Gefehlt hat es weder an den Ziegen noch an der schönen Wandergegend, dass zwischen dem Schreiben der Facharbeit für den Abschluss Bäuerin FA im Sommer 2023 und der Umsetzung des Projektes «Ziegen-Zeit» im September 2024 über ein Jahr vergangen ist. «Es brauchte Mut. Mut, das Projekt umzusetzen und zu schauen, ob denn auch jemand daran Interesse hat», erzählt Cornelia Stalder. Die 41-Jährige wohnt mit ihrem Lebenspartner und dem gemeinsamen Sohn auf dem Hof Unter Saalen. Dieser liegt gute sechs Kilometer über Hergiswil bei Willisau auf 900 m ü. M. in hügeliger Landschaft mit viel Wald.
Zwei Rassen, 15 Ziegen
Im April 2019 haben Cornelia Stalder und ihr Partner die ersten vier Nera-Verzasca-Ziegen gekauft, ursprünglich für die Landschaftspflege. Auf dem rund 25 ha grossen Bio-Betrieb gebe es besonders bei der Futterernte viel Handarbeit. So wollten sie das Problem der Verbuschung des an die Waldränder angrenzenden Grünlandes lösen, indem sie die Ziegen dafür einsetzten. Entsprechend wählten sie auch die Rasse so, dass diese zur Art der Landschaftspflege passt. Heute sind es gesamthaft 15 Ziegen, sowohl Nera Verzasca als auch Capra Grigia – beides Pro-Specie-Rara-Rassen, die ähnliche Eigenschaften besitzen. Mit beiden Rassen wird gezüchtet; aktuell haben sie einen eigenen Nera-Verzasca-Bock.
«Die Ziegen sind Feuer und Flamme für das Wandern, das merkt man»
Cornelia Stalder, Bäuerin, Pferdepflegerin
Entspannung pur
Die Idee, das Angebot des Ziegenwanderns als Facharbeit auszuformulieren, kam Cornelia Stalder schon früher. Denn als sie – noch vor Corona – bei der Spitex, unter anderem als stellvertretende Leiterin Hauswirtschaft, gearbeitet hatte, sei sie häufiger an ihr Limit gelangt, mit viel Arbeit und wenig Freizeit. So brachte sie die Ziegen daheim jeweils am Morgen zu Fuss auf die Weide und holte sie am Abend wieder nach Hause. Sie merkte: «Da chunnsch so obe abä», da könne sie sich erden. Und wenn es ihr so gehe, dann könnte es vielleicht anderen auch so gehen, war ihr Gedanke. Daraus entstand die Facharbeit über «Ziegen-Zeit».
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An einem Strick ziehen
Um sich Feedback einzuholen, habe sie vorab eine Wanderung mit Kollegen und deren Kindern gemacht, erzählt Cornelia Stalder. Bereits von diesen sei die Rückmeldung sehr positiv gewesen. Den letzten Anstoss gab dann das Tourismusbüro Willisau, das ihr Mut machte, das Projekt umzusetzen. Schnell war jedoch klar, dass sie das Projekt nicht alleine umsetzen konnte. Denn auch die Nachbarn und die Familie mussten einverstanden sein.
Erstere, weil sie auch Höfe und Parzellen von ihnen überquerte. Letztere, weil fremde Menschen auf dem Hof sein würden und auch die Betreuung ihres Sohnes in der Zeit gewährleistet sein musste. «Du musst mit den Leuten im Austausch sein, sonst funktioniert es nicht. Klar, ist es mein Projekt, aber ohne die Menschen drumherum ginge es nicht», stellt Stalder klar.
Kommunikation lernen
Jede Ziegenwanderung sei ein Lernprozess. Sie analysiere für sich im Nachgang immer, was gut gewesen sie oder noch an etwas Optimierung bedürfe.
Vor der Wanderung geht Stalder mit den Gästen in den Stall und erklärt ihnen die Eigenschaften, die Nahrungsaufnahme und auch die Kommunikation der Ziegen. So wird spielerisch etwas gelernt, und die Ziegen können auf der Wanderung anschliessend beobachtet werden. Wann stellen sie das Fell auf? Wie klingt ein unwilliges Meckern? Was bedeutet die Kopfhaltung?
Da Stalders Ziegen alle Hörner haben, ist dies nicht nur lehrreich, sondern auch ein kleiner Knigge für den Umgang unterwegs. Welche Ziegen dann mit auf die Wanderung dürfen, entscheidet sie bereits im Vorfeld. «Bei einem Grosi mit ihren Enkelinnen nehme ich eher Muttertiere mit Gitzi mit, bei einer Männergruppe darf schon auch mal der Bock mit», sagt Stalder und schmunzelt.
Das Coole am Ziegenwandern sei, dass man mit den Tieren nichts Unnatürliches mache, ihnen nichts aufzwinge. Denn das Laufen für die Nahrungsaufnahme sei ein natürliches Verhalten. Sie passe sich beim Wandern jeweils dem Tempo der Ziegen an: «Die Ziegen sind Feuer und Flamme für das Wandern, das merkt man», sagt sie. Einigen sehe man sogar an, dass sie enttäuscht seien, wenn ein Auto auf den Hof fahre und es nicht Besuch für sie sei. Die Tiere gehen nur an der Strasse oder bei der Querung von Hofplätzen am Halfter, den Rest spazieren sie frei mit.
Das Wanderangebot
Wer mit den Ziegen Zeit verbringen möchte, kann dies entweder bei einer Stallvisite oder bei zwei verschieden langen Wanderungen gemeinsam mit Cornelia Stalder tun. Das schönste sei, wenn sie mit vor Freude strahlenden Leuten und ihren motivierten Tieren unterwegs sein dürfe. Und wenn man sehe, wie die Gäste nach der Wanderung selig heimgehen. Das sei einfach toll, meint die Bäuerin. Seit sie nicht mehr extern arbeite, schätze sie den Kontakt und die Entspannung, die auch bei ihr während der Wanderung eintrete, sehr. Sie nehme dann nicht einmal den Hund mit. Ihre Aufmerksamkeit schenke sie voll und ganz ihren Gästen und den Ziegen, was diese wiederum sehr schätzten.
Telefonisches Beratungsgespräch
Beim telefonischem Buchungsgespräch können mögliche Fragen der Gäste geklärt werden. So erhalten die Besucher(innen) einen ersten Eindruck, worauf sie sich einlassen und dass alle Gäste Freude haben, mit den Ziegen etwas zu erleben. Auf diese Weise werde es ein tolles Erlebnis für Mensch und Tier. Dabei spielt das Alter offensichtlich kaum eine Rolle: Männer, Frauen, Mädchen und Buben, zwischen drei und ungefähr 70 Jahren, alle konnte Cornelia Stalder begeistern. Einzig rollstuhlgängig seien die Wanderungen nicht, dies könne sie nur bei der Stallvisite einrichten.
Die nächste Idee sei es, das Angebot weiter auszubauen, um auch seh- oder hörbehinderten Menschen Wanderungen zu ermöglichen. Wenn man Cornelia Stalder zuhört, wie sie von den Ziegen, dem Wandern und dem Austausch mit den Gästen schwärmt, würde man nicht denken, dass der fehlende Mut das Projekt einst beinahe in einer Schublade hätte verschwinden lassen.