Sie gehören zur Herde und können für die Schafe überlebenswichtig sein. Doch auf der Weide sind sie oft nahezu unsichtbar. «Christa, Bella», ruft Stefan Sprunger. Erst jetzt stehen zwei Montagne des Pyrénées von ihren Liegeplätzen im oberen Teil der Weide auf und traben schwanzwedelnd zum Zaun. «Von dort oben hatten sie den Überblick», erklärt Sprunger. «Meine Hunde sind freundlich, ruhig und stark. Die bellen nicht wegen jedes Spaziergängers oder Bikers.»

[IMG 2]Stefan Sprunger hat einen Landwirtschaftsbetrieb in Bubendorf BL. Zu seinem Hof gehören 350 Mutterschafe verschiedener Fleischrassen wie Rouge de l’Ouest, Texel, Dorper, Charolais und Scottish Blackface. Der 55-Jährige ist selbst mit zwölf Geschwistern auf einem Bauernhof aufgewachsen. Gelernt hat er ursprünglich Metzger, arbeitete dann elf Jahre als Greenkeeper, bevor er vor rund 20 Jahren den Hof in Bubendorf kaufte. Seit zehn Jahren züchtet er mit Leidenschaft Schafe, vor acht Jahren kamen die Herdenschutzhunde dazu.

Sommer auf einer Schafalp

Den Sommer verbringen Stefan Sprungers Mutterschafe und ihre Lämmer auf zwei Alpen im Kanton Uri. In den vier Wintermonaten betreibt er eine Wanderherde mit 600 bis 700 Schafen, die Tiere werden von einer Wanderschäferin betreut.

Die sonnigen Frühlingstage nutzt er zum Klauenschneiden. Ein Mutterschaf ist im Wendekorb fixiert und es offenbar gewohnt, regelmässig alle vier Beine in der Luft zu haben. Die nächsten Tiere warten schon im Treibgang.

«Bis 2015 war Herdenschutz für mich kein Thema», erzählt Stefan Sprunger in einer Pause. Doch dann gab es auf einer der Alpen, auf der seine Schafe weideten, die ersten Wolfsrisse. «Meine Frau überredete mich danach, zwei Welpen zu übernehmen und sie zu Herdenschutzhunden auszubilden.»

Stefan Sprunger machte den vorgeschriebenen Kurs, bildete die Jungtiere aus – und bekam Freude an der Arbeit. Mittlerweile züchtet er selbst, bildet Tiere für Bauern aus und ist im Vorstand des Vereins Herdenschutzhunde Schweiz. Der Bund hat den Verein für die Zucht und Ausbildung der beiden anerkannten Herdenschutzhunde-Rassen akkreditiert: Das sind Montagne des Pyrénées und Pastore Abruzzese.

Wartezeit für Hunde

Abo Wolfspräsenz Nicht jeder Betrieb bekommt einen Herdenschutzhund Wednesday, 19. April 2023 Derzeit gibt es in der Schweiz rund 40 zugelassene Züchter. Die Hunde werden nur mit Bewilligung an geprüfte Halter abgegeben, die Wartezeit beträgt bis zu zwei Jahren. Seit die Wolfspopulation in der Schweiz wächst, ist das Interesse an Herdenschutzhunden gestiegen.

Geschätzt wird, dass die Wölfe im Jahr 2022 erstmals mehr als 1000 Nutztiere gerissen haben. Der starke Wolfsdruck führte dazu, dass viele Herdenschutzhunde während der Alpsaison an ihr Limit kommen.

 

Zu wenig Hunde, zu viele Schafe

«Der grösste Fehler ist, wenn zu wenige Hunde mit zu vielen Schafen auf einer Alp sind, dann steigt das Risiko für Wolfsrisse», sagt Stefan Sprunger. Je nach Gelände können zwei Hunde Herden mit bis zu 400 Schafen schützen. Bei grösseren Herden müssten es vier oder gar sechs Hunde sein.[IMG 3]

Doch auch dann sind die Alpsommer für die Tiere eine anstrengende Zeit. «Viele Hunde stehen praktisch dauernd unter Strom. Sie sind gestresst, und gestresste Hunde machen Fehler.» Sie reagieren aggressiv auf Wanderer, lassen die Herde allein, beissen Schafe, den Hirten oder die Bäuerin. Wie lässt sich das vermeiden?

«Durch Genetik und Ausbildung», sagt Stefan Sprunger. Die Hunde müssen sich durch Herdentreue sowie ein angepasstes Verhalten gegenüber Hirten, Touristen und der Öffentlichkeit auszeichnen. «Doch das klappt nur, wenn ihr Wesen stabil ist.»

Hunde mit stabilem Wesen

Solch ein stabiles Wesen kann man sowohl während der Ausbildung fördern wie auch während der Wintermonate. Denn oft sind die Hunde ausserhalb der Alpsaison unterfordert. Sie leben auch dann mit ihrer Schaf- oder Ziegenherde, vielerorts die meiste Zeit im Stall.

«Die Hunde sehen immer nur die gleiche Herde und den gleichen Stall. Viele beginnen dann übermässig zu bellen.» Das gibt oft Ärger mit den Nachbaren. Die Halter sind verpflichtet, den Hunden täglich Auslauf zu bieten, doch Spaziergänge seien keine Lösung. «So lernt der Hund, von der Herde wegzugehen.»

Schulung für Hirten

Also die Hunde das ganze Jahr draussen auf den Weiden lassen? Auch das geht an die Substanz. Die Tiere kommen nie zu Ruhe: Tagsüber halten sie Spaziergänger, Bikerinnen und Wanderer auf Trab, nachts Füchse und Wölfe. «Damit die Hunde runterfahren können, sollten sie regelmässig angebunden werden», erklärt Stefan Sprunger. «Die Hirten müssen entsprechend geschult werden.»

Schon während der Ausbildung sollten die Hunde mit unterschiedlichen Umweltreizen ihre Erfahrungen machen: verschiedene Gebiete, Velofahrer und Joggerinnen, Paare mit spielenden Kindern und eigenen Hunden, nachtaktive Tiere. «Du musst als Ausbildner spüren, was die Herdenschutzhunde brauchen.»

Prüfung im Teenageralter

Mit rund 15 bis 18 Monaten absolvieren alle Herdenschutzhunde eine «Einsatzbereitschaftsüberprüfung». Geprüft werden sie dabei auf ihre «Führigkeit sowie auf ihr herdentreues und gesellschaftskompatibles Verhalten», wie es auf der Website des Vereins Herdenschutzhunde heisst. «Eine Riesenprüfung», weiss Stefan Sprunger. Vor allem, weil die Hunde dann eigentlich noch Teenager sind. «Sie haben manchmal noch Flausen im Kopf.»

Als Beispiel nennt er die Dämmerung auf den Weiden. Die Lämmer spielen oft noch, rennen in Gruppen umher. Ein junger, unerfahrener Hund will freudig mit der Herde mitspielen – und beisst nach Hundeart dabei auch mal zu. «Da muss man als Ausbildner oder Hirte sofort eingreifen.»

Ein Befehl reicht

Mit dem Pick-up geht es zu einer der beiden Hangweiden auf der anderen Dorfseite. Border-Collie-Hündin Malea treibt die Schafe für ein Foto etwas zusammen. Die beiden Herdenschutzhunde, die erst acht Monate alte Cara und die zweijährige Flavi, kommen freudig wedeln näher und beginnen kurz darauf, miteinander zu spielen.

Mit dem Befehl «ferma» erinnert Sprunger seine Hunde daran, wieder zur Herde aufzuschliessen. Den Begriff könnte man doch auf die grünen Tafeln schreiben, die Wanderer informieren, dass in einem Gebiet Herdenschutzhunde im Einsatz sind, schlägt er vor. «Das könnte bei Begegnungen beruhigend wirken.»

Schafe eng halten

Auf unwegsamen Alpen können nur Herdenschutzhunde den Herden einen effizienten Schutz bieten. «Wo es das Gelände zulässt, funktioniert es mit Umtriebsweiden am besten und wenn die Hirten die Schafe eng halten», weiss Stefan Sprunger. Doch in sehr steilem, felsigem Gelände kann man die Sektoren nicht rundum wolfsicher einzäunen. Der beste Herdenschutz sei eine Kombination aus Zäunen, stabilen Hunden und Wolfsregulation, meint er weiter.

Zurück auf dem Hof macht sich Stefan Sprunger wieder ans Klauenschneiden. 2023 wird das bestehende System mit den Herdenschutzhunden wie bisher weiterlaufen, erzählt er vor dem Abschied. Und 2024? Der Schafzüchter zuckt die Achseln. «Es gibt Änderungen, doch noch wissen wir nicht konkret, wie es weiter geht.»

Verein Herdenschutzhunde Schweiz: www.cpt-ch.ch

In Zahlen
457 Herdenschutzhunde waren am Stichtag im Jahr 2022 offiziell registriert.
200 Herdenschutzhunde waren es im Jahr 2011, die Anzahl hat sich also mehr als verdoppelt.
250 Wölfe, mindestens, leben mittlerweile in der Schweiz, schätzt das Bundesamt für Umwelt.
16 Wolfsrudel sind derzeit bekannt.
20 Kantone mit gesicherten Wolfsnachweisen.
1996 wanderten erstmals einzelne Wölfe aus Italien wieder in die Schweiz ein, nachdem sie ausgerottet worden waren.
2012 bildete sich das erste Rudel.