«Bäuerin ist eigentlich ein diffuser Begriff», sagt Sandra Contzen, langjährige Dozentin für Agrarsoziologie an der HAFL. Für einige seien dies nur Frauen, die den Fachausweis in der Tasche haben, für andere all jene, welche die «typischen» Aufgaben einer Bäuerin auf dem Betrieb übernehmen. «Wiederum andere sind mit einem Bauern verheiratet, helfen auf dem Betrieb mit und schmeissen womöglich sogar die Buchhaltung, sehen sich aber überhaupt nicht als Bäuerin.» Ein Gespräch über Rollenbilder und Gleichberechtigung.
[IMG 4]
Gemäss dem BLW-Bericht «Frauen in der Landwirtschaft» (2022) sagten die befragten Frauen, die Rollenbilder seien zwar in Bewegung, trotzdem sehen sie sich immer noch am häufigsten als Hausfrau, Mutter und Bäuerin.
Sandra Contzen: Die Gleichberechtigung und welche Rolle man einnimmt, gewollt oder ungewollt, sind zwei unterschiedliche Dinge. Eigentlich müsste man die ganze Schweizer Bevölkerung anschauen und der Frage nachgehen, wie viele Frauen sich primär in den Rollen Mutter und Hausfrau sehen. Ich denke, dieser Anteil ist immer noch ziemlich hoch, wie hoch, weiss ich aber nicht. Es sind also nicht nur Bäuerinnen, die sich primär in diesen Rollen sehen. Wenn sich eine Frau in dieser Rolle wohlfühlt und das will, heisst das nicht unbedingt, dass sie nicht gleichberechtigt ist. Wir haben aber ein Problem, wenn ganz viele Frauen hauptsächlich Hausfrau, Mutter und auf dem Betrieb die helfende Hand sind, aber keine finanzielle Entschädigung und soziale Absicherung haben.
«Die Bäuerin wurde zur Super-Hausfrau hochstilisiert.»
Das glorifizierte Ideal aus der Nachkriegszeit wirkt laut Sandra Contzen teilweise bis heute nach.
Wie schätzen Sie den Status quo bei der sozialen Absicherung ein?
Wir haben nach wie vor keine klaren Zahlen dazu. 2013 hat die BFS-Studie, an der ich beteiligt war, ergeben, dass 56 Prozent der Frauen unbezahlt auf dem Betrieb mithelfen. Die Untersuchung einer aktuellen Bachelorarbeit der HAFL, an der 157 Frauen und ein Mann teilgenommen haben, hat ergeben, dass von ihnen 42 Prozent ohne Lohn auf dem Betrieb mithelfen. Darunter gab es Frauen, die 30 Stunden ohne einen Rappen Lohn mitarbeiten. Man muss wissen, dass man mit der neusten Rechtsprechung im Scheidungsfall ein Problem hat, wenn man 100 Prozent zu Hause geblieben ist, weil man dieser zufolge auf eigenen Füssen stehen muss. Bäuerinnen haben da einen Vorteil, weil sie es sich gewohnt sind, viel zu arbeiten, und im Scheidungsfall im Arbeitsmarkt meist schnell Fuss fassen. Und dennoch, eine Scheidung hat für eine Bäuerin meistens viel mehr Konsequenzen als für eine Frau ausserhalb der Landwirtschaft.
[IMG 5]
Zur Person: Sandra Contzen
Die Sozialwissenschaftlerin (Jahrgang 1977) forscht seit 2006 an der HAFL unter anderem zu Gender-, Generationen- und Familienaspekten in der Schweizer Landwirtschaft.
Ist Gleichberechtigung etwas, das Frauen einfordern müssen, oder etwas, das ihnen Männer gewähren sollten?
Ein Paar sollte Gleichberechtigung miteinander aushandeln. Von einem betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen müsste auch der Mann ein Interesse daran haben, die Frau anständig zu entlöhnen. Denn wenn sie stirbt oder sich scheiden lässt, muss er diese Arbeitskraft ersetzen können. Wenn er also nicht weiss, wie viel sein Betrieb kostet, dann macht er unternehmerisch etwas falsch. Ich denke schon, dass das Bild der klassischen Rollenteilung, der Mann draussen, die Frau drinnen, auf den Betrieben in den nächsten Jahren weiter aufgebrochen wird. Jetzt gehen die Babyboomer-Jahrgänge in die Rente und viele junge Paare werden übernehmen, zum Teil auch ausserfamiliär.
Man hat gelegentlich das Gefühl, Frauen haben Erfolg, wenn sie sich wie Männer verhalten, oder sie werden auf ihren Mann reduziert.
Es ist grundsätzlich zu beobachten, dass sich Frauen in Männerdomänen sehr stark beweisen müssen. Sie müssen härter arbeiten und mehr leisten, um anerkannt zu werden. Das sieht man auch an unseren Bundesrätinnen. Ihr Äusseres wird bewertet, sie sollten gut aussehen, während bei einem Mann nicht über die Figur oder Kleidung gesprochen wird. Wenn ihnen ein Fauxpas unterläuft, wird auf ihnen herumgehackt, während man dies einem Mann mit einem «Kann halt passieren» verzeiht. Sehr oft höre ich von Betriebsleiterinnen, dass immer erst nach dem Mann gefragt wird, wenn der Besamer oder der Futtermittelvertreter auf den Betrieb kommt. Einigen Frauen ist das gleich, anderen ist es nicht egal, und das kann ich auch gut nachvollziehen.
Welche Stärken haben Frauen, die ihnen in der Landwirtschaft zugutekommen?
In der Landwirtschaft ist die körperliche Verschleissgefahr hoch. Mir haben Betriebsleiterinnen gesagt, dass sie den Betrieb anders einrichten und führen müssen, einfach, weil sie physisch weniger Kraft haben als ein Mann. Indem sie das tun, arbeiten sie langfristig gesünder, zum Beispiel ohne Rückenschaden, womöglich ist auch ihr Unfallrisiko geringer. Wenn es ausserdem Richtung ökologische oder Regenerative Landwirtschaft gehen soll, sieht man auch, dass Frauen dies stärker anstreben. Sie denken auch in Unternehmen häufig langfristiger als Männer. Die Tatsache, dass Frauen gebären können, spielt offenbar eine Rolle, dass sie anders in die Zukunft schauen.
[IMG 3]
Die Anzahl Betriebsleiterinnen ist hierzulande in den letzten 15 Jahren gerade mal um 2,2 Prozent gestiegen (auf 7,1 Prozent). Warum?
Die Schweiz hinkt anderen Ländern in Sachen Gleichstellung der Frau generell sehr hinterher. Bis Ende 1987 war der Mann gemäss Gesetz das Oberhaupt der Familie, bestimmte den Wohnsitz und war zuständig für das Einkommen, während die Frau den Haushalt führen und ihm den Rücken stärken musste. Wir sind in der Geschichte im europäischen Vergleich einfach hintendrein. Die Patrilinearität (Vererbung und Übertragung von sozialen Eigenschaften und Besitz über die männliche Linie vom Vater an den Sohn) ist in unseren Traditionen und in unserem Denken immer noch sehr stark verankert. Dass betrifft auch die Übergabe von Landwirtschaftsbetrieben.
«Die Landwirtschaft wird häufig als «heile Welt» porträtiert, aber hinter den Fassaden sieht es teilweise ganz anders aus.»
Die Burnout- und Suizidrate in der Landwirtschaft ist hoch.
Welche Rolle spielt die Bäuerinnen-Ausbildung, in der die Hauswirtschaft nach wie vor sehr wichtig ist?
Die Zweiteilung der Ausbildung, Bäuerin hier, Landwirt(in) da, trägt nicht dazu bei, dass es mehr Betriebsleiterinnen gibt. Der Platz der Frau in der Landwirtschaft ist dort sehr klar. Es gibt kaum Männer, die die Weiterbildung zum bäuerlichen Haushaltleiter absolvieren und diese auch abschliessen. Bei einigen Bauernfamilien ist klar, dass die Tochter am Samstag im Haus der Mutter beim Putzen hilft, während die Söhne mit dem Vater draussen arbeiten, obwohl Mutter und Tochter genauso melken könnten.
[IMG 2]
Die Bäuerin als Alleskönnerin: Hilfe auf dem Betrieb, Kinder und Haushalt, Garten, Auswärts-Job, ein eigener Betriebszweig. Erzeugt dieses Bild nicht einen hohen Erwartungsdruck?
Ich habe durch Interviews mit Bäuerinnen schon mitbekommen, dass da ein gewisser Druck herrscht auf Frauen, die merken, dass sie das nicht alles schaffen. Die Bäuerin wurde in der Nachkriegszeit zur Super-Hausfrau hochstilisiert. Sie wurde glorifiziert als Frau, die alles kann und alles perfekt macht. Auch in der Bäuerinnen-Ausbildung lernt man picobello putzen und kochen. Es braucht viel Mut, sich abzugrenzen und z. B. auf den eigenen Garten zu verzichten oder auch mal Fertigpizza zu kaufen. Die Landwirtschaft wird häufig als «heile Welt» porträtiert, aber hinter den Fassaden sieht es teilweise ganz anders aus. Studien von anderen Forschenden zeigen es: Wir haben hohe Burnout-Zahlen in der Schweizer Landwirtschaft und eine hohe Suizidrate. Zudem sind Generationenkonflikte weitverbreitet.
Wir fragen drei Bäuerinnen: Wie definieren Sie ganz persönlich Ihre Rolle als Bäuerin?
Andrea Hochuli, Küttigen AG
[IMG 6]
Als Ehefrau eines Landwirts identifiziere ich mich mit unserem Betrieb und fühle mich schon darum als Bäuerin. Entscheidungen treffen wir als Paar gemeinsam. Weil ich Bescheid wissen will, habe ich die Ausbildung Bäuerin HFP gemacht. Meine Ressorts sind Kinder, Haus, Kleintiere, Pferde, und manchmal ist es auch einfach mein Job, dem Mann den Rücken freizuhalten. Wichtig sind mir aber auch meine externe Teilzeitarbeit und das Landfrauenpräsidium. Meine Rolle als Bäuerin verändert sich immer wieder, dabei treffe ich aktive Entscheidungen.
Sandra Keller, Hosenruck TG
[IMG 8]
Als ich vor rund 10 Jahren auf den Betrieb kam, hatte ich ein sehr traditionelles Bild von der Bäuerin: Diese war demnach zuständig für Familie, Küche, Garten, Büro usw. Daran geknüpft war ein riesiger Erwartungsdruck. Mit der Zeit realisierte ich, dass jede Bäuerin ihre eigenen Qualitäten einbringen kann. Ich muss keinen perfekten Garten haben, dafür kann ich gut organisieren. Wichtig ist, sich so einzurichten, dass es für einen stimmt. Diese Einsicht war für mich eine grosse Entlastung. Der Weg dahin hat jedoch Zeit gebraucht.
Christa Krähenbühl, Oberhünigen BE
[IMG 7]
Für mich hat die Bäuerin eine zentrale Rolle auf dem Hof. Oft laufen bei ihr alle Fäden zusammen – sei es organisatorisch oder über die Administration. Dadurch, dass ich die Büroarbeiten auf dem Betrieb erledige, landen die Tagesgeschäfte bei mir auf dem Tisch. Ich trage nicht überall die Verantwortung, und doch weiss ich, was in den verschiedenen Betriebszweigen aktuell läuft. Diese koordinative Rolle und das Privileg, selbstständig und mit mehreren Generationen Hand in Hand arbeiten zu können, machen für mich den Beruf als Bäuerin aus.
