Der Stall, das Feld, der Verein – die Tage von vielen Landwirten sind übervoll. Das kann die Beziehung zu Partnerin und Kindern belasten. Coach Cornel Rimle, der viele Jahre selbst einen Landwirtschaftsbetrieb führte, spricht über Risiken und Lösungsansätze.
Cornel Rimle, es scheint, als wollen Männer in der Landwirtschaft weniger Zeit mit der Familie verbringen als Frauen. Stimmt das?
Cornel Rimle: Ja, vordergründig stimmt das vermutlich. Ich habe aber Mühe damit, wenn der Mann zu schnell in die Ecke des Schuldigen gestellt wird. Es ist wichtig, dass Eltern Zeit mit der Familie verbringen. Dies kann während der Arbeit sein. Aber es sollte auch gemeinsame Freizeit genossen werden. Und in diesem Teil übernehmen die Männer tatsächlich weniger Verantwortung. Das ist schade.
Zur Person
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Cornel Rimle ist ausgebildeter Landwirt und Agronom. Seinen Hof übergab er vor Jahren seinem Sohn. Er selbst machte sich nach diversen Weiterbildungen als Coach selbstständig. Mittlerweile sind 80 Prozent seiner Klientinnen und Klienten Paare.
Was meinen Sie damit?
Bei der Frage höre ich einen einseitigen Vorwurf an die Männer. Und dies stört mich. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir von klein auf gelernt haben, Gefühle zu verdrängen und mit dem Kopf zu funktionieren. Und in diesem «Funktionieren» sind viele Erwachsene gefangen, Frauen wie Männer. Wenn es darum geht, mehr Qualitätszeit mit der Familie zu verbringen, dann müssen wir weniger «funktionieren» und mehr «fühlen».
Wie lernen wir denn, zu fühlen?
Indem wir den Unterschied von Gedanken, Gefühlen und Emotionen zu verstehen lernen. Als Kinder einer kopflastigen Gesellschaft dominiert unser Kopf auch unser Handeln. Gefühle und Emotionen haben ein Schattendasein. Wir müssen ganz bewusst Gefühle wie Freude, Angst, Wut und Trauer wieder erkennen lernen und ihnen dann Platz im Leben einräumen. Das kann durch ehrliche Gespräche über Gefühle geschehen, oder dass wir ein Gefühlstagebuch schreiben, zum Beispiel jeden Tag das wichtigste Gefühl aufschreiben.
Und weshalb ist der einseitige Vorwurf an die Männer nicht zielführend?
Weil Vorwürfe nur Abwehrreaktionen hervorrufen. Dies führt dann zu Spannungen zwischen den Partnern, und diese führen wieder weg von den Gefühlen. Deshalb sollten beide Eltern gemeinsam nach den wesentlichen Dingen im Leben suchen.
Doch auf einem Landwirtschaftsbetrieb gibt es dauernd Arbeit…
Ja, in der Welt des Funktionierens ist das so. Aber die Gefühle würden eben helfen, die Prioritäten anders zu setzen: Wollen wir wirklich mit 80 Jahren zurückschauen auf ein Leben, in dem wir nur «gechrampft» haben? Wir müssen schauen, dass wir auch Zeit für andere schöne Dinge haben.
Aber wenn nun mal nicht viel freie Zeit da ist?
Freizeit ist nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Qualität. Man kann auch zusammen eine Arbeit machen und das schön finden. Wenn man aber feststellt, dass einem das ständige Arbeiten nicht guttut, muss man von der inneren Haltung her klar sein. Sich im Kopf eine Liste zu machen, reicht dabei nicht. Man muss zuerst das Gefühl der Freude wecken – erst dann gelingt die Umsetzung.
Was heisst das für den Alltag?
Nicht nur darüber reden, sondern Nägel mit Köpfen machen. Zum Beispiel, einen Abend pro Woche für qualitative Paar-Zeit reservieren. Diese Zeit sollte eine hohe Priorität haben, sie sollte als wichtiger Pfeiler in der Woche betrachtet und frühzeitig geplant werden. Eine Woche organisiert er den Abend, die nächste sie, so übernehmen beide Verantwortungen. Diese Paar-Zeit sollte mindestens eine Stunde dauern.
Was ist im Idealfall das Ergebnis der Paar-Zeit?
Mit der Zeit lernen beide, dass so eine andere Qualität ins Leben kommt. Man kommt raus aus dem Muster, «die Frau quengelt wieder». So bleibt die Beziehungsqualität erhalten und/oder es ergibt sich Wachstumspotenzial. Nicht zuletzt gibt es dadurch mehr Lebensenergie. Es geht nicht darum, Zeit heranzuzwingen, sondern zu sagen: «Dahin wollen wir, das macht uns glücklich.»
Und wenn die Beziehung schon arg gelitten hat?
Wenn beide noch wollen, geht es in der Situation in der Paar-Zeit erst einmal darum, die Beziehung wieder auf die Beine zu stellen. Krisen sind eine Chance, an die Gefühle zu kommen. Man kann sich nicht mehr durchwursteln, ist zugänglicher. Der Ehepartner ist der Mensch, der einem am nächsten steht. Wenn man sich in der Krise öffnet, hat die Beziehung eine echte Chance.
Warum brauchen Paare überhaupt gemeinsame Zeit?
Eine Liebesbeziehung muss gepflegt werden, es braucht gemeinsame schöne Erlebnisse. Wie schon gesagt: Wenn man es schön hat beim Arbeiten, kann das auch beim Arbeiten sein. Doch beide sollten herausfinden, was sie brauchen, und zusammen eine stimmige Form entwickeln. Das kann sich mit jedem Lebensabschnitt ändern. Fakt ist: Die langjährige Liebe muss man sich erarbeiten. Es gibt gute Erlebnisse, wenn man sich auf der Gefühlsebene spürt. Doch das müssen wir Kinder dieser Kopfgesellschaft wieder neu lernen.
Wie gehen Sie in der Beratung mit Paaren um, die sagen: «Wir können uns Auszeiten nicht leisten, sonst geht der Betrieb kaputt»?
Ich sage dann: «In meinem Raum geht es um die Weiterentwicklung der Liebesbeziehung. Wenn Ihnen dies gelingt, werden die Existenzängste automatisch kleiner.» Gerade bei Nebenerwerbs-Betrieben ist die Situation oft schwierig: Man will den Hof unbedingt retten und subventioniert ihn mit dem Verdienst der auswärtigen Arbeit. Es bleibt kaum freie Zeit. Man will so weitermachen wie die Eltern und schaut sich die Buchhaltung nicht an.
Was antworten Sie Bäuerinnen und Bauern, die sagen «Ich kann den Betrieb niemand anderem anvertrauen»?
Denen sage ich: «Hoffentlich kann es niemand so gut wie ihr.» Doch ein guter Unternehmer oder eine gute Unternehmerin in der Landwirtschaft sollte mindestens einen freien Tag in der Woche haben. Zwei bis drei Wochen Ferien sollten ebenfalls möglich sein. Kein Mensch kann durcharbeiten. Es ist traurig, wenn man nur noch in der Arbeit Freude finden kann. Ich gehe jeweils nicht tiefer auf das Argument «Es geht nicht» ein und ermuntere die Menschen, geeignete Strukturen zu schaffen, sonst gehen Familien kaputt.
Stichwort Familie: Wie wirkt sich Nonstop-Arbeit auf die Kinder aus?
Nicht gut. Auch sie lernen auf diese Weise, Gefühle zu verdrängen und lieber zu funktionieren als zu fühlen. Wir tun der nächsten Generation damit keinen Gefallen. Es ist für die Kinder wichtig, zu erleben, dass es neben der Arbeit auch Freizeit gibt.
Zurück zum Wunsch nach mehr gemeinsamer Freizeit. Was hat sich in der Praxis bewährt?
Indem man einen Zugang findet, der auch den Mann anspricht. Er wird eher mitmachen, wenn er sich abgeholt fühlt. Zum Beispiel: einen Tag an die Olma, dann eine Wanderung zu zweit oder mit der Familie. Oder: einen Betriebsbesuch in den Ferien, aber auch Erlebnisse abseits der Landwirtschaft.