Bei Janine Rieder ist die Tierliebe «genetisch», wie sie selbst sagt: «Mein Kinderzimmer war immer voller Viecher – überall Meerschweinchenkäfige. Später hielt ich auch Schlangen und Vogelspinnen. Meine Eltern waren diesbezüglich sehr entspannt.»
Aus einer Arbeiterfamilie
Die heute 52-Jährige wurde in eine Arbeiterfamilie in Schwadernau BE geboren. Die Nähe zu Tieren und zur Natur war von Anfang an gegeben. «Mein Vater hatte immer Schafe und Kaninchen. Ich habe früh reiten gelernt – und auch früh das Schlachten der Chüngle erlebt.» Schon als Kind verstand Janine Rieder den Kreislauf von Leben und Tod auf dem Bauernhof – eine Erfahrung, die sie geprägt hat: «Man hat Nutztiere gern und schaut gut zu ihnen, aber am Ende landen sie auf dem Teller.»
Die Landwirtschaft faszinierte sie schon immer, doch das Leben hatte zunächst andere Pläne. Janine Rieder absolvierte eine Lehre als Metallbauschlosserin. «Ich war handwerklich geschickt, das hat mir gefallen.» Sie arbeitete im gelernten Beruf, heiratete, bekam drei Kinder und stieg später auf Teilzeit um.
Spontan zum Date
Erst nach der Scheidung begann ein neues Kapitel. Über das Internet lernte sie «ganz unromantisch» Markus Jenni kennen – Landwirt aus Vinelz BE. Es war der 20. Dezember, ihre Kinder hatten bereits Pläne, und Janine Rieder langweilte sich. «Ich wäre einfach gerne etwas trinken gegangen. Da schlug mir dieser Chat Markus vor. Ich kam technisch eh nicht so richtig draus, aber wir unterhielten uns, und ich fragte ihn spontan, ob er heute noch etwas trinken kommen wolle.» Er sei zwar etwas überrumpelt gewesen, meinte aber, er müsse nur noch kurz die Kühe machen, dann komme er.
Die Chemie stimmte sofort. Trotzdem machte sie sich Gedanken: «Ich dachte: ein Bauer, gut und recht. Aber ich will mich nicht nur deshalb auf ihn einlassen, weil ich gerne bauern würde. Es muss auch sonst passen.» Es passte – und das schnell. Bereits im April, nur wenige Monate nach dem ersten Treffen, zog sie auf den Hof. «Ab einem gewissen Alter studiert man nicht mehr ewig herum, sondern denkt sich: ‹Was habe ich zu verlieren?›»
Das ist nun zehn Jahre her. 2016 – mit 43 – begann Janine Rieder ihre Zweitausbildung zur Landwirtin. «Ich dachte: Ich bin zu alt. Ich habe die Schule nie gemocht.» Doch sie liess sich von Markus überreden und wurde überrascht, wie sehr sie das Fachliche faszinierte. Besonders das Melken zog sie magisch an. «Ich hatte keine Ahnung davon, aber es war Liebe auf die erste Tat.»
Die «Melk-Depression»
In Gals BE fand sie mit der Familie Gäumann einen Betrieb, der sie als Nachholbildnerin aufnahm. «Ich bin da richtig ins Melken hineingekommen – habe auch an Wochenenden gemolken und Ferienvertretungen gemacht.» Als die Gäumanns mit der Milchproduktion aufhörten und die Gelegenheit zum Melken versiegte, traf das Janine Rieder. «Meine Mutter meinte, ich sei depressiv, weil ich nicht mehr melken konnte.» Heute melkt sie wieder – auf zwei anderen Höfen. «Das ist für mich wie für andere Yoga – die Ruhe, der Rhythmus, das Geräusch des Pulsators.»
Auch auf dem eigenen Hof findet sie diesen inneren Frieden mitten in der Herde. «Wenn mir alles über den Kopf wächst, gehe ich zu den Kühen. Einige wollen schmusen, andere spielen, manche tun einfach doof – aber ich komme dabei runter.»
Rund 150 Mutterkühe (hauptsächlich Simmentaler) und Kälber leben auf dem Hof, dazu 4500 Mastpoulets. Die Poulets gehen an Migros, das Fleisch läuft unter den Labels Natura Beef, Natura Farm und Natura Veal. Jennis verkaufen erfolgreich Tiere weiter und linearen ihre Simmentaler für die Zucht. Der Verkauf von lebenden Tieren liegt Janine Rieder am Herzen: «Heuer konnten wir schon 20 Kühe mit Kalb verkaufen», erzählt sie stolz.
Besonders ans Herz gewachsen ist ihr Murksi – ein Kalb, das nach einem Kaiserschnitt von seiner Mutter nicht angenommen wurde. «Sie musste sich durchs Leben murksen. Sie ist eine tolle Kuh geworden. Letztes Jahr hat sie Zwillinge bekommen, da haben wir sie von der Alp geholt, weil sie nicht mehr die Jüngste ist.» Selbst ihre E-Mail-Adresse enthält Murksis Namen.
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«Munis sind chillig»
Auch mit den Stieren geht die Landwirtin ihren eigenen Weg, es gibt immer mehrere auf dem Hof. Angst hat sie keine – wichtig sei, dass der Stier einen guten Charakter hat, doch man müsse immer aufmerksam bleiben. «Ich liebe Munis, die sind so chillig. Ich habe bei der Lehrabschlussprüfung einem Muni den Verband gewechselt. Die Experten sagten, das könne man nicht machen und sind zurückgestanden – doch, kann man. Auch ein Muni hat mal eine verletzte Klaue.»
Auf dem Hof mit 12 Hektaren ist Janine Rieder hauptverantwortlich für die Tiere. Die Maschinenarbeit übernimmt Gilles, Markus’ Sohn, die Hühner teilen sie sich auf. Die Buchhaltung und das Büro macht Markus – auch mit der Agrarpolitik beschäftigt er sich mehr als sie. «Ich gebe mich da nicht zu fest hinein.» Es nervt sie, wenn Kontrolleure bei Bürofragen automatisch erwartungsvoll die Frau anschauen. «Ich kann Begleitdokumente drucken und etwas in der TVD nachschauen – das reicht mir. Ich war noch nie der Zahlenmensch.»[IMG 3]
Dafür liebt sie Bilder – auf der Haut. «Ich habe mein ganzes Leben mit Tattoos dokumentiert. Ideen hätte ich noch viele, nur der Platz geht mir langsam aus.» Viele davon sind landwirtschaftlich: ein Alpaufzug auf dem Oberarm, ein Melkaggregat auf der Hand, ein Kuhkopf auf dem Finger. Wie ihre Kinder trägt sie eine shisha-rauchende Katze. Ihre älteste Tochter Caroline teilt sogar das Bücher-Tattoo mit ihr. Denn auch Bücher liebt Janine Rieder – vor allem Thriller und Sachbücher, etwa zu Homöopathie oder Aromatherapie. «Ich würde gern mal eine Nacht in einem Buchladen eingeschlossen werden.»
Vom Osten fasziniert
[IMG 4]Auch das Reisen gehört zu ihr, früher mehr als heute: Russland, die Ukraine, das Baltikum – vor allem der Osten fasziniert sie. «Aktuell geht das natürlich nicht mehr so. Russland ist ein schönes Land und die Kultur fasziniert mich nach wie vor. Aber die Leute sind speziell, eher kühl.» Zu Ehren ihrer beiden 50. Geburtstage reiste sie mit ihrer Freundin nach Boston in die USA, bald wollen sie gemeinsam ins Appenzell. Und eines Tages möchte Janine Rieder mit Markus Jenni nach Texas – um die schwarzweissen Simmentaler zu sehen.
Am liebsten ist sie aber zu Hause, auf dem Hof, «bei unseren Viechern». Dazu gehören auch Ziegenbock Fredy und «sein Team». Die kleine Geissen-Herde ist ein weiteres von Rieders Hobbys. Die Landwirtschaft ist längst ihr Leben. «Manchmal liegen Leben und Tod ganz nah beieinander», sagt sie. «Aber genau das macht es aus. Du kannst abends nicht abschalten und die Tür hinter dir zumachen – aber du willst es auch gar nicht. Es ist halt 24/7.»
Fünf Fragen
Was ist Ihr Lieblingslied?
Ds Vreneli abem Guggisberg. Das ist einfach so schön und geht einem nahe. Dieses Lied ist wie das Leben, das auch nicht immer ein Happy End hat.
Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Vertrauen.
Welches Gericht gelingt Ihnen immer?
Spaghetti Bolognese.
Welche Person, lebend oder tot, würden Sie gerne mal zum Abendessen treffen?
Janis Joplin. Was war das für eine coole Frau, kompromisslos sich selbst, und gut singen konnte sie auch noch.
Was wird Ihr nächstes Tattoo?
«Zimetschnäggli» in arabischer Schrift für meine Freundin, die immer in Ägypten tauchen geht. Wir nennen uns gegenseitig so und sie wird es sich auch stechen lassen.