Mirko Buri ist gerade in eine Käsediskussion verstrickt. «Eine Produzentin hat eine grosse Charge Hobelkäse im Keller, den sie nicht verkaufen konnte. Wir haben jetzt geschaut, welche Lösungen es dafür geben könnte», erklärt der ehemalige Spitzenkoch und Foodoo-Gründer nach dem Anruf. Unter der Marke stellen Buri und sein Team Produkte wie Gemüsebouillon und Saucen aus geretteten Lebensmitteln her. 2014 eröffnete Buri in Köniz BE das erste No-Food-Waste-Restaurant der Schweiz namens «Mein Küchenchef». 2022 gab er es auf, um sich ganz auf Foodoo zu konzentrieren.
Wie hat sich Ihr Blick auf Lebensmittel im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Mirko Buri: Als Koch dachte ich immer, ich hätte Ahnung von Lebensmitteln. Doch dann sah ich den Film «Taste the Waste» – und war schockiert. Ich hatte keine Ahnung, wie viel auf dem Feld bleibt und wie viele gute Lebensmittel aussortiert werden. Ich wollte es genau wissen und bin mit meinem Schwager, einem Detailhandelsökonomen, der damals bei Coop tätig war, aufs Feld gegangen. Wir haben mit Bauern gesprochen und nachgefragt, was mit den «unperfekten» Karotten und Kartoffeln passiert. Diese Erkenntnis hat mein Leben verändert.
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Gab es in Ihrer Kindheit schon eine Verbindung zur Gastronomie?
Nein, überhaupt nicht! Mein Vater ist Hafner und Plattenleger, meine Mutter Kindergärtnerin. Wir sind selten auswärts essen gegangen, weil wir uns das nur ab und zu leisten konnten. Ich wollte eigentlich Ernährungsberater werden, habe dann nach der Servicelehre die Kochausbildung gemacht. Der Beruf hat mir alles bedeutet – auch heute noch.
«Durch übersteigerte Qualitätsansprüche entsteht Food Waste auf allen Ebenen der Kette.»
Mirko Buri über die Konsument(innen) in der Schweiz.
Wie funktioniert Foodoo genau?
Wir arbeiten eng mit Produzenten zusammen. Wenn ein Landwirt zum Beispiel überschüssigen Spargel hat, überlegen wir gemeinsam, wie wir daraus ein Produkt machen können – eine Suppe, ein Pesto oder etwas anderes. Dabei klären wir transparent, welchen Preis der Bauer erhält und ob das Produkt am Ende konkurrenzfähig ist. Allerdings funktioniert das nicht von heute auf morgen. Das Produkt selbst ist schnell entwickelt. Aber der Weg in den Handel dauert mindestens ein Jahr. Wir brauchen Laboranalysen, ein Hygienekonzept, Verpackung, ein Design, Testläufe. Erst dann kann es verkauft werden. Mit unserem neuen Lebensmittel-Outlet können wir jetzt aber spontaner reagieren und überschüssige Ware direkt verkaufen.
Wo sehen Sie das grösste Problem in der Lebensmittelverschwendung?
Ganz klar beim Konsumenten. Durch übersteigerte Qualitätsansprüche entsteht Food Waste auf allen Ebenen der Kette. Viele Lebensmittel werden bereits auf dem Feld aussortiert, weil sie nicht den Qualitätsnormen entsprechen. Dann im Supermarkt: Wer nimmt das Obst oder Gemüse, das nicht perfekt aussieht? Und zu Hause? Haltbarkeitsdaten werden oft falsch interpretiert, vieles wird weggeschmissen, obwohl es noch gut wäre. Der Respekt vor Lebensmitteln ist verloren gegangen.
Glauben Sie, dass sich das Bewusstsein für Food Waste verändert hat?
Ja, auf jeden Fall. Vor zehn Jahren kannte kaum jemand den Begriff «Food Waste». Heute ist das Thema in der Gesellschaft angekommen. Aber es gibt noch viel zu tun. Ich denke, die Zeit ist jetzt reif für Zweitklassware, darum haben wir auch unser Outlet gegründet. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, dass viele Menschen günstige Produkte suchen. Vielleicht sind sie jetzt auch bereit, Lebensmittel mit kleinen Makeln zu kaufen – wenn sie dafür weniger bezahlen. Die Grossverteiler haben aber Angst davor, weil es dann heissen könnte: «Die haben nur noch schlechte Ware.» Früher wurde das Konzept der Zweitklassware abgelehnt, weil man den Markt nicht «konkurrieren» wollte. Doch weil der Bund ab 2025 die Regeln verschärft, suchen plötzlich viele Unternehmen nach Lösungen.
Sie haben seinerzeit eine Fallstudie mit der ETH Zürich in Ihrem Restaurant gemacht, worum ging es da?
Wir wollten herausfinden, wie viel Food Waste in der Gastronomie tatsächlich entsteht und wie man ihn reduzieren kann. Gemeinsam mit Claudio Beretta, der damals an der ETH Zürich zu nachhaltiger Ernährung forschte, haben wir gemessen, wo Lebensmittelverluste entstehen – bei der Lagerung, der Zubereitung oder direkt auf dem Teller der Gäste. Zum Beispiel wurden oft zu grossen Portionen serviert, oder Köche haben Zutaten weggeschnitten, die noch verwendet werden könnten. Auf Basis dieser Erkenntnisse haben wir ein Schulungskonzept entwickelt, und mit UAW (united against Waste) hunderte Betriebsleiter pro Jahr geschult.
Die Gastronomie in der Schweiz ist extrem preissensibel, nicht wahr?
Ja, brutal. Meine Mutter meinte kürzlich, ich könnte doch eine Pizzeria finden, die unsere Tomatensauce aus geretteten Tomaten für ihre Pizzen verwendet – und hat mich dann gefragt, warum ich laut lache. Aber Schweizer «Waste-Tomaten» kosten zehnmal so viel wie Importware aus Italien. Keine Pizzeria kann sich das leisten. Wenn ein Mittagsmenü mehr als 20 Franken kostet, bist du als Restaurant aus dem Geschäft. Die allermeisten Betriebe hängen von günstigen Lieferanten ab und haben wenig Spielraum für nachhaltige Entscheidungen. Kein Gastronom ist Millionär. Und wenn ich neue Köche einstellte, brauchte es Monate, um ihnen beizubringen, dass eine krumme Karotte oder eine kleine Kartoffel genauso gut ist, aber es halt Mehraufwand beim Rüsten gibt.
«Kinder vom Land kennen sich besser mit Lebensmitteln aus.»
Mirko Buri über die Unterschiede bei der künftigen Konsument(innen)-Generation.
Welche Erfahrungen machen Sie bei Ihren Workshops, zum Beispiel mit Schulklassen?
Ich nehme einen Unterschied zwischen Stadt- und Landkindern wahr. Kinder vom Land kennen sich besser mit Lebensmitteln aus, viele haben einen Bauernhof in der Familie. Der fehlende Bezug zur Landwirtschaft bei Stadtkindern macht sich in der Warenkunde schnell bemerkbar. Wir machen deshalb viele Aktionen an Schulen. Wir bringen die Kinder mit unseren Bauern in Kontakt, entweder persönlich oder per Liveschaltung. Das Verständnis für Lebensmittel entsteht nur, wenn man sieht, wo sie herkommen. Ich frage die Schüler immer: Wenn ihr später in einer WG lebt oder sonst einen eigenen Haushalt führt, wisst ihr dann, wie ihr Food Waste verhindert? Ich sage ihnen, dass sie eine riesige Rolle spielen, weil sie noch viel länger konsumieren werden als ich.
Wie reagieren Landwirte auf Ihr Konzept?
Mit vielen konnten wir über die Jahre eine fruchtbare Zusammenarbeit aufbauen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und versuchen gemeinsam neue Wege in der Vermarktung zu gehen. Andere sehen das kritisch und sagen: «Das haben wir schon immer so gemacht, dass wir Überschussware in den Boden gefahren haben.» Das ist guter Dünger, und die Nährstoffe bleiben im Kreislauf. Dabei ist es doch ein Unterschied, wie viel sie von ihrer Ernte verkaufen können. Sie haben schliesslich Kosten für Personal, Bewässerung, Düngung gehabt. Deshalb bleiben für mich solche Aussagen bis heute ein Rätsel.
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Zum Schluss: Haben Sie ein Lieblingsprodukt aus Ihrer Produktion?
Ja, unsere Habanita-Sauce. Der Name kommt von den Habanero-Chilis, die wir aus Urban Farming beziehen. Ich mag es etwas scharf!