«Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich einmal die Rolle in einem Schweizer Film spielen würde, hätte mich das nicht interessiert – ich hätte gesagt: ‹Du spinnst!›», hält Dimitri Krebs fest.
Keine Schauspielerfahrung
Der 27-jährige Sozialarbeiter hatte keine Schauspielambitionen. Doch dann suchte der Schweizer Regisseur Michael Krummenacher zwei Jahre lang die Hauptbesetzung für seinen neuen Film «Landesverräter» (aktuell im Kino). Krebs spielte Schlagzeug in der Band eines alten Freundes des Regisseurs. Dieser machte ihn auf Dimitri Krebs aufmerksam.
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Casting-Einladung war kein Spam
Krebs dachte erst, die Mail mit der Einladung zum Casting sei Spam. Doch er wurde prompt engagiert und fand sich nach einem Schauspielkurs in London am Set wieder. Er spielt den Herumtreiber und Bauernsohn Ernst Schrämli, der 1942 wegen des Verrats von Militärinformationen an einen deutschen Nazi-Spion zum Tode verurteilt wurde.
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Wann haben Sie den Namen Ernst Schrämli das erste Mal gelesen?
Dimitri Krebs: Den las ich tatsächlich in der E-Mail der Casting-Agentur zum ersten Mal.
Ernst ist eine zerrissene und komplexe Figur. Welche Charaktereigenschaften können Sie nachvollziehen, welche gar nicht?
Schwierig finde ich seine unselbstständige, opportunistische Seite. Gleichzeitig kenne ich diese Eigenschaften gut von Menschen, mit denen ich in meinem Beruf als Sozialarbeiter zu tun habe, also kann ich sie auch nachvollziehen. Ich habe eine grosse Empathie für die schwierige Lebensgeschichte von Ernst. Als Freund hätte ich ihm Dinge gesagt wie «Überleg dir das doch nochmal» oder «Bist du sicher?» Auf jeden Fall teile ich mit ihm seine Liebe für Kunst, Ästhetik und Musik und auch eine gewisse Offenheit gegenüber der Welt.
«Ich bin ein grosser Kuhfan. Das hat mein Vater auf jeden Fall erreicht.»
Dimitri Krebs' Vater ist langjähriger Agrarjournalist und war bis im Sommer 2023 Chefredaktor der BauernZeitung.
Sie sagen, dass es Ernst als Mann in der heutigen Zeit leichter hätte. Wie meinen Sie das genau?
Heute hätte er sicher mehr Möglichkeiten, seine Liebe zur Kunst auszuleben. Zu seiner Zeit ging es sehr viel um die Arbeit. Vielleicht würde er heute Fotografie studieren oder wäre wirklich nach Berlin gegangen, um seinen Traum, Sänger zu werden, zu verfolgen. Vielleicht wäre er dann nach fünf Jahren frustriert nachhause gekommen, um doch auf dem Hof seines Vaters zu arbeiten. Man weiss es nicht. Ernst hat eine weiche, feminine Seite und seine Sexualität wäre heute akzeptierter. Er unterhält eine Beziehung zur Fabrikantentochter Gerti Zanelli, hat im Film aber auch eine Liaison mit dem Deutschen August Graf, dem er gestohlene Granaten übergibt und Militärgeheimnisse verrät. In den Gerichtsunterlagen und dem Urteil des echten Ernst wird der Granatendiebstahl in zirka einer halben Seite abgehandelt. Dann wird er zehn Seiten lang als «Subjekt» verurteilt, er sei arbeitsscheu, habe homosexuelle Tendenzen etc., da geht es dann nicht mehr ums eigentliche Delikt, sondern um ihn als Mensch. Er scheint als Person in der damaligen Gesellschaft nicht erwünscht gewesen zu sein.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Akribisch. Ich war an der Schauspielschule, hatte dann einen Coach in Zürich. Mit ihr und dem Regisseur bin ich das Drehbuch an mehreren Sitzungen durchgegangen. Wir haben an den Dialogen und der Figur selbst gefeilt und so unseren Ernst erschaffen.
Wie war die erste Zeit als Schauspieler für Sie?
Turbulent. Ich habe die Lohnverhandlungen selbst gemacht, natürlich habe ich vorher Leute aus meinem Umfeld gefragt, die die Filmbranche kennen. Die Vorbereitungen auf die Rolle waren intensiv. Ich nahm Gesangsunterricht, mir wurde der Umgang mit Pferden beigebracht, ich lernte St. Galler-Dialekt und Tanzen usw. Auf die Erfahrung, wie ein solcher Dreh wirklich ist, kann man sich nicht vorbereiten, das musste ich erleben. Zum Beispiel wird man morgens immer mit dem Auto von zu Hause abgeholt. Ab diesem Moment muss man eigentlich nichts mehr überlegen und der Tag ist total durchgetaktet.
Was war die grösste Herausforderung?
Der Umgang mit Druck. Am Morgen kommt man an und alle warten, bis man bereit ist, Pause machen ist schwierig, weil jede Minute kostet. Von den Szenen her waren Ernsts emotionale Ausbrüche schwierig zu spielen, weil jemanden anschreien und laut herumbrüllen normalerweise gar nicht meinem Wesen entspricht. Es gab auch Szenen, die ich nicht so hinbekommen habe, wie der Regisseur es gerngehabt hätte – dann merkt man schon, wie alle ungeduldig werden, was dann auch nicht hilft.
Das Thema Schweizer Neutralität ist in den letzten Jahren wieder aufgeflammt. Können Sie die politische Botschaft des Films teilen?
Ja, für mich ist die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs nicht richtig zu Ende verarbeitet. In der Schule habe ich nie etwas über Ernst Schrämli oder die anderen Personen gelernt, die damals wegen Landesverrat hingerichtet wurden. Es ging immer nur um Deutschland. Auch heute ist das Thema noch aktuell. Unser Land profitiert unter dem Deckmantel der Neutralität und will sich einträgliche Geschäfte nicht kaputtmachen lassen.
Verfolgen Sie die Reaktionen auf den Film?
Nein, nach der Premiere habe ich das Ganze ziehen lassen und arbeite mittlerweile wieder 100 Prozent mit Jugendlichen auf einer Psychiatrie. Natürlich mache ich noch Werbung für den Film, aber ansonsten läuft das Leben normal weiter. Immer im Mittelpunkt zu stehen ist schon eher gewöhnungsbedürftig für mich und auch nicht unbedingt das, was ich in Zukunft möchte.
Ihr Vater ist unser ehemaliger Chefredaktor. Hat er seine Liebe für die Landwirtschaft auf Sie übertragen können?
Mein Vater hat immer wieder probiert, uns das näherzubringen, aber meine Schwestern und ich sind halt in der Stadt aufgewachsen. Ich bin grosser Kuhfan, das hat er definitiv erreicht. Wenn ich mich in meinem Zimmer umsehe, sehe ich vier Kühe ausgestellt, als Bilder und Figuren. Meine Lieblingsrasse sind schottische Hochlandrinder. Ich habe mich damals bei der Hornkuh-Initiative auch bei der Unterschriftensammlung engagiert. Heute zieht es mich wieder mehr aufs Land.
Welchen Traktor würden Sie als Bauer fahren?
Oh, keine Ahnung. Gibt es da irgendeine richtige Antwort?
Vermutlich nicht. Da gehen die Meinungen weit auseinander. Was ist Ihr To-Go-Rezept, um jemanden zu beeindrucken?
Ich mache einen sehr guten Eintopf. Das ist super fein, simpel und man braucht nur eine Pfanne. Man kann ihn in verschiedenen Schritten zubereiten und immer wieder eine Pause einlegen, während er zieht.
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«Landesverräter» Ernst Schrämli
St. Gallen im Zweiten Weltkrieg: Im Irrglauben gehalten, in Deutschland ein grosser Sänger werden zu können, verkauft Herumtreiber Ernst Schrämli (Dimitri Krebs) dem manipulativen deutschen Nazi-Spion August Schmid (Fabian Hinrichs) Schweizer Militärinformationen. «Landesverräter» ist ein auf wahren Ereignissen basierender Film. [IMG 4]
Aus einem unbewachten Munitionsdepot der Armee stahl der echte Ernst Schrämli vier Granaten und erstellte Skizzen von Artillerie- und Bunkerstellungen. Man vermutet, dass er nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus einer persönlichen Abhängigkeit von August Schmid gehandelt habe. Als sein Vergehen auffliegt, wurde Schrämli wegen Spionage und Landesverrats als erster von 17 Schweizern zum Tode verurteilt. Im Oktober 1942 wurde sein Begnadigungsgesuch von der Bundesversammlung mit 176 zu 36 Stimmen abgelehnt. Die Hinrichtung fand am 10. November 1942 gegen Mitternacht in einem Wäldchen zwischen Oberuzwil SG und Jonschwil SG statt.