«Der frühe Tod meines Enkels Leano hudlet mich heute noch am meisten. Denn ich bin ein Familienmensch, für das lebe ich.» Der 70-jährige Meisterlandwirt Erich Walker sitzt in der Küche und erzählt von seinem bewegten Leben, das geprägt ist von viel Freude und Zufriedenheit, aber auch von Trauer.
Tod und Krankheit in der Familie
Familie und Viehzucht. Das sind die beiden Stützpfeiler im Leben von Erich Walker aus dem solothurnischen Bettlach. Inmitten seiner Familie mit den ersten vier Kindern Doris (heute 48), Andreas (46), den Zwillingen Christian und Thomas (40) und bei der Arbeit mit den Tieren findet er Freude, aber auch Stütze und Halt in jeder Lebenslage. Schicksalsschläge wie der frühe Tod seiner ersten Ehefrau Jolanda, die Erkenntnis, dass eine Enkelin mit der genetischen Besonderheit Trisomie 21 geboren wurde, auch bekannt als Down-Syndrom, sowie der Tod von Leano im Alter von nur 18 Monaten bringen Erich Walkers Gefüge ins Wanken, aber nicht zum Einsturz. Im Gegenteil. Denn die Familie stützt sich jederzeit gegenseitig und wächst mit seiner zweiter Ehefrau Mihrie sowie der Geburt seiner zwei jüngsten Kinder Lisa (15) und Jasmin (12) noch weiter. Aber der Reihe nach.
Alle zusammen am Tisch
Erich Walker wächst als ältestes von fünf Kindern auf dem Bauernhof auf. Mit 21 Jahren heiratet er Jolanda, ein Jahr später übernimmt das junge Paar den Hof. Es wohnt während elf Jahren mit den Eltern Walker sowie Erichs jüngeren Geschwistern im selben Haushalt. Auch die Schwiegereltern sitzen oft am grossen Küchentisch, dem Herz der Wohnung.
Das Paar bekommt vier Kinder. 1987 wird im oberen Stock eine Wohnung eingebaut, in der die Eltern von Erich Walker einziehen. Am Mittagstisch sitzen weiterhin alle gemeinsam. Das sei nicht immer einfach, aber trotzdem «gäbig» gewesen, da immer jemand für die Kinder da war, bekennt Erich Walker. Er erklärt: «Jeder muss etwas geben, aber jeder profitiert davon auch.» Arbeitsreiche Jahre, die durch viel Freude an der Viehzucht geprägt sind, folgen. Mit Jolanda führt der Landwirt eine traditionelle Beziehung. «Ich habe gebauert, sie schaute zu Haushalt, Garten und den Kindern. Ich half nicht im Haushalt», erzählt der Landwirt.
Der unerwartete Tod der Frau
Das änderte sich schlagartig, als seine Frau im Herbst 2007 nach einem Hirnschlag starb. «Abends fällt sie einfach um, am Morgen musst du trotzdem in den Stall, bist alleine und musst auch noch entscheiden, ob die Maschinen Jolanda am Leben halten oder abgestellt werden sollen.» Erich Walkers Blick schweift in die Ferne, als er an diese Zeit zurückdenkt. Das Paar versprach sich bereits früh, «dass wir einander nicht an der Maschine hängen lassen.» Er entschied schweren Herzens, die Maschinen, die seine Frau am Leben hielten, abzuschalten. Die Kinder waren da zwischen 22 und 30 Jahre alt, er selbst 52.
Alle unterstützten einander, waren füreinander da. Der Küchentisch blieb das Zentrum der Familie und ist es bis heute. Tochter Doris zeigte ihrem Vater, wie einkaufen geht und die Küchenmaschinen bedient werden. «Die Trauer war gross, aber der Alltag ging weiter.» Erich Walker merkte rasch, dass er nicht alleine bleiben könne. «Der Mensch ist nicht geboren, um alleine zu sein», ist er überzeugt. Und: «Mir war klar, ich brauche jemanden.» Auf die Suche gehen mochte er aber nicht. Musste er auch nicht. Denn das Schicksal schickte ihm Mihrie. Ein serbischer Staatsangehöriger, der oft mit seinen Kindern auf dem Hof war, erklärte eines Tages: «Wenn du eine neue Frau brauchst, weiss ich da jemanden – die Schwester meiner Frau aus Serbien.»
Heiratsantrag am Telefon
Erich Walker begann mit der 26-jährigen Mihrie zu telefonieren, sie fanden sich sympathisch. Was mit vielen Telefonaten und zwei abgelehnten Visumsanträgen begann, endete trotz grossem Altersunterschied – Mihrie ist vier Jahre jünger als Erichs älteste Tochter – mit der Heirat im Herbst 2008. Dazu fuhr Erich 2000 Kilometer nach Serbien. An einem Samstag im September kam er an, drei Tage später gaben sie sich das Jawort. Erst im Frühling 2009 wurde der Antrag auf Familiennachzug bewilligt und Mihrie konnte in die Schweiz reisen.
Dass die Situation für Erich Walkers Kinder nicht einfach war, ist nachvollziehbar. «Ich habe mit ihnen immer offen kommuniziert», erklärt Erich Walker. Und: «Sie schlossen Mihrie sofort in ihr Herz. Denn sie ist so eine gmögige Frau, man muss sie einfach gern haben», schwärmt er. Ausserhalb der Familie gab die Situation zu reden. «Direkt kam niemand zu mir. Aber es wurde sehr viel gemunkelt», weiss Erich Walker. Das wurde nicht besser, als er mit Mihrie bald darauf noch die zwei Kinder Lisa und Jasmin bekam. Mehrere glückliche und erfolgreiche Jahre folgen. Erich Walker gründet mit Sohn Christian eine Generationengemeinschaft, ein neuer Stall sowie ein Stöckli für Christians Familie neben dem Wohnhaus, werden gebaut. Dann schlägt das Schicksal unerbittlich wieder zu und erschüttert die Familie. Erichs Enkelin Lielle wird mit dem Down-Syndrom geboren und Enkel Leano verstirbt nach kurzer, schwerer Krankheit. Wieder gibt sich die Familie gegenseitig halt. Doch für einmal hadert auch Erich Walker. «Da kommen schon Gedanken auf, wenn ein so junges Kind stirbt.» Nach kurzer Pause spricht der Landwirt weiter. «Andererseits muss ich auch sagen, wir Bauern leben mit der Natur. Der Tod ist leider auch Teil der Natur.»
«Trotz Schicksalsschlägen habe ich nie den Mut verloren.»
Erich Walker bezeichnet sich als glücklich und zufrieden mit seinem Leben.
Wichtiger Kontakt zur Heimat
Zurück zum hier und jetzt. Mihrie Walker habe sich in all den Jahren gut in der Schweiz eingelebt, fühle sich wohl hier, erklärt ihr Mann. Selbst sprechen mag sie nicht. Sie begrüsst die Schreibende und zieht sich dann zurück. Der grosse Altersunterschied und die unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen – Mihrie Walker ist Muslimin – können ein Problem darstellen. So könnte man meinen. Doch Erich Walker verneint eine entsprechende Frage. Das habe aber einen bestimmten Grund. Mihrie Walker hat täglich Kontakt zu Landsleuten sowie ihren vier Schwestern, von denen eine im Nachbarort und eine im nahen Deutschland lebt. Sie kann sich regelmässig in ihrer Muttersprache austauschen, auch bei der Arbeit als Reinigungskraft und Erdbeerpflückerin. Zudem reist sie jedes Jahr drei Wochen in ihr Heimatdorf in Serbien. «Sie braucht das, das tut ihr gut. Zudem sind all diese Kontakte wichtig», weiss Erich Walker. «Ohne die ginge es nicht.»
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Der Tisch bleibt das Zentrum
Und wie sieht es mit Liebe zwischen dem Paar aus? «Wir hatten während einem halben Jahr regen telefonischen Kontakt, haben uns so kennengelernt und waren uns sehr sympathisch», erklärt Erich Walker. Und er fügt an: «Es ist Liebe entstanden. Wir sagen einander auch, dass wir uns gern haben. Es hat einfach alles gepasst», betont er und strahlt dabei. Da Mihrie Walker selbst aus einer grossen Familie stammt und einen grossen Familiensinn hat, ist sie die Nähe gewohnt. So stellt die Familiensituation bei Walkers, bei der mit Sohn Christian, seinen Kindern und den Lehrlingen immer noch alle zum Zmittag am selben Tisch sitzen, kein Problem für sie dar.
Und mit Blick Richtung Stall, in dem Erich Walker immer noch täglich gern arbeitet, zieht er das Fazit: «Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Trotz Schicksalsschlägen habe ich nie den Mut verloren.»