Abo SBV-Präsident Markus Ritter hofft, dass möglichst viele die vierjährige Lehre wählen werden. Vernehmlassung Markus Ritter zur Bildungsrevision: «3+1 ist ein Kompromiss» Monday, 20. February 2023 Eine dreijährige Lehre mit jeweils einer Vertiefung in einer von sechs Fachrichtungen und ein zusätzliches viertes Lehrjahr mit einem weiteren Vertiefungsfach als Option: Dies ist das Modell 3+1, nach dem die berufliche Grundbildung der zukünftigen Landwirte organisiert werden soll. Das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) gäbe es dabei für alle schon nach dem dritten Jahr. Darin angegeben wäre jeweils auch die gewählte Fachrichtung. Wer ein viertes Jahr möchte, könnte so ein zweites EFZ mit dem zusätzlichen Vertiefungsfach erwerben.

So schlägt es die Organisation der Arbeitswelt für die Agrarberufe (OdA AgriAliForm) vor, und so hat es der Vorstand des Schweizer Bauernverbandes (SBV) auch in die interne Vernehmlassung gegeben.

Was am Anfang auf breite Zustimmung stiess, stellt sich nun aber zusehends als Zankapfel heraus, denn der Teufel liegt auch hier im Detail. «Wir haben das Modell 3+1 zu Beginn unterstützt, aber bereits seit letztem Jahr sehen wir den Mehrwert nicht mehr», sagt Hans Jörg Rüegsegger, Präsident des Berner Bauernverbands (BEBV).

«Unmögliche Ausgangslage»

[IMG 2]Mittlerweile zeichne sich nämlich ab, dass das neue Ausbildungsmodell «kaum umzusetzen» sei – «besonders für kleinere Berufsschulen», so Rüegsegger. Grund dafür sei die zu starke Spezialisierung mit den sechs vorgesehenen Fachrichtungen Ackerbau, Rindviehhaltung, Schweinehaltung, Berg-/Alpwirtschaft, Geflügelproduktion und biologische Produktion. Vorgesehen ist, dass die Lernenden im dritten Lehrjahr eine dieser Fachrichtungen auswählen und im freiwilligen vierten Jahr dazu noch eine zweite. «Für kleinere Berufsschulen ist diese Zersplitterung eine unmögliche Ausgangslage», sagt Rüegsegger. Für ihn ist klar:

«In der Grundbildung müssen Generalisten ausgebildet werden und keine Spezialisten.»

Hansjörg Rüegsegger, Präsident Berner Bauernverband

«Wir haben im Kanton Bern 600 Lehrbetriebe, davon sind nur 100 Spezialbetriebe, sprich halten Geflügel, sind Winzer oder Gemüseproduzenten», gibt Rüegsegger zu bedenken. «Wollen wir wirklich eine Grundbildung, von der fünf Sechstel der Betriebe nichts hat?»

Zweifel gibt es auch an der Attraktivität des freiwilligen vierten Lehrjahres. Zum einen sei fraglich, wie viele Lernende dieses überhaupt in Angriff nehmen wollten, so Rüegsegger. Zum anderen bedeutet ein viertes Lehrjahr mit einem entsprechend höheren Lohn auch eine zusätzliche Belastung für die Lehrbetriebe. Nicht zuletzt befürchten die Kritiker, dass es in Zukunft zwei Klassen von Landwirten gibt: solche mit einer dreijährigen und solche mit einer vierjährigen Ausbildung.

Im Vorstand abgeblitzt

Rüegsegger hatte im OdA-Vorstand deshalb den Antrag gestellt, neben dem 3+1-Modell auch Alternativen mit drei oder vier Jahren Lehrzeit für alle zu prüfen, und zwar mit einer «umfassenden Nutzwertanalyse», wie er sagt. Behandelt wurde sein Antrag aber nicht. Auch im Vorstand des SBV blitzte der BEBV-Präsident mit seinem Anliegen ab. «Dabei hatte ich Unterstützung von mehreren Kantonen und der Junglandwirtekommission», sagt er.

Die Kritik kommt dabei vor allem aus den westlichen Kantonen, allen voran von den Solothurnern. So hatte der Solothurner Bauernverband SOBV mit einem Brief bei den Bildungsverantwortlichen insistiert und gefordert, dass mit der internen Konsultation noch zugewartet wird. Bemängelt wurde dabei der Abbau von Lektionen und die starke Spezialisierung in der Grundbildung.

Kritik auch aus dem Kanton Solothurn

Jahresversammlung Die Solothurner fahren gegen die Pläne zur Bildungsreform die Krallen aus Wednesday, 18. January 2023 Auch der Verein der landwirtschaftlichen Lehrmeister und der Meisterlandwirte (VLM) des Kantons Solothurn stellte sich an seiner Jahresversammlung im Januar quer: In der Grundausbildung auf eine so starke Spezialisierung zu setzen sei «unseriös und nicht zielführend», sagte VLM-Präsident Roland Nussbaumer an der Versammlung.

Nun geht nur das 3+1-Modell in die Vernehmlassung. Er sei gespannt auf die Reaktionen, sagt Rüeggsegger: «Wenn 3+1 durchfällt, sind wir wieder beim Status quo.» Dann müsste die Reorganisation neu aufgegleist werden. Zur Debatte stünde dann auch wieder eine Verlängerung der Ausbildung auf vier Jahre für alle.

Thurgau ist positiv gestimmt

Während man im grossen Agrarkanton Bern etwas kritisch tönt, weht der Bildungsrevision beispielsweise im Kanton Thurgau ein positiver Wind entgegen. «Grundsätzlich steht der Thurgau dem System 3+1 positiv gegenüber», sagt Lukas Maurer, Präsident der Berufsbildungskommission des Verbands Thurgauer Landwirtschaft (VTL). Natürlich sieht auch er Knackpunkte, aber das Ganze bereits versenken, bevor die Vernehmlassung überhaupt begonnen hat, will er nicht.

Umfangreicher geworden

Die Ausbildung sei umfangreicher geworden. «Mehr in der gleichen Zeit geht einfach nicht», gibt Lukas Maurer zu bedenken. Die Ausbildung 3+1 gebe die Möglichkeit, diesem Umstand gerecht zu werden. Das Modell verbaue auch nichts, aber es verlange natürlich, dass man sich jetzt damit beschäftige und für die einzelnen Regionen die passende Lösung finde. Der neue Weg würde eine dreijährige Lehre nicht verbieten, aber er schaffe die Grundlage für angehende Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter von vielseitigen Betrieben (insbesondere im Mittelland), sich das nötige Rüstzeug anzueignen.

Möglichkeit erhalten

Für Lukas Maurer ist zum aktuellen Zeitpunkt eine positive Haltung der Revision gegenüber sehr wichtig: «Wir müssen jetzt das Gute suchen und auch sehen und es schliesslich entsprechend gestalten», so Maurer. Er sagt.

«Wir sehen hier ganz klar Chancen für uns.»

Lukas Maurer, Präsident der Berufsbildungskommission des Verbands Thurgauer Landwirtschaft (VTL)

Der Umstand, dass niemand gezwungen werde, aber zumindest die Möglichkeit erhalte, vier Jahre zu absolvieren, ist für Maurer dabei zentral.

Auf die Frage nach dem Übergang in die höhere Berufsbildung sagt Lukas Maurer, dass hier Anschlusslösungen erarbeitet werden müssten. Mit einer pfannenfertigen Lösung sei im Moment aber einfach nicht zu rechnen. «Wir müssen in diesen vier Monaten der Vernehmlassungszeit nun arbeiten und uns überlegen, was unsere Kantone und die Betriebe in diesen Regionen brauchen», sagt Maurer. Und dann gelte es eben auch, vorauszuschauen.

Gefragt nach den Knackpunkten, nennt Lukas Maurer die Wahlkompetenzen, welche lange Zeit als Wahlfächer bezeichnet wurden. Er erwartet mit Spannung, wie diese ins System 3+1 einfliessen werden. Hier gehe seiner Meinung nach ein entscheidendes Element der Berufsbildung verloren, würde man die Wahlkompetenzen über Bord werfen. Insbesondere im Bereich der Nischenproduktion seien diese wichtig.

Stufengerecht ausbilden

Auch der Thurgauer Lehrmeister Mathias Roth steht 3+1 sehr positiv gegenüber: «Milchwirtschaft und Ackerbau für alle, das ist einfach verstaubt», erinnert Roth. Mit den neuen Fachrichtungen besteht künftig die Möglichkeit, vertieft auf Inhalte einzugehen, die bislang zu kurz kamen. «Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist, dass wir in der Grundbildung in erster Linie das Handwerk lehren sollten. Buchhaltung ist dort einfach nicht stufengerecht und gehört in die höhere Berufsbildung.» Er ist sicher: Das Bildungssystem brauche eine Revision und so wie das Ganze derzeit angedacht sei, präsentiere sich der Weg gangbar.

Vier Jahre für die ganze Breite

Der Präsident der Berufsbildungskommission des SBV, Jakob Lütolf, sieht in einem generellen vierjährigen Modell durchaus Vorteile. Für die ganze Breite der Berufsausbildung braucht es vier Jahre, sagt er. 3+1 sei bewusst als Kompromisslösung konzipiert, um den Bedürfnissen von Betrieben mit nur einem Betriebszweig entgegenzukommen. Wer zu Beispiel nur einen einfachen Grünlandbetrieb führen wolle, solle das EFZ weiterhin in drei Jahren machen können.

Nach seiner Einschätzung hätte die Hälfte der Organisationen lieber vier, die andere lieber drei Jahre. Die Kompromisslösung dürfte deshalb die besten Chancen haben, sagt er. 

Umsetzung bis 2026

Die interne Vernehmlassung dauert nun bis am 6. Juni. Die Unterlagen sind bereits verschickt. Die Landwirtschaftskammer wird im April über die Vorlage beraten. Petra Sieghart, Leiterin Geschäftsbereich Agriprof beim SBV, geht davon aus, dass branchenintern noch in diesem Jahr ein Entscheid gefällt werden kann. 2024 soll die externe Vernehmlassung folgen.

Die Umsetzung wird voraussichtlich nicht vor 2026 sein: Es gebe noch viel zu tun, so Sieghart:

«Die Lehrmittel müssen auch parat sein.»

Petra Sieghart, Leiterin Geschäftsbereich Agriprof

Die Revision würde damit wohl noch vor der neuen Agrarpolitik (AP 22+) durch das Parlament abgeschlossen. Die Branche fordert schon jetzt: Ein EFZ soll für den Bezug von Direktzahlungen genügen.