«Ich bin keine Bäuerin, ich bin die Frau des Bauern», sagt Beate Städler ganz unverblümt. Die 44-Jährige lebt mit ihrem Mann und vier Kindern auf einem Biobetrieb in Oberuzwil SG. Nebst ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau arbeitet Städler 10 Prozent auf dem Betrieb und 60 Prozent auswärts als Ergotherapeutin MSc. Aber nicht mehr lange. In naher Zukunft macht sie sich selbstständig. Bis zu diesem Schritt war es ein langer Prozess.

Mutter und Studentin

Für Beate Städler, die aus einem 300-Seelen-Dorf im Süden von Deutschland kommt, war von Anfang an klar, dass sie und ihr Mann Mathias ein Team bilden. Wie dieses Team funktionieren wird, wenn sich daraus eine Familie bildet und Mathias Städler selbst einen Hof erwerben wird, liess sie optimistisch offen. Als sich die beiden kennenlernten, war sie Ergotherapeutin und er Landwirt ohne eigenen Hof.

Nach der Heirat bewarb sich Beate Städler für den «European Master of Science in Occupational Therapy» und wurde angenommen. Parallel dazu bewarb sich das Ehepaar erfolgreich für die Pacht des Platanenhofs in Oberuzwil im Kanton St. Gallen. «So waren wir beide erst einmal für ein paar Jahre gut beschäftigt», meint sie lachend. Mathias Städler mit der Hofführung und Beate Städler mit dem Studium, das fünfmal einen zweiwöchigen Aufenthalt in fünf europäischen Ländern und deren Hochschulen verlangte.

Abo Einfach so entspannt rumliegen kommt bei Lisbeth Arnbjerg nicht häufig vor: Die 56-Jährige bewirtschaftet mit Mann, Sohn und drei Angestellten einen Hof in Olgod, einem Ort im Westen des dänischen Jütlands. Bäuerinnenporträt «Es macht mich glücklich, andere glücklich zu machen» Sunday, 28. August 2022 Die Familienplanung schneite früher ein als geplant, so dass Studium und Kinderplanung zusammenkamen. Sie merkt an: «Sehr spannend und genau nach meinem Geschmack, eine echte Challenge.» Denn das Ehepaar als Team wurde nun auf die erste Probe gestellt. Ehrlich gibt sie zu: «Wir waren tatsächlich entsetzt, wie unmöglich sich der andere verhalten kann.» Die Freude an den vier Kindern und die eigene berufliche Herausforderung liessen es jedoch zu, nicht lange über Unstimmigkeiten auszuharren.

Grosse Erwartungen

Das Masterstudium in der Tasche, die Familienplanung mit vier Kindern abgeschlossen und weitere betriebliche Veränderungen zogen Beate Städler dann ganz gwundrig zu den Arbeiten auf dem Hof. Für sie war klar, als das jüngste Kind drei Jahre alt war, dass sie nun tatkräftig mithelfen könne.

Abo Rollenverteilung auf dem Landwirtschaftsbetrieb «Mann muss nicht eine Rolle, sondern sich selber finden» Monday, 26. September 2022 Ganz offen erzählt die 44-Jährige, dass sie und ihr Mann nicht gut zusammenarbeiten können. «Er hat eine klare Vorstellung, wie die Arbeit gemacht werden muss, damit reibungslos, effizient und qualitativ hochwertig produziert werden kann – genau so und nicht anders.» Egal, was und wie sie es tat, es entsprach nicht seinen Vorstellungen. Vorwürfe macht sie ihrem Mann deswegen heute nicht mehr. «Als Bauer ist man an Strukturen gebunden. Der Betrieb muss laufen und das 365 Tage im Jahr», sagt sie und fährt fort: «Ich bewundere meinen Mann, wie er intuitiv klare Entscheidungen treffen kann. Wie er unserer Familie Sicherheit bietet und Freude an seiner Arbeit behält.» Dennoch, ihr Mann und sie seien zwei komplett unterschiedliche Typen. 

Es braucht auch die Kieselsteine

Beate Städler erklärt es anhand eines Bildes: «Mein Vater sagte mir immer ‹Beate, man braucht nur fünf Steine, um über den Fluss zu kommen. Man muss nicht einen Kieselstein neben den anderen legen›.» Sie sei der Typ, der die Kieselsteine suche, während ihr Mann sich auf das Wesentliche konzentriere. Er sei ein genialer Pragmatiker und sie eine leidenschaftliche Analytikerin.

«Ich analysiere die Arbeit und das Tun von Menschen immer in Bezug auf ihr mögliches Potenzial.»

Beate Städler zu ihrem Charaktertyp

So erkenne sie schnell, was in der Kette von Handlungen eines Menschen verändert werden darf, um auf einem Lebensweg von Glück, Gesundheit und Lebensfreude bleiben zu können oder dort hinzukommen. «S Läbä muä fägä», findet Städler und strahlt dabei.

Einfluss auf die betrieblichen Veränderungen hatte Beate Städler dennoch in gewisser Weise. Sie erzählt: «Als Moritz 2008 zur Welt kam, fragte ich meinen Mann, warum wir nicht biologisch produzieren.» Er habe sie damals völlig entgeistert angesehen. Zwei Jahre später stellte er auf Bio um. Auch dass der mittlerweile eigene Betrieb heute Legehennen hat, ist wohl ein bisschen Beate Städler zu verdanken. «Als 2008 die Milchpreise so tief waren, fragte ich, ob wir nicht noch etwas anderes machen könnten.» Es folgte 2012 der Bau von zwei Hühnerställen à je 2000 Plätzen. Die Eier werden an die Ei AG verkauft, ein Teil wird direktvermarktet.

Sie entschied, zu bleiben

[IMG 2] Die vierfache Mutter war top motiviert, im Hühnerstall mitzuarbeiten. «Doch das Gefühl zu bekommen, dass man nichts auf die Reihe bekommt, obwohl so viel auf der Reihe war, machte mich extrem traurig und liess mich an mir selber zweifeln.» Einen Ausweg aus dem Stimmungstief gab es auch nach gemeinsamen Gesprächen nicht. Irgendwann sei sie an den Punkt gekommen, an dem sie gemerkt habe, dass sie so nicht mehr weitermachen kann.

Alles hinzuschmeissen und zu gehen, war für sie zeitweise eine Option, aber nach reiflicher Überlegung kein Thema. «Ich entschied: Wenn ich ihn nicht ändern kann, ändere ich mich. Ich fragte mein Herz, was will ich, was mich antreibt und was mich glücklich macht.» Plötzlich habe es eine enorme Wende und Entwicklung in der ganzen Familie gegeben und sie entschloss sich klar, zu bleiben. «Das gewisse Mass an Nähe und Distanz voneinander mussten wir uns hart erarbeiten», sagt sie rückblickend.

Zurück in den Beruf

Wie durch ein Wunder fand sie nach diesem klaren Entscheid in Gais in Appenzell Ausserrhoden eine 60-Prozent-Anstellung als Ergotherapeutin MSc. So konnte sie weiterhin ihre Aufgaben als Mutter in der Familie wahrnehmen. In diesen zwei Jahren, in denen sie wieder auf ihrem erlernten Beruf arbeitete, wuchs bei ihr der Wunsch, sich selbstständig zu machen. Dieser Lebenstraum wird ab Januar 2023 Realität. «Selbstständigkeit bedeutet für mich Unabhängigkeit», hält Städler fest.

Und doch, die Arbeiten auf dem Hof im Hühnerstall und als Ruhepol in der Familie bleiben bewusst bestehen. Das akzeptiere auch ihr Mann, sagt sie schmunzelnd.

«Mich braucht es in dem Gefüge, gar keine Frage. Weniger für die Stallarbeiten, jedoch mehr als Energieausgleich.»

Beate Städler zu ihrer Rolle im Haus, in der Erziehung und auf dem Hof

Dann erzählt sie fast beiläufig, dass sich beim Eierputzen mit den Lehrlingen immer spannende Gespräche ergeben. «Etwas, das ich sehr schätze und dabei automatisch erspüren kann, wo Mensch und Tier gerade stehen.» Eben genau das, was ab und an in Vergessenheit gerät, wenn man sich nur auf die fünf Steine verlässt, um über den Fluss zu kommen.

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Kraft aus den Wurzeln

«Kieselsteine sind in dieser Metapher vielleicht einfach nur Gefühle, die es anscheinend nicht braucht, um über den Fluss zu kommen», fährt Beate Städler fort. Doch um ein Leben in Gesundheit, dem vollen Potenzial undmit Lebensfreude führen zu können, brauche es auch die Kieselsteine, betont sie mit feuchten Augen. «Sie sind vielleicht nicht so effizient, dafür ausdauernd und nachhaltig.»

Es brauche beides: die Pragmatik und die Analyse, das schnelle, effiziente, qualitative Handeln für die Richtung, gekoppelt mit «sich mal rausnehmen dürfen» und sich von aussen betrachten, wie es einem gerade damit geht. «Ich nenne es das Navigieren der Richtung, denn die verändert sich täglich und darf mit vielen Familienmitgliedern immer wieder neu gemeinsam angeschaut werden», erläutert sie.

Bei der Frage, woher sie die Kraft schöpfe, überlegt Städler sehr lange. Dann sagt sie: «Von meinen Ahnen, aus den Wurzeln meiner Familie.» Sie sei ein Herzensmensch und habe den Glauben, dass immer alles gut komme. «Wenn ich am Verzweifeln bin, kommt von aussen irgendein Zufall, der mir zeigt, wie ich auf meinem Weg der guten Entwicklung bleiben kann.»

Sich selber bleiben

Kraft gibt ihr auch die eigene Familie. Das Wohnhaus der Familie Städler ist knapp einen Kilometer von den Stallungen entfernt. Die Lehrlinge haben eine eigene Unterkunft mit Massenlager, einer Küche und Bad. Diese befindet sich direkt auf dem Bauernhof. «Diesen Ort nutzen wir am Wochenende als Familienstärkung», erklärt Städler. Die Kinder kochen mittlerweile des Öfteren am Wochenende gerne abends selbst, so dass sie und ihr Mann einfach später dazukommen können. Es ist der Ort, wo die Kinder undBeate Städler gerne viel Zeit verbringen. «Hier können wir richtig auftanken, nach einer Woche Schule und den gesellschaftlichen Erwartungen.»

Dass Frauen zusätzlich zur Arbeit auf dem Hof, im Haus und mit den Kindern auswärts arbeiten, ist heute nichts Aussergewöhnliches. Beate Städler findet es wichtig, dass Frauen für sich selbst einstehen. «Darum habe ich momentan auch rot lackierte Fingernägel», sagt sie lachend.

«Der Punkt ist nicht, dass man als Frau auswärts arbeiten geht, sondern ob man das Potenzial, das in einem steckt, in den Strukturen ausleben darf, in denen man sich befindet.»

Beate Städler zum Fakt, dass Mütter nach einer gewissen Zeit wieder ins Erwerbsleben zurückkehren 

Sie bekomme zwar nicht alles, was der gesellschaftlichen Norm entspricht, unter einen Hut. «Aber ich bekomme alles unter einen Hut, was wir uns als Familie zum Ziel setzen.»