Vergangene Woche ging die Vernehmlassung zur Teilrevision der eidgenössischen Jagdverordnung zu Ende. An der Vernehmlassung beteiligten sich alle Kantone, Parteien, Verbände und Umweltorganisationen und nahmen Stellung. Ein wichtiges Wort im Vernehmlassungsprozess haben die Kantone. Sie müssen nämlich die Beschlüsse umsetzen. [IMG 2] Übergeordnet für die Ostschweizer Kantone fragte die BauernZeitung bei Stefan Müller nach, welche Stellungnahmen von den Kantonen eingegangen sind und wonach sich diese orientierten. Müller, Landeshauptmann Kanton Appenzell Innerrhoden, ist Präsident der Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz (LDK). «Wir sind im Grossen und Ganzen mit der Vorlage des Bundes einverstanden. Das Wolfsmanagement funktioniert nur, wenn man neben dem Herdenschutz auch gezielt und proaktiv regulieren kann, und es braucht Entschädigungen für die betroffenen Tierhalter», bekräftigt er.
Herdenschutz neu aufgleisen
Nachbesserungen verlangt die LDK beim Herdenschutz. Hier fordert die LDK eine konsequente Umsetzung weg von der räumlichen Betrachtung mit zumutbar bzw. nicht zumutbar schützbaren Alpperimetern hin zu einer betrieblichen Betrachtung mit einzelbetrieblichen Herdenschutzkonzepten.
«Wenn in nicht zumutbar schützbaren Alpen keine Regulierung mehr möglich ist, wirft man die Nutztiere quasi dem Wolf zum Frass vor. Das ist ein Unding und gefährdet die Alpwirtschaft in diesen Regionen massiv», sagt Stefan Müller. Weiter sollen laut LDK schadenstiftende Einzeltiere das ganze Jahr über entfernt werden können, sofern sie Menschen gefährden, wiederholt Herdenschutzmassnahmen missachten oder Rinder, Pferde oder Neuweltkameliden angreifen.
«An der Arbeitstagung der Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz wurde unsere Stellungnahme diskutiert und definitiv verabschiedet», so Müller. Die Stellungnahmen der einzelnen Kantonsregierungen können jedoch immer anders als die Vorschläge der Direktorenkonferenzen formuliert werden. Je nachdem, welcher Direktion die Jagd unterstellt ist, werden allenfalls andere Stellungnahmen berücksichtigt.
Auch vermisste Tiere anrechnen
So haben sich der Kanton Graubünden und die Standeskommission von Appenzell Innerrhoden der Stellungnahme der Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) angeschlossen. Sie zielt in die gleiche Richtung wie die LDK-Stellungnahme und fordert zudem, dass man auch verletzte und vermisste Tiere auf Sömmerungsbetrieben mit Nutztierrissen zu den Schäden an landwirtschaftlichen Nutztieren berücksichtigt.
«Andere Kantone werden sich an der Stellungnahme der Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft (KWL) orientieren, welche die federführende Konferenz in Jagdthemen ist», sagt Stefan Müller. In diesem Kontext gehöre der Wolf zur Biodiversität und zum Ökosystem. Dabei werde auch der positive Einfluss des Wolfes auf die Schalenwildbestände und auf die Waldverjüngung hervorgehoben. «Letztendlich geht es aber oft auch darum, die kantonalen Ressourcen und den administrativen und personellen Aufwand möglichst gering zu halten», so das Fazit von Stefan Müller.
Thurgauer Regierung schert aus
Diesen Anschein macht auch die Stellungnahme der Thurgauer Kantonsregierung, die sich massiv von jener der LDK und der RKGK unterscheidet. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau schreibt, dass die Schwellenwerte und die Massnahmenvoraussetzungen zu tief angesetzt seien.
Die Schadensschwelle von sechs getöteten Schafen, Ziegen oder Neuweltkameliden sei extrem tief und könne problemlos bei einem einzigen Rissereignis erreicht werden. Die Erheblichkeit des Schadens könne daher erst bei einer Wiederholung gegeben sein.
Stefanie Giger vom Verband Thurgauer Landwirtschaft hat bei der zuständigen Regierungsrätin Sonja Wiesmann nachgefragt. Regierungsrätin Wiesmann, zitiert im «Thurgauer Bauer», sagt: «Der Regierungsrat ist der Meinung, dass die vorgeschlagenen Abschusskriterien weder die Anforderungen eines erheblichen Schadens noch jene der Verhältnismässigkeit erfüllen.» Auch ein geschütztes, schadenstiftendes Tier habe eine zweite Chance verdient.
Laut dem Vorschlag des Bundes ist vorgesehen, dass die Kantone aktiv überprüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Entschädigung bei Nutztierrissen gegeben sind. Die Thurgauer Regierung spricht sich dagegen aus. Regierungsrätin Sonja Wiesmann äussert sich dazu: «Wir sind jedoch der Meinung, dass diese Aufgabe der geschädigten Person überbunden werden soll, sodass diese nachweisen muss, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.»
Die Präsidentin des Verbands Thurgauer Landwirtschaft (VTL), Maja Grunder, ist konsterniert über die Rückmeldungen des Kantons Thurgau und kann nicht verstehen, warum die Kantonsregierung die vom Bund vergebene Vorlage noch verschärft (siehe unten).
Derzeit wertet das Bundesamt für Umwelt (Bafu) die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung aus. Laut Bafu sollte der Bundesrat bis Ende Jahr entscheiden. Dann wird auch der Ergebnisbericht mit den Rückmeldungen aller Kantone und Verbände online vorliegen. Vorgesehen ist, dass die angepasste Jagdverordnung am 1. Februar 2025 in Kraft tritt.
«Ein Affront gegenüber der Landwirtschaft»
Die Thurgauer Regierung lehnt die Teilrevision der Jagdverordnung grösstenteils ab. Wie kommt das bei Ihnen an?
Maja Grunder: Im Kanton Thurgau hat die Landwirtschaft eine grosse Bedeutung. Ich kann nicht verstehen, warum die Kantonsregierung die vom Bund vergebene Vorlage noch verschärft. Der Kanton Thurgau hat die Rückmeldungen der Landwirtschaftsdirektoren-Konferenz nicht aufgenommen. [IMG 3] Es ist ein Affront gegenüber der Landwirtschaft und den Tierhaltern, vor allem jenen, die auch bereits in unserem Kanton von Nutztierrissen durch den Wolf betroffen waren – zudem ein unsolidarischer Akt gegenüber den Gebirgskantonen.
Was sagen Sie dazu, dass die Thurgauer Regierung den Schwellenwert gesamthaft auf 20 bis 25 Wolfsrudel festlegen will?
Im Verordnungsentwurf des Bundes heisst es, dass die Verordnung dafür sorgt, dass ein Mindestbestand von zwölf Rudeln in der Schweiz erhalten bleibt. Wir vom VTL haben uns am Antwortschreiben des Schweizer Bauernverbands orientiert, wo alle Rückmeldungen der Kantonalverbände eingeflossen sind. Wir fordern tiefere Schwellenwerte, was die Anzahl der Rudel in den Kompartimenten anbelangt. Bei Angriffen auf grosse Nutztiere sind auch bereits leichte Verletzungen als Abschussgrund anzuerkennen, da bereits diese belegen, dass die betreffenden Wölfe die Scheu verloren haben. Dies im Gegensatz zum Antwortschreiben der Regierung, die schreibt, dass erst im Wiederholungsfall die Voraussetzung für einen Abschuss erfüllt sein soll.
Warten Sie die definitive Vorlage des Bundesrats ab oder suchen Sie das Gespräch mit der Regierungsrätin und der Thurgauer Jagdverwaltung?
Einen ersten Schritt haben wir gemacht, indem wir bei der zuständigen Regierungsrätin nachgefragt haben. Die Antworten können Sie im «Thurgauer Bauer» nachlesen (Interview ganz nach unten scrollen -Download). Ganz klar vermisse ich darin die Sensibilität gegenüber den Bauernfamilien und Tierhaltern. Und zwar nicht nur, was den Wolf, sondern auch was Biberschäden betrifft. Auch diesbezüglich äusserte sich die Regierung dahingehend, dass der Biberschutz stärker zu gewichten sei als die Interessen der Landwirtschaft. Wir sind uns so ein landwirtschaftsfeindliches Verhalten des Kantons nicht gewohnt. Ich gehe davon aus, dass die Vernehmlassungsantwort anders ausgefallen wäre, wenn die Jagd- und Fischereiverwaltung wie die Landwirtschaft auch im Departement Inneres und Volkswirtschaft wäre.
