Es ist die Nacht vor der Entscheidung. Um ein Lagerfeuer inmitten eines Baumkreises in Soubey im Jura scharen sich knapp 40 Kandidatinnen und Kandidaten. Sie alle sind interessiert, den Demeter-Hof Masesselin zu übernehmen. Sanftes Gitarrenklimpern und das Knistern des Feuers formen den Klangteppich für tiefgründige Gespräche über die Zukunft. Studenten der Umweltwissenschaften unterhalten sich mit Agronomen, Naturverbundene melden sich dazwischen zu Wort. Heiltherapeuten und Demeter-Landwirte tauschen sich über ihre Ideen aus. Ein kunterbunter Haufen mit kunterbunten Visionen. Inmitten der angeregten Gespräche tummelt sich auch der jetzige Hofbesitzer. Nicolas Barth ist nie nur an einem Ort. Wie ein Wirbelwind geht er umher und ist dabei in allen Gesprächen präsent.
Kleines Paradies
Natürlich, denn es geht ja auch um die Übergabe seines Hofes Masesselin in Soubey JU. Das Anwesen befindet sich in einem Naturreservat auf den Auen des Flusses Doubs. Er liegt auf 460 Meter Höhe, hat 20 Hektaren Nutzfläche und zwölf Hektaren Wald. Dazu kommen 80 Obstbäume und 15 Rinder in der Mutterkuhhaltung. Barth bewirtschaftet zudem ein Stück Land von Pro Natura. Die Wiese braucht einen Schnitt im Herbst, welchen er als Einstreu nutzen kann.
Es ist, wie ein Kind zu verlieren
All das loszulassen ist nicht leicht, wie der 59-jährige Bauer wehmütig sagt. Es sei, wie ein Kind zu verlieren. «Ich habe diesen Hof wirklich gerne, und deshalb möchte ich den Hof an Menschen übergeben, die platzen vor Glück, wenn sie hier sind» ergänzt der drahtige Mann, der seinen nackten Oberkörper während des ganzen Hofnachfolgerfestes von der Sonne bescheinen lässt. Seine Hosen sind aus Leine und selbst genäht, wie er stolz berichtet. «Fünf Jahre bevor man aufhört, muss die Nachfolge geklärt sein», so Barth. Das habe er jedenfalls gehört. Um den Hof an die Richtigen weiterzugeben, organisierte der Demeter-Bauer am ersten Juni Wochenende ein Fest. Am Samstag gab es eine Hofführung, später kamen die Gäste in Genuss von traditionellem Flammkuchen aus dem Holzofen. Am nächsten Tag sollten die verschiedenen Gruppen ihre Ideen für den Hof präsentieren.
Nur zur Pacht
Bis spät in die Nacht dauern die Gespräche am Feuer noch an. Eine Frage hallte im Kreis wieder. Der Hof kann nicht gekauft werden, Nicolas Barth möchte ihn nur für einen Zeitraum von fünf, zehn oder 15 Jahren verpachten. Viele stellen sich ihr Projekt aber als Lebenswerk vor. Kann man solch ein Werk nach einigen Jahren an einen anderen Ort verschieben? «Ich möchte den Hof als einen Ort abgeben, der die Menschen bei ihrer Ankunft begeistert. Aber sie sollten auch wieder gehen können», mein der momentane Besitzer dazu. So könne der Platz immer wieder neuen Menschen zur Verfügung stehen. Irgendwann richten sich die Gäste ein Nachtlager her. Einige schlafen im Zelt, andere ziehen den Sternenhimmel vor. In einer Ecke baumeln im sanften Abendwind zwei Hängematten.
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Visionen für den Hof
Am nächsten Morgen ist die Stimmung auf dem Hof nicht mehr ganz so friedlich. Um Punkt zehn, nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet, steht Nicolas Barth mit einer Kuhglocke im Baumkreis und bimmelt die Hof-Suchenden herbei. Jetzt folgen die Präsentationen.
Ein Kribbeln erfasst den Baumkreis, als befände man sich in einem Ameisenhaufen. Die erste Gruppe ist eine Familie mit Hund. «Unsere Vision ist es, einen Hof der Integration aufzubauen», meint der junge Familienvater. Nach und nach erklären neun Gruppen ihre Vision für den Hof – Jede hat fünf Minuten Zeit. Es sind Projekte von Visionären, die in der Landwirtschaft neue Dinge ausprobieren möchten. Auch der soziale Gedanke ist für viele zentral.
Kreative Köpfe
Mit ausgefallenen Extras versuchen die Gruppen das Publikum zu begeistern. Der Kreativität scheinen keine Grenzen gesetzt: Von einer Gruppenmeditation über ein liebevoll gebautes Modell des zukünftigen Hofes bis zu einem Jodel über das Projekt wird alles probiert. Das Publikum versucht, sich in der prallen Sonne zu konzentrieren. Auf ausgefallenen farbigen Plakaten haben die Gruppen ihre Projekte zusätzlich in Schrift und Bild festgehalten. Diese hängen sie mit Wäscheklammern an eine Leine.
Auch die Nachbarn sind zugegen. Claudia Schneider vom Schafzuchtbetrieb Bergerie de Froideaux sucht gerade selbst eine Nachfolge für ihren Demeter-Hof mit 200 Schafe. Sie selbst möchte sich wieder mehr auf andere landwirtschaftliche Bereiche neben der Schafzucht konzentrieren. Auch Jasmin Blaser betreibt bald einen Hof in der Nähe. Ende Jahr übernimmt sie den Betrieb mit rund 100 Schafen und einigen Ziegen. Auch sie wäre froh um helfende Hände.
Drei Gruppen in der engeren Auswahl
Dann kommt die Entscheidung. Die Zuschauer und die Gruppen können jeweils mit drei Stecknadeln ihre Lieblingsprojekte markieren. Nach den Präsentationen scheinen sich die Kandidatinnen und Kandidaten wieder zu entspannen. Lustige Gespräche beginnen in der aufgelockerten Stimmung, Kontakte werden ausgetauscht, Ideen gelobt.
Ein Bimmeln lässt nochmal Spannung aufflammen. Die Partnerin von Barth, Susanne Wengler, gibt die Auswertung bekannt. Die Projekte von Hannes Blaser, Henrik Hoeren und dem Paar Marta Ostertag und Matthias Leuenberger haben am meisten Stecknadeln geholt. Die drei Gruppen haben nun die Möglichkeit, in diesem Jahr für eine Woche nach Masesslin zu kommen und ihre Ideen weiter auszuarbeiten. Wenn sich Nicolas Barth für keine der Gruppen begeistern kann, gibt es dann in einem Jahr ein weiteres Hofnachfolgerfest – was den leidenschaftlichen Gastgeber wohl nicht allzu sehr stören würde.
Zukunft Erdhaus
Und wie geht es bei Nicolas Barth weiter? «Ich mache en Beitz uf», sagt er mit baslerdeutschem Akzent. Er wolle dann in die Nähe der Stadt Basel ziehen und dort in einem Erdhaus wohnen, meint er und schmunzelt. Dann streckt er seine Arme erst weit aus, dann nach oben und dehnt sich. Die Spannung scheint auch von ihm abgefallen zu sein.