Frau Trepp, es wird gerne davon gesprochen, dass Frauen alles unter einen Hut bringen. Sind die Erwartungen der Gesellschaft an eine Frau grösser als an einen Mann?
Nina Trepp: Ich würde sagen, die Erwartungen der Gesellschaft an eine Frau und an einen Mann sind sehr unterschiedlich, ohne dies zu werten. Von Männern wird ganz viel Neues verlangt. Ein Mann ist nicht mehr nur Geldverdiener und Ernährer, er soll auch ein sensibler Partner und liebevoller Vater sein.
Frauen haben mittlerweile die Möglichkeit, trotz Kindern Karriere zu machen. Solange die Prozente für die Arbeit zu Hause jedoch nicht geringer werden, ist es unmöglich, alles unter einen Hut zu bringen. Das Defizit in Sachen Gleichberechtigung ist noch sehr gross. Auch wenn beide auswärts arbeiten und sich Hausarbeit und Kinderbetreuung teilen, ist der Anteil, den die Frau leistet, grösser. Man spricht auch von Mental Load, also die Verantwortung für den Gesamtprozess. So lange sich das nicht ändert, ist es unmöglich, alles unter einen Hut zu bringen.
In der Landwirtschaft ist eine Trennung von Beruf und Privat schwierig. Welche Möglichkeiten gibt es, diese Bereiche zu entflechten?
Indem man Klarheit schafft, was Arbeit resp. wann Arbeitszeit ist, wann Familienzeit und wann Paarzeit. Die Übergänge von Arbeit zu Privatleben müssen klar definiert sein. Zum Beispiel: Wenn ich die Arbeitskleider ausziehe und das Wohnhaus betrete, ist Familienzeit.
Ich empfehle, dies zu dokumentieren wie in einem Arbeitsvertrag, natürlich mit der für die Landwirtschaft notwendigen Flexibilität. Eigentlich muss man es genauso handhaben, wie wenn man im Büro arbeitet und am Mittag oder Abend heimgeht.
Welche Vorteile sehen Sie als Paarberaterin in dieser Konstellation?
Dazu gäbe es sehr viel zu sagen. Kurz gesagt: Auf der Prioritätensäule muss das Ich zuoberst stehen. Dann kommt das Wir als Paar, dann die Kinder und dann irgendwann die Arbeit. Diese Prioritätensäule gilt es einzuhalten. Paarzeit zu haben, ist etwas sehr Wichtiges.
Viele Beziehungen gehen zu Ende mit der Begründung, dass man sich auseinandergelebt hat. Da kann es ein Vorteil sein, wenn man wie in der Landwirtschaft zusammen-arbeitet. Man kann sich als Paar bewusst Zeiträume schaffen, auch ganz spontan. Das können kurze Momente sein, wie z.B. sich winken, wenn man sich mit dem Traktor kreuzt oder sich einfach mal in den Arm nehmen. Solche Momente geben dem Paarleben unglaublich viele Möglichkeiten und stärken es.
Haben Sie Tipps für jemanden, der auf der Suche nach dem richtigen Rollenmodell für sich selber ist?
Rollenmodell ist kein passender Begriff. Wenn ich versuche, eine Rolle zu finden, bin ich nicht echt und authentisch. Es geht nicht darum, eine Rolle zu suchen, sondern zu spüren: Was will ich? Wo will ich mich einbringen? Wo finde ich meine Erfüllung? Dazu gehört, seine eigenen Bedürfnisse und seine Grenzen zu kennen. Wenn ich weiss, was ich brauche, habe ich auch ein anderes Auftreten und kann alten Rollenmodellen, z.B. dem Rollenbild der Schwiegereltern, anders entgegentreten.
Zur Person
Nina Trepp ist Dipl. Körperzentrierte Psychologische Beraterin und bietet in Bern Paar- und Familienberatungen an.

