsthilfe. «Alle sind eingeladen, sich mit der eigenen Lebensqualität zu befassen», sagt Pittet. Mit dem Spinnendiagramm erhalte man eine Art Spiegel zur persönlichen Beurteilung der eigenen Lebensqualität. Erst dadurch bestünde eine Chance, Änderungen zu einer Verbesserung einzuleiten.

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Die Hoffnung, den Check als Grundlage im Grünen Teppich zu verankern, bleibt vorerst ein Plan. Die BOM braucht anscheinend mehr Zeit, um sich weiterzuentwickeln. Was jetzt? Zuwarten? Pierre-André Pittet überlegt: «Wenn die BOM zuwarten will, müssen wir das akzeptieren, wir können nicht zaubern.»

Längst überfällig

Abo Branchenstandard Nachhaltige Milch ​​​​​​​Ab 2024 müssen alle Milchbauern auf dem Grünen Teppich produzieren Tuesday, 28. February 2023 Die nächsten Wochen würden zeigen, wie mit dem Anliegen der Schweizer Milchproduzenten weitergefahren wird. Aber Pittets Geduldsfaden ist nicht endlos: «Die Frage nach der Lebensqualität kann nicht warten. Sie ist überfällig. Die SMP hat das zwar für den Grünen Teppich vorbereitet. Wir werden nötigenfalls den Selbstcheck aber unabhängig vom Entscheid der BOM auf freiwilliger Basis umsetzen.» Er erinnert daran, dass die Programme BTS und RAUS ebenfalls bereits vor dem Grünen Teppich bestanden hätten. So sei es sinnvoll gewesen, sie für den Branchenstandard mitzunehmen. Analog könnte es seiner Meinung nach mit der Frage nach der Lebensqualität geschehen.

Keine zusätzlichen Berater oder AP-Inhalte 

Das Anliegen ist nicht ganz neu. Bei der Diskussion um die Weiterentwicklung des Branchenstandards seien die bekannten Achsen zur Sprache gekommen: Tierwohl, Klimaschutz, Absenkpfad, Biodiversität und Energie. «Wir haben von Beginn weg darauf hingewiesen, dass wir den sozialen Bereich nicht vergessen dürfen. Das ist wichtig für die Menschen, die in dieser Produktionsform leben», sagt Pierre-André Pittet, der keinen zusätzlichen Versicherungsberater im Bauernhaus will und auch keine zusätzlichen AP-Inhalte fordert. «Wir wollen wissen, wie es den Bauern geht», sagt er und ist sicher, dass dies auch für die vor- und nachgelagerte Stufe von grossem Interesse sein könnte. «Es gibt eine ganz wichtige Erkenntnis: Wenn es dem Bauer und der Bäuerin gut geht, dann geht es den Tieren gut. Daran müssen wir uns orientieren und nicht isoliert am Tierwohl», erklärt er.

«Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass die Lebensqualität der Milchproduzenten einfach per se schlecht ist. Aber alleine mit einer Vermutung könne die Realität nicht abgebildet werden», schliesst Pittet.

Einfach in der Anwendung
Für die Entwicklung des Selbstchecks, der bereits an einer Personengruppe von 60 Personen vorwiegend aus der Milchproduktion getestet wurde, ist die SMP auf die HAFL zugegangen. Diese hat den Check mit 40 Fragen auf wissenschaftlicher Grundlage im Form einen gemeinsamen Projekt erarbeitet.
«Die Lebensqualität ist ein zentraler Indikator für die soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft und damit der Situation von Produzenten und Produzentinnen und deren Familien», sagt Sandra Contzen, Dozentin für Agrarsoziologie der HAFL. «Der entwickelte Selbstcheck Lebensqualität ist einfach anzuwenden, wissenschaftlich fundiert und berücksichtigt die wichtigsten subjektiven und objektiven Aspekte der Lebensqualität», ergänzt sie.