Der Umgang mit Herausforderungen war das Thema am Nordwestschweizer Milchtag der Bildungszentren Ebenrain, Liebegg und Wallierhof in Brunegg. An Herausforderungen mangelt es in der Milchbranche tatsächlich nicht. Immerhin: Es gibt auch Grund zu Optimismus, wie der erste Referent Christian Gazzarin von Agroscope festhielt. Global gesehen steigt die Nachfrage, das Angebot hält nicht mit; das spricht nicht für tiefere Milchpreise. «Will die Schweizer Landwirtschaft etwas von diesem Kuchen, oder haben wir andere Prioritäten?», fragte der Agronom.

Hoher Arbeitskraftbedarf

Im Milchland Schweiz, das auf Export angewiesen ist, sind die Aussichten derzeit nämlich nicht so rosig – Marktanteile gehen verloren, Milchwirtschaftsbetriebe verschwinden. Die Buchhaltungen zeigen sehr unterschiedliche Ergebnisse, aber generell decken viele Betriebe ihre Milchproduktionskosten nicht. Eine internationale Langzeitstudie von Agroscope gibt Hinweise darauf, woran diese mangelnde Wettbewerbsfähigkeit liegt.

Ein Grund für die schwache Kostendeckung ist gemäss Studie der hohe Arbeitskraftbedarf. Und dafür sind Strukturen verantwortlich, die in der Schweiz eben gerade erwünscht sind: Vielseitig ausgerichtete Familienbetriebe mit überschaubaren Herdengrössen. «Wir haben kein Preis-, sondern ein Kostenproblem», sagte Gazzarin.

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Ackerbau bringt mehr

Mehr Kühe im Stall würden die Arbeitsproduktivität steigern. Eine Ausdehnung von Weiden und Futterbau sei jedoch wenig attraktiv, solange der stark gestützte Ackerbau mehr einbringe und die Fläche wenig mobil sei, kommentierte Gazzarin mit Blick auf Agrarpolitik und Verbände. «Warum soll sich ein gemischter Betrieb auf Milch spezialisieren, wo er für seine Arbeit weniger verdient als im Ackerbau? Wer eine vielfältige Landwirtschaft will, ist nicht fokussiert und leistet sich eine teure Landwirtschaft.»

Teure Robotertechnik

Weiteres Optimierungspotenzial für die einzelnen Betriebe sieht der Agronom unter anderem in der Fütterung, insbesondere beim Grundfutter. Dabei rechnet es sich gemäss Gazzarin nicht, die Arbeitsproduktivität auf Kosten eines teuren Fütterungssystems zu verbessern.

«Selbstfütterung am Flachsilo ist günstiger als Futtermischwagen und Hochsilo», sagte der Agroscope-Mann. Auch Investitionen in die Robotertechnik würden sich kaum rechnen, solange die höheren Kosten nicht auf eine grössere Herde aufgeteilt werden könnten. Christian Gazzarins riet: «Passt euch dem Standort und den gesellschaftlichen Erwartungen optimal an, um wettbewerbsfähig zu sein.»

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Persönliche Ressourcen

Einen Perspektivenwechsel machte das Publikum mit der zweiten Referentin: «Nicht nur die Kühe brauchen Pflege, sondern auch das eigene Wohlbefinden», sagte Nicole Amrein, Agronomin, Betriebsleiterin, betriebliche Mentorin und Coach.

Die Kurzfassung ihrer Botschaft: «Arbeite an dir selber, wenn du Freude an der Milchproduktion haben willst.» Fünf persönliche Ressourcen gelte es zu stärken – «eure besten Kühe im Stall»:

Sinn und Ziele: Mit Etappenzielen lassen sich Herausforderungen auf dem Weg zum grossen Ziel Schritt für Schritt meistern. Unbewusst hemmende Glaubenssätze («was sagen die anderen, ich kann das nicht» … ) müssen ausgemistet werden.

  • Wissen und Mentalkraft: Fachkompetenz und Weiterbildung machen stark. Um ein Ziel zu erreichen, braucht es Aufmerksamkeit und Konzentration, Reflektion und Rollenbewusstsein («Treffe ich diese Entscheidung als Tochter oder als Betriebsleiterin?»).
  • Beziehungen: Jeder Mensch braucht Austausch mit anderen, Rückhalt und Dazugehörigkeit. Dazu muss er aktiv Kontakte knüpfen und pflegen. Auch zu sich selber soll jeder freundlich sein, anstatt sich abzuwerten.
  • Gesundheit: Körper und Geist bleiben leistungsfähig dank ausgewogener Ernährung und genug Wasser trinken, dank ausreichend Schlaf und Erholung. Aufrechte Körperhaltung und Durchatmen helfen gerade in schwierigen Momenten.
  • Gefühle: Es tut gut, sich jeden Abend an kleine schöne Momente des Tages zu erinnern und Positives mehr zu gewichten als Negatives. Gute Gefühle machen stärker, gesünder und kreativer.

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«Inzucht kostet Geld und Lebensfreude»

Inzucht beim Milchvieh sei weit fortgeschritten und ein Grund für Leistungsdepressionen und andere Probleme im Stall, sagte Udo Carstensen von Hybrid Genetics aus Schleswig-Holstein. «Inzucht kostet Zeit, Erfolg, Geld und Lebensfreude.»

Inzuchtrate steigt rasant
Die genomische Selektion sorgt für Tempo in der Zucht, dadurch steigt gemäss Carstensen die Inzuchtrate schneller als je zuvor. Er erwartet, dass nächstes Jahr bei den US-Holstein die Marke von durchschnittlich 11 Prozent geknackt wird, das ist schon nahe bei der Verpaarung von Halbgeschwistern. Bei anderen Rassen gehe der Trend in die gleiche Richtung. Er sieht die Grenze zwischen Leistungssteigerung und Leistungsdepression bereits bei einem Inzuchtgrad von 4 Prozent. «Anpaarungsprogramm schützen nicht vor Inzucht», erklärte Carstensen, diese würden mit dem Pedigree-Zuchtwert arbeiten und nur die letzten drei Generationen berücksichtigen.

Kreuzungszüchtungen
Der Referent plädierte für Kreuzungszüchtungen. Der Hybrideffekt werde bei Schweinen und Legehennen schon längstens genutzt und bringe auch beim Milchvieh bessere Nutzungsdauer, Gesundheit und Fruchtbarkeit. Hybrid Genetics arbeitet mit den Rassen Holstein, Montbéliard, Aussie und Norwegian Red.

Optimieren statt Schaden begrenzen

Wenn ein Tierarzt von Farmconsult in den Stall kommt, geht es nicht um ein einzelnes Tier und Schadensbegrenzung im Notfall, sondern um Strategien und Optimierung für die ganze Herde. «Landwirt und Tierarzt müssen Gewohnheiten ändern und offen sein, auch für Kritik», sagte der Veterinärmediziner Jürg Frigg zum Beratungsangebot. Die Firma mit Sitz in der Westschweiz richtet sich nach dem Grundsatz, dass Tiergesundheit, Reproduktion und Fütterung zusammenhängend betrachtet werden müssen. Die Tierärzte von Farmconsult arbeiten mit Züchtern und deren Bestandestierärzten zusammen und nehmen für ihre Arbeit eine für die Schweiz angepasste Software zu Hilfe. Gemeinsam werden Ziele definiert, etwa verbesserte Fruchtbarkeit, tiefere Zellzahlen oder höhere Milchleistung, dann werden Massnahmen festgelegt und in Angriff genommen.