Die meisten erinnern sich sicherlich noch an die verwüsteten Maisfelder im Frühsommer 2021 in der Schweiz, nachdem mehrere Hagelstürme über das Land gezogen sind und manche Landwirte ihre Felder zweimal ansäen mussten. Im Frühsommer 2024 sahen die Maispflanzen hier in Kambodscha ähnlich durchlöchert aus.

Die Ursache für dieses Bild sind nicht wie in der Schweiz Hagelstürme, sondern eine sehr gefrässige und polyphage Raupe. Die Rede ist vom sogenannten «Fall Armyworm» (Deutsch: Herbst-Heerwurm).

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Ein Wurm zieht um die halbe Welt

Seine Fähigkeit, wie eine Armee über Felder herzufallen, verdankt der Herbst-Heerwurm vor allem seiner schnellen Verbreitungskapazität und extremen Anpassungsfähigkeit.

Die ausgewachsene Version des Herbst-Heerwurms ist ein Nachtfalter, der mit einer Reichweite von bis zu hundert Kilometern pro Nacht sehr mobil ist. Zu den weiten Flugdistanzen kommt hinzu, dass weibliche Motten im Schnitt 100 bis 200 Eier pro Nacht legen. Sein Nachwuchs, die Larve, frisst am liebsten Mais, Reis und andere Gräserarten, kann aber auf über 300 andere Pflanzen ausweichen, wenn seine Lieblingspflanzen nicht verfügbar sind. Dieser Falter machte sich vor knapp einem Jahrzehnt von Amerika aus auf, um die Welt zu «erobern».

Zuerst reiste er, wahrscheinlich via Flugzeug, nach Afrika, wo er immense Schäden im Mais anrichtete. Danach zog er weiter nach Asien und kam im Jahr 2019 in Kambodscha an (mehr über das Land Kambodscha im grünen Kasten ganz am Ende dieser Reportage).

Keine Fachstellen

Für die Bäuerinnen und Bauern in Kambodscha ist es sehr schwierig, an gute Informationen zur Bekämpfung des Herbst-Heerwurms zu kommen. Im Gegensatz zur Schweiz gibt es hier fast keine Fachstellen für Pflanzenschutz. Die meisten Bauern greifen für Informationen und Produkte auf sogenannte «Input-Shops» zurück. Diese kann man sich wie kleine Landis vorstellen. Neben einer Fülle von Pestiziden können die Bauern hier diverse Betriebsmittel wie Dünger und Saatgut kaufen.

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Die Pestizide werden teilweise legal, oft aber illegal verkauft. Sprich, ohne amtliche Lizenz oder mit einem Beipackzettel in einer fremden Sprache, den die Bauern nicht verstehen. Und ohne Garantie, dass die «teuren» Pestizide auch wirken.

Das Ziel meiner Forschungsreise

Die gegenwärtige Praxis ist, dass die Bauern vorwiegend auf den Wirkstoff Emamectin Benzoat zurückgreifen, um den Herbst-Heerwurm kontrollieren zu können. Gegen diesen Wirkstoff haben sich in Brasilien allerdings bereits resistente Populationen entwickelt.

Ich will auf meiner Forschungsreise, die mich in den Nordwesten von Kambodscha, genauer nach Battambang, geführt hat, herausfinden, was die Bedürfnisse und Sichtweisen der Bauern sind. Und ich will erforschen, wie man den Herbst-Heerwurm im lokalen Kontext und mit den vorhandenen Möglichkeiten nach dem Ansatz des integrierten Schädlingsmanagements kontrollieren kann.

Integriertes Schädlingsmanagement bedeutet, dass man in einer effektiven und möglichst ökologischen Weise einen Schädling langfristig kontrollieren will, mit Methoden, die wirtschaftlich sind und möglichst kleine oder gar keine negativen Effekte auf Menschen und Umwelt haben.

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Deswegen evaluieren wir, die Bäuer(innen) und ich, die Wirksamkeit diverser Insektizide, die einen natürlichen Ursprung haben. Dies tun wir unter Praxisbedingungen auf acht verschiedenen Betrieben, die von Kleinbauern geführt werden. Die Insektizide sind unter anderem Neemöl, Bacillus thuringiensis-Bakterien, verschiedene entomopathogene Pilze und Viren.

Spezielle Bedingungen für die Feldforschung

Zu Praxisbedingungen gehört auch mal dazu, dass der Mais aufgrund der verzögerten Regenzeit zweimal gesät wird, dass hungrige Zebus und Wasserbüffel durch ihre Fressattacken das vorzeitige Versuchsende auf einem der Betriebe bestimmen. Oder dass mir ein Landwirt beim Interview mit einem verschmitzten Lächeln gesteht, dass er auch im Bereich des Feldversuches ein Insektizid appliziert hat.

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Neben den sehr spannenden Feldversuchen, wo ich bei jedem Besuch für mich neue Insekten und Raupen entdecke, sind insbesondere der Austausch und die Interviews mit den lokalen Bauern sehr bereichernd und lehrreich. Ich bin immer wieder überrascht, was sie alles wissen und in ihren Feldern beobachten. Wie positiv sie eingestellt sind und mit mir alle möglichen Informationen teilen, beeindruckt mich tief. Übrigens trifft dies allgemein auf die Bevölkerung zu. Ich habe bisher nirgendwo auf der Welt so freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt wie hier.

Eine bereicherndes Unterfangen

Sehr positiv empfinde ich, dass die Bauern nicht alles glauben, was man ihnen erzählt. Sie evaluieren die Produkte und Methoden meistens selbst auf ihren Feldern und tauschen sich untereinander aus. Ich musste schmunzeln, als mir einzelne Bäuerinnen und Bauern bei den Interviews erzählten, dass ich neben ihren Berufskollegen und den Input-Shops ihre drittwichtigste Informationsquelle sei.

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Für mich ist es sehr wertvoll, bei so einem Projekt mitwirken zu dürfen und Einblick in die Entwicklungszusammenarbeit zu bekommen, die ihren Nutzen und ihre Wichtigkeit in so einem Kontext zeigt. Die Bäuerinnen und Bauern könnten ohne die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und ihren Partnern im privaten Sektor ihre Kapazitäten im Schädlingsmanagement nicht nachhaltig erweitern.

Ich bin sehr dankbar für die vielen schönen Momente und Erlebnisse, die ich hier tagtäglich sammeln darf. Wie zum Beispiel, wenn ich nach getaner Feldarbeit mit dem Moped bei einem lauen Abendwind über die saftig grünen Reisfelder fahre und den Wasserbüffeln im Bewässerungskanal bei der schlammigen Abkühlung zuschauen darf.

Zur Person
[IMG 7]Noah Rauser absolviert aktuell das 3. Studienjahr Agronomie an der HAFL in Zollikofen mit dem Schwerpunkt Internationale Landwirtschaft. Teil seines Studiums ist eine Forschungsreise. Diese ist eingebettet in ein Projekt namens Nurture von Heks/Eper und Caritas, das von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) mitfinanziert wird. Das Ziel ist die Steigerung der Klimaresilienz von Kleinbauern.

Kambodscha – ein Land mit vielen Gegensätzen

Kambodscha ist flächenmässig gut viermal so gross wie die Schweiz und gefühlt flach wie eine Pizza. Jedoch hat es auch gebirgigere Regionen im Norden des Landes und hin zum Golf von Thailand. Kambodscha ist umgeben von den Nachbarländern Thailand, Laos und Vietnam. Vielen Schweizer(innen) ist sicher Beat «Beatocello» Richner ein Begriff, der hier die Kinderspitäler Kantha Bopha aufbaute und vielen Kindern und Jugendlichen Zugang zu medizinischer Versorgung gewährte.

Im Gegensatz zu der Schweiz, wo ungefähr 74 
% der Bevölkerung in den Städten wohnen und mit der Landwirtschaft nicht viel am Hut haben, leben in Kambodscha noch circa 70 % der Menschen auf dem Land. Sie erwirtschaften einen Grossteil ihres Einkommens von dem, was das Land hergibt. Dabei sind diese Menschen extrem anfällig gegenüber dem Klimawandel. Tragischerweise verschulden sie sich häufig bei Mikrofinanzinstituten und anderen Geldgebern, um bei Dürren oder Überflutungen Ernteausfälle zu decken. Diese doppelte Last von Verschuldung und Klimawandel ist oft ein aussichtsloser Kampf, dem sie gesundheitliche und soziale Opfer bringen müssen, um die zunehmenden Schulden zurückzuzahlen.

Ansonsten ist Kambodscha vor allem für seine zahlreichen und wunderschönen Tempel in Angkor bekannt, die zu Zeiten der Hochkultur der Khmer bis zum 15. Jahrhundert am Rande des Ton Le Sap entstanden. Der Ton Le Sap ist der grösste See Südostasiens, der mit seinem Fischreichtum für einen Viertel der Proteinversorgung der Bevölkerung verantwortlich und Heimat von einzigartigen schwimmenden Dorfgemeinschaften ist.


Mit seiner periodischen Ausdehnung während der Regenzeit ist der Ton Le Sap von eminenter Bedeutung für die Reiskammer Kambodschas, da er regelmässig viele Ackerflächen mit wertvollen Sedimenten und Wasser versorgt. Tragischerweise kamen in Kambodscha vor gut vierzig Jahren unter der grausamen Schreckensherrschaft der roten Khmer ungefähr zwei Millionen Menschen zu Tode, was das Land in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückwarf. Politische Institutionen, die Intelligenzia und ein Grossteil des kulturellen Erbes gingen dabei verloren. Dieses Fehlen von starken öffentlichen Institutionen, wie wir sie aus der Schweiz kennen, mag ein wichtiger Grund sein, weshalb das Land im Korruptionsindex ungefähr gleichauf rangiert mit Ländern wie Afghanistan, Irak und Eritrea gilt.