«​Ich möchte anderen Mut machen, auch als Frau einen Betrieb alleine zu managen. Es ist nicht immer einfach, aber schlussendlich zählt der Wille», erläutert die gebürtige Simmentalerin Jrene Schumacher an ihrem Küchentisch. Draussen geniessen einige Mutterkühe mit ihren Jungen die Sonne, die schon bald den Flaum Neuschnee schmelzen lässt. Auf dem Küchentisch liegen einige Fachbücher zu Homöopathie und Phytotherapie und auf der Sitzbank nimmt eine ältere Katze ihre Streicheleinheiten liebend gerne entgegen.

Kreisläufe schliessen

Das Tierwohl hat für Jrene Schumacher oberste Priorität und dank Kursen in Tierkommunikation und Alternativmedizin erkennt sie schnell, wenn es einem Tier nicht so gut geht und kann reagieren. Neben der kleinen Mutterkuhherde leben rund zwanzig Kaschmirziegen und eine Handvoll Hühner und Katzen auf dem biologisch-dynamisch bewirtschafteten Hof. Die Ziegen dienen ihr zur Landschaftspflege und Nutzung der Wolle.

Jrene Schumacher denkt in Kreisläufen und ganzen Prozessen, so auch in der Tierhaltung. Für die Eigenremontierung tränkt sie die meisten Kuhkälber mit rund sieben Monaten ab. Die Muni hingegen dürfen noch eine Weile bei der Mutter saugen, bis sie mit knapp einem Jahr zum Schlachthof fahren. Das Trennen von Kuh und Kalb unterstützt Schumacher homöopathisch unter anderem mit Phytolacca und Ignatia.

Ihre Tiere bleiben also bis an ihr Lebensende auf dem Betrieb, nur zum Schlachthaus müssen sie noch gefahren werden. «Ich will das Optimalste für meine Tiere und dieser Prozess muss bis ganz am Ende ‹verhäbe›, sodass ich voll und ganz dahinterstehen kann.» Auch beim geplanten Bau von Liegeboxen möchte sie Kreisläufe schliessen können und daher Holz aus dem eigenen Wald verwenden, auch wenn dies die Suche nach einer passenden Baufirma um einiges erschwert.

Im Sommer ist die Bäuerin oft in ihren Gärten zu finden: Sie kümmert sich um zwei Kräutergärten sowie einen Gemüsegarten, mit dem sie möglichst viel ihres Eigenbedarfes abdecken möchte. Die Kräuter und besonders die Heilpflanzen haben es ihr angetan, Heilpflanzen begleiten sie schon seit Kindheitstagen. Für ihren kleinen Hofladen stellt sie Salben, Teemischungen und Sirup mit Zutaten aus ihrem Garten her.

[IMG 2]

Auch ein grosses Herz für Kinder

Ihr grosses Herz schlägt aber nicht nur für Tiere. Neben ihrem Landwirtschaftsbetrieb arbeitet sie in der Kinderbetreuung beim Roten Kreuz. Sie geht zu Familien nach Hause, die gerade Unterstützung beim Betreuen ihrer Kinder brauchen. Dabei gibt es keine «typische» Familie – von Bauernfamilien bis zu Familien mitten in der Stadt ist alles dabei. Pro Familie sind es meist ein bis zwei Halbtage pro Woche, doch bereits diese wenigen Stunden Entlastung können von grossem Nutzen für eine Familie sein. So kommt Schumacher in Kontakt mit sehr verschiedenen Familienstrukturen und zu bewältigenden Problemen.

«Ich gehe jeweils ohne Vorurteile zu diesen Familien. Und dank meines Jobs tauche ich direkt in deren Alltag ein», erklärt die 52-Jährige. Sie erkenne mittlerweile schnell, wo die Problematik liege und in welchem Bereich sie die Familie unterstützen könne. Durch ihre offene und herzliche Art und ihre scheinbar unermüdliche, positive Energie, werde sie nicht selten zur Vertrauensperson der Familie und erfahre dadurch viel über die Familiensituation.

Die Musik wiederentdeckt

Schicksalsschläge gehen auch Schumacher manchmal sehr nahe. Sie erwische sich ab und an dabei, dass sie noch lange nach Feierabend an diese Familien denke. Wie handhabt sie dies? «Man muss wirklich belastbar sein. Auch ich arbeite daran, wie ich es schaffen kann, die Familien bestmöglich zu unterstützen und mich dennoch von ihnen abzugrenzen zu können» erklärt Schumacher. Um in solchen Situationen den Kopf lüften zu können, hilft ihr die tägliche Arbeit auf dem Hof, oder auch das Musizieren.[IMG 3]


Mit einem Lächeln im Gesicht fügt Jrene Schumacher hinzu: «Für mich persönlich war Corona super, denn in dieser Zeit habe ich meine Leidenschaft für die Musik wiederentdeckt. Als Kind habe ich örgelen gelernt, es hat mich aber nie so richtig gepackt. Während Corona – in dieser Zeit war ich mitten im Scheidungsprozess von meinem Exmann – begann ich, am Abend wieder öfter mein Örgeli in die Hand zu nehmen. Die Musik hat mir in dieser Zeit viel geholfen.» Heute ist sie in der Schwyzerörgeli-Grossformation Simmental-Saanenland aktiv und schätzt das Vereinsleben und den damit verbundenen Austausch mit anderen Vereinsmitgliedern sehr.

Neuanfang war nötig

Die gelernte Dehailhandelsfachfrau und Landwirtin lebte rund 20 Jahre zusammen mit ihrem Exmann im Welschland auf einem grösseren Bauernhof mit Milchvieh und Ackerbau. Für mehrere Jahre war sie Vollzeit mit ihren drei Kindern, Haus und Hof beschäftigt. Parallel dazu bewirtschaftete die Familie auch Schumachers elterlichen Betrieb in Därstetten BE. Doch dieser wurde durch die geografische Distanz und den geringen wirtschaftlichen Einfluss je länger, je mehr vernachlässigt. Da der kleine Bergbetrieb eine Herzensangelegenheit von Jrene Schumacher ist, liess sie die beiden Betriebe mit Hilfe eines Agriexperten "auseinandernehmen" und stellte ihren Heimbetrieb dabei auf Demeter um. Seit 2020 führt sie den Bergbetrieb eigenständig.

Es entstanden weitere Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und ihrem Partner. Er fuhr eine sehr intensive Betriebsstrategie, während sie das Tierwohl und gemeinsame Familienzeit klar priorisiert. «Ich spürte: Wenn ich so weitermache, gehe ich kaputt», sagt Jrene Schumacher rückblickend. Es brauche viel Mut, aus einer solchen Situation auszusteigen, doch es sei die richtige Entscheidung gewesen. So liess sie sich 2022 scheiden und begann in Därstetten einen Neuanfang.[IMG 4]

Auch der Agrotourismus wird Platz finden

Um sich und den Hof über Wasser zu halten, arbeitete sie anfangs oft auswärts in Hotels und Skigebieten. Heute ist sie auf einem guten Weg und auf dem Betrieb geht es vorwärts. Ihre Stelle beim Roten Kreuz möchte sie aber weiterhin behalten, denn die Arbeit mit Kindern bereitet ihr Freude und sie hilft liebend gerne: «Ich kann viel hineingeben, lerne aber auch viel und bekomme viel zurück.»

Pläne für die Zukunft hat sie viele. Auf dem Betrieb stehen als nächstes neue Liegeboxen für die Kuhherde an. Seit kurzem bietet sie ausserdem ein Bed and Breakfast an und künftig soll dieses Angebot durch eine Roulotte (Wohnwagen) erweitert werden. Damit soll der Agrotourismus aber noch nicht aufhören, denn in Zukunft stehen vielleicht schon bald zwei Pferde auf dem Hof, mit denen Schumacher Trekkings anbieten möchte. Es bräuchte wohl einiges, bis einer Frau wie ihr die Ideen und Energie ausgehen würden.

Fünf Fragen
 
Wie lautet Ihr Lebensmotto?
«Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst für die Welt» von Mahatma Gandhi

Welchen Traum möchten Sie verwirklichen?
Ich bin schon mittendrin, meinen Traum zu verwirklichen.

Wie belohnen Sie sich selbst?
Ich nehme mir Zeit für mich selbst und musiziere viel.

Welche drei Dinge nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?
Mein Örgeli, genug zu essen und zu trinken.

Was ist Ihr Lieblingslied und warum?
Ich komponiere sehr gerne selber Melodien und habe Musik in allen verschiedenen Variationen gerne.