Es herbstelet im Engadin. Die schönste Jahreszeit ist im Anmarsch. Die ersten Lärchen werden gelb, die Bündner Hochjagd ist im vollen Gange. Die Kühe kommen von der Alp und die ersten Hirsche sind in der Brunft und röhren die ganze Nacht. Die Sommersaison ist vorbei und bis zu den Herbstferien bleibt es noch ein paar Tage ruhig. Ich nutze diese Zeit, um in meiner Jagdhütte in Uina die Winter-Menükarte des Restaurants San Jon vorzubereiten. Regional muss diese sein, das ist klar, und darum darf natürlich eine einheimische Zvieri-Platte mit Engadiner Bergkäse, Hirschsalsiz und Brot nicht fehlen. Also los gehts mit der Deklaration und diese ist inzwischen schon fast etwas langweilig. Käse enthält Milch, Brot enthält Gerste oder Weizen. Bei der Butter nicht vergessen: Achtung lebensgefährlich, enthält Fett usw.

...kann süchtig machen

Abo Gastbeitrag zur Deklarationspflicht Frische Kuhmilch – der Krankmacher der Nation! Wednesday, 28. September 2022 Etwas komplizierter wirds beim Hirschsalsiz aus einheimischer Jagd. Wir leben ja in einer Grenzregion und ich weiss nicht, ob dem Wild die genauen Landesgrenzen bekannt sind. Also deklarieren wir besser mit: Hirsch könnte Spuren von Tiroler Alpengras enthalten. Und wenn zur Zvieri-Platte auch noch Bier oder Rotwein getrunken wird, dann ist ein Warnschild wichtig, denn dies kann süchtig machen!

Ein paar Zeilen lasse ich frei, falls im Verlaufe des Winters noch weitere sinnvolle Vorgaben vom Amt für Lebensmittelsicherheit Graubünden herausgegeben werden. So drei, vier Fusszeichen sollten gerade noch reichen. Ob es aber vernünftig ist, eine solch gefährliche Platte auf die Menükarte zu nehmen, bin ich mir nicht mehr ganz sicher. Vielleicht wäre so eine gesunde Vitamin-Brause von Novartis, made in China, mit aufbereitetem Wasser, doch besser. Die Deklaration ist da auch ganz einfach: «Bei Risiken und Nebenwirkungen kontaktieren Sie unsere Hotline in Singapur.» Und ein bisschen regional ist ja Novartis schliesslich auch …

Wettkampf um neue Einnahmequellen 

Und weiter gehts. Ich muss ja noch einen Verkaufspreis festsetzen. Landwirtschaftliche Produkte sind günstig, das geht noch. Hinzu kommen aber:

  • Die Mehrwertsteuer – natürlich will die Steuerverwaltung auch etwas daran verdienen.
  • Die Bio-Lizenzabgabe und diese muss zwingend deklariert werden.
  • Ein paar Rappen für die Tourismusförderabgabe der Gemeinde, denn auch diese braucht Geld.
  • Ein paar Rappen für die Kontrollstelle des Landesgesamtarbeitsvertrags Gastgewerbe (L-GAV). Die brauchen natürlich auch ein paar Millionen in der Kriegskasse. Ich weiss zwar nicht für was, aber es ist einfach so.

Zur Sicherheit überlege ich noch, was in nächster Zeit alles auf uns zukommen könnte. Beim Bund, beim Kanton und bei der Gemeinde läuft ja fast ein Wettkampf um neue Einnahmequellen.

  • Auf Käse vielleicht ein paar Rappen für die Klimaabgabe auf die rülpsende Kuh.
  • Auf die stromintensive Brotproduktion ein paar Rappen Treibstoffabgabe für das Betreiben von Windmühlen in windarmen Regionen.
  • Auf Butter ist klar, eine Fettsteuer.
  • Beim Hirschsalsiz vielleicht eine Zollabgabe auf Import von Tiroler Alpengras.
  • Und wer weiss, vielleicht brauchts auch noch ein paar Rappen für eine eidgenössische Kontrollstelle für Handy-Fotos, falls jemand auf Instagram ein Bild der Zvieri-Platte publizieren würde.

Habe ich wirklich nichts vergessen? Nein, ich glaube das wars. Ich lehne mich zurück, geniesse den gemütlichen Abend in meiner Jagdhütte und bin extrem froh, dass ich in einem freiheitlichen Staat leben kann, wo die Eigenverantwortung noch zählt.

Zur Person
Reto Rauch aus Sent GR ist Ingenieur Agronom und SVP-Kantonsrat. Er schreibt für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.