Von Burn-out ist die Landwirtschaft doppelt so oft betroffen wie der Rest der Bevölkerung. Vielfach wird das Problem totgeschwiegen. Dominik Estermann spricht offen über seine Erschöpfungsdepression.
Erkannten Sie Ihre Erschöpfungsdepression 2021 selber oder wurden Sie von Ihrem Umfeld darauf aufmerksam gemacht?
Dominik Estermann: Ich selber bemerkte bei mir zwar Überlastungsanzeichen, dass diese aber damals so ausgeprägt waren, fiel mir nicht auf. Mein aufmerksamer Nachbar lud mich an einem Herbstabend auf seinen Hof ein. Er riet mir zu einer Auszeit, da ich mich laut seiner Wahrnehmung stark verändert hatte. Zudem bot er mir an, während meiner Abwesenheit meinen Betrieb zu leiten.
Wie reagierten Sie auf diese Direktheit Ihres Nachbars?
Trotz der Direktheit war das für mich alles andere als ein Schlag ins Gesicht. Im Gegenteil, es war eher eine Erleichterung, dass mein psychischer Zustand angesprochen wurde. Ich selber wäre dazu nicht in der Lage gewesen.
Wie entwickelten sich die Beschwerden? Welche Symptome hatten Sie?
Die Krankheit kam schleichend, ich kann nicht sagen, wann es begonnen hat. Man rutscht langsam in eine Depression rein. Lange hatte ich das Gefühl, dass meine Belastung noch etwas gesteigert werden kann, bis das Fuder dann irgendeinmal überladen war. Meine Symptome zeigten sich in verminderter Arbeitsleistung, einer gewissen Gleichgültigkeit bei der Arbeit, einer depressiven Stimmung und sozialem Rückzug. Zudem wurde ich von Dritten auf meine verschlechterte, nach vorne geneigte Körperhaltung aufmerksam gemacht. Teils kamen bei mir auch Suizidgedanken auf. Erstaunlicherweise hatte ich nie Schlafprobleme.[IMG 2]
Wissen Sie heute, was der Auslöser war?
Auch wenn ich mich auf dem Betrieb wie auch bei ausserberuflichen Tätigkeiten stark engagierte, belasteten mich vor allem die Eheprobleme mit meiner damaligen Frau. Obwohl wir zwei Paartherapien machten und ich phasenweise ausserhalb des Hofes wohnte, wurde unsere Beziehung immer belastender.
Was geschah nach der Diagnose? Wo erhielten Sie Hilfe?
Nach dem Austausch mit meinem Nachbar machte ich einen Depressionstest, der eindeutige Resultate zeigte. Kurz darauf startete ich in einer Klinik eine siebenwöchige stationäre Behandlung. Nach Abschluss dieser durfte ich lange Zeit nur stark reduziert arbeiten. Zudem wurde ich ein Jahr lang von der Psychosozialen Spitex unterstützt.
Wie geht es Ihnen heute? Was änderten Sie im Nachgang Ihrer Erschöpfungsdepression?
Grundsätzlich geht es mir trotz Schwankungen gut. Ich brauche allerdings nach intensiven Phasen immer noch länger Zeit für die Regeneration. Ich versuche heute, vermehrt Auszeiten zu nehmen. Seit zwei Jahren bin ich mit dem Motorrad unterwegs, wo ich gut abschalten kann. Zudem gab es persönliche und betriebliche Veränderungen: Meine Frau und ich liessen uns scheiden. Sie lebt mittlerweile weg vom Hof, arbeitet aber immer noch vereinzelt auf dem Betrieb. Meine beiden Töchter wohnen noch bei mir und sind eine grosse Stütze. Die Milchproduktion haben wir aufgegeben. Dafür bauten wir den Ackerbau etwas aus. Auch die Schweinehaltung betreiben wir weiter.
Was empfehlen Sie Berufskollegen, wenn diese bei sich Symptome feststellen?
Das Wichtigste ist, ehrlich zu sich selber zu sein und sich auch einzugestehen, dass man auf Hilfe angewiesen ist. Der Austausch mit einem guten Freund oder dem eigenen Hausarzt kann der erste Schritt sein. Sich bei Depressionen professionelle Hilfe zu holen, braucht zwar Überwindung, ist aber meist unabdingbar. Doch wie es bei mir persönlich auch war, erkennt der Betroffene die Probleme meist selber nicht, entsprechend gefordert ist das ganze Umfeld. Auch wenn es nicht einfach ist, müssen Auffälligkeiten angesprochen werden. Dabei ist es entscheidend, dass die Chemie zwischen dem Betroffenen und der unterstützenden Person stimmt, sonst kann Hilfe gar nicht angenommen werden.
Bauern und Bäuerinnen sind doppelt so oft von Burn-out und Depressionen betroffen wie der Rest der Bevölkerung. Warum ist das so?
Aus meiner Sicht gibt es dafür mehrere Gründe: So bringt es das Modell der Familienbetriebe mit sich, dass Bäuerinnen und Bauern vielfach nicht nur zusammenleben, sondern auch miteinander arbeiten. Somit fehlt oftmals das soziale Umfeld, das bei einer externen Arbeitsstelle vorhanden ist. Dieses so wichtige soziale Umfeld kommt infolge mangelnder Freizeit wegen der hohen Arbeitsbelastung zu kurz.
