Abo Anhänger statt Blumenbouquets: Um die Kühe nicht noch mehr zu belasten, wurden sie verladen und nach Hause chauffiert. Alptagebuch Jetzt geht es für alle, ob zwei- oder vierbeinig, von der Alp nach Hause Tuesday, 30. August 2022 Nun ist es wieder so weit. Ich sitze vor der schönen Alp Laret in Ftan, die Sonne scheint bei einem kalten Wind, es wird langsam Herbst. Nächste Woche werden die Kühe wieder zurück ins Tal kommen. Selina kommt heraus und freundlich wie immer, bringt sie mir einen Kaffee und einen Apfelstrudel. Sie scheint zufrieden zu sein. Eine schöne Alpsaison geht zu Ende. 

Ein guter Sommer für die Gastgeber

Von grösseren Problemen mit den Kühen blieben sie verschont, Unfälle gab es keine und alle Tiere sind wohlauf. Die Temperaturen waren hoch wie noch nie und sehr viele Einheimische und Touristen haben die Gastfreundschaft genossen. Das bestätigen auch die sehr vielen guten Bewertungen auf Google eindeutig. Eigentlich ist alles bestens, und trotzdem ist eine gewisse Wehmut bei Selina nicht zu übersehen. Das ist aber auch verständlich, so kurz vor der «Viehscheid».

Bürokram ohne Ende

Mehr Transparenz Parlament will bessere Herkunfts-Deklaration bei importierten Lebensmitteln Friday, 18. March 2022 Und als wäre das alles nicht genug, komme ich noch mit meinem Bürokram vorbei. Abrechnungen und Formulare ohne Ende. Das Amt für Lebensmittelsicherheit verlangt auch für die kleine Alpgastronomie ein Selbstkontrollkonzept und ich muss dies alles archivieren. Telefonnummern, welche alle sowieso im Handy gespeichert sind, müssen aufgelistet werden, Lieferantenverzeichnisse geführt, Gefahrenkontrolle, Wareneingangskontrolle, Warenauslieferung, Arbeitsanweisungen, Kontrollblätter, Personalschulung etc. Als wäre diese kleine Alpbeiz so geführt wie ein Betrieb mit hunderten von Angestellten.

Peinlich genau deklariert

Das Menü- und Getränkeangebot müssen peinlichst genau deklariert werden: Herkunft, Mengenangaben, Alkoholangaben, Mehrwertsteuer, Hinweise zu in der Schweiz nicht erlaubten Haltungsformen und Leistungsförderern und selbstverständlich alle Angaben zu Allergien. Käse enthält Milch, eine Nusstorte enthält Nüsse und die Gerstensuppe enthält glutenhaltiges Getreide.

Und sowieso, die Zeiten, in denen auf einer Kuhalp noch frische Kuhmilch genossen werden durfte, sind schon lange vorbei. Frische Milch scheint etwas vom Gefährlichsten zu sein, was es nur gibt. Oder mit anderen Worten: frische Milch ist der Krankmacher der Nation. Ich schäme mich für unsere Bürokratie, bin aber machtlos und irgendwie als Sekretär der Alpgenossenschaft sogar selber ein Teil davon. Es ist nur ein kleiner Trost, als Selina zu mir sagt, dass es im Südtirol auch nicht besser ist.

Zum Abschied noch ein Schnaps

Abo Gastbeitrag Der Spagat zwischen Bergblumen, Wolf und Massentierhaltung Wednesday, 6. April 2022 Zum Glück aber bleiben Ende Alpsaison vor allem die schönen Stunden mit den Tieren, die vielen zufriedenen Gesichter und die zahlreichen positiven Reaktionen in Erinnerung und nicht die unsinnigen Büroschikanen aus der Hauptstadt. Ansonsten wäre die Freude an der Arbeit schon lange vorbei. Aber eine geborene Älplerin mit Gastgeberblut lässt sich zum Glück nicht von Bürokraten unterkriegen. Und ich muss spätestens jetzt einen Weg finden, um aus meiner Rolle des Bürokraten in die Rolle des Helfers zu gelangen.

Komm, wir trinken noch einen Iva-Schnaps! Aber bitte sauber versteuert, richtig deklariert (kann Spuren von Bergblumen enthalten), sauber gelagert – nicht an der Sonne und nicht zu warm – in einem geeichten Glas und richtig in der Kasse registriert. Und da ja alles überkorrekt ist, freuen wir uns auf die Alpabfahrt von nächster Woche und auch bereits auf die nächste Alpsaison. Es ist definitiv an der Zeit, für einmal alle Formulare zu vergessen.

Und doch, irgendwie sehr zufrieden fahre ich zurück ins Tal, im Wissen, dass unsere Alp mit unseren tollen Gastgebern wieder einen Sommer lang beste Werbung für unsere Region, für unsere Landschaft und vor allem für unseren Berufsstand gemacht hat. Und da unsere Landwirtschaft auf gute Imagepflege des Agrotourimusangebots angewiesen ist, hoffe ich, dass ich nächstes Jahr, trotz meines Bürokrams, auf der Alp Laret von Selina und Familie wieder so freundlich empfangen werde.

Zum Autor
Reto Rauch aus Sent GR ist Ingenieur Agronom und SVP-Kantonsrat. Er schreibt für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.