Der Blick bei der Ankunft auf dem Hof von Pia Spiegl und ihrem Mann Hans Kiener fällt auf die prächtige Bauernhausfassade mit imposanter Wandmalerei. Dieses steht in Bühl bei Aarberg im Berner Seeland. Die Bäuerin sitzt davor, ihren Berner Sennenhund Balou zu Füssen und erwartet die Besucherin. Etwas langsam erhebt sie sich zur Begrüssung. Der kaputte und operierte Rücken, wird sie später erzählen, sei ihr grosses Handicap. Seinetwegen kann sie vieles nicht mehr so tun, wie sie gerne möchte. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen. Im Gespräch merkt man schnell: Die 58-Jährige ist eine Frohnatur, die gerne lacht – trotz Schmerzen als steter Begleiter.
Die Aufgaben sind klar geteilt
Pia Spiegl ist diplomierte Bäuerin, zudem hat sie Ausbildungen in Pferdeberufen. 1988 hat sie zusammen mit ihrem Mann den Milchwirtschaftsbetrieb übernommen. Später wurde die Milchproduktion zugunsten der Pferdehaltung aufgegeben. 2002 konnte eine grosse Reithalle gebaut werden. Heute ist der Reitstall Bühl weit herum bekannt. Neben 15 bis 20 Pensionären stehen zehn bis zwölf eigene Pferde auf dem Hof. Pia Spiegl ist für den Reitbetrieb zuständig, während ihr Mann den Ackerbau besorgt.
Zum Tagesablauf von Pia Spiegl gehören das Füttern der Pferde, allgemeine Stallarbeiten (ohne Misten), kochen, weitere Haushaltsarbeiten, Reitstunden geben und Pferde auf die Weide lassen und zurückholen. Daneben ist sie Ansprechpartnerin für die Besitzerinnen der Pensionäre, organisiert die Reithallenbelegung und auch Reitlager.
«Reiten ist meine Therapie, mein Psychiater.»
Die Bäuerin und Reitlehrerin Pia Spiegl über die Leidenschaft zu den Pferden.
Nur Reiten gibt es nicht
Der Bäuerin ist die Arbeit mit der Natur, den Tieren und den Kindern enorm wichtig. Es ist für sie eine Herzensangelegenheit, den Kindern einen guten Umgang mit den Tieren beizubringen. Dazu gehört, die Pferde nicht nur als Sportgeräte zu betrachten, sondern auch als Freund.
[IMG 3]
Sie verhehlt nicht, dass die Arbeit in den vergangenen Jahren anstrengender geworden ist. Jedes zweite Kind habe heute «irgendwie eine Diagnose». «Doch die Pferde holen sie runter. Sie lernen, sich durchzusetzen und dabei immer anständig zu bleiben», weiss die Reitlehrerin. Viele Kinder seien sich zudem gewöhnt, dass man ihnen alles serviere. Doch bei ihr muss jedes Kind, das reiten will, auch beim parat machen und verräumen helfen, sowie auch mal den Hofplatz wischen, sonst werde nicht geritten, erklärt Pia Spiegl bestimmt.
Ihr Hof – ihre Regeln
Nach der Zusammenarbeit mit den Eltern gefragt, entfährt ihr ein langes «Phuuu», dann überlegt sie eine Weile und erklärt schliesslich: «Das ist anstrengender.» Zum einen gebe es keine Anfänger mehr. Es sind alles Einsteiger, die bereits vor der ersten Reitstunde reiten können, erklärt sie mit viel Sarkasmus in der Stimme. Doch sie betont: «Auf unserem Hof gelten strikt unsere Regeln. Das gilt für Kinder, Eltern und auch die Besitzerinnen der Pensionäre. Ich bin schliesslich für die Sicherheit verantwortlich.» Die meisten würden das auch akzeptieren. Wenn Kinder zu anderen Reitställen wechseln würden, dann sei jedoch nicht die Autorität der Reitlehrerin der Grund, sondern, dass es bei ihr zu wenig Fun und Action im Umgang mit den Pferden gebe.
Horizont ist offen
«Wir sind auf dem Hof eine zusammengewürfelte Gemeinschaft, die zusammen auskommen muss», erklärt Pia Spiegl. Zwar sei zu Hause selten Ruhe. Das habe aber den Vorteil, dass sie nicht engstirnig werde, sondern offenbleibe und zudem der Horizont immer wieder erweitert werde. Entspannung und Erholung findet die Bäuerin, wenn sie selbst ausreitet oder auf dem Kutschbock sitzt. Denn das stilechte Kutschenfahren, inklusive der passenden Kleidung zu jedem Fahrzeug, ist eine weitere Leidenschaft von ihr.
Und da ist ja noch das tägliche Kochen. «Ich koche sehr gerne», verrät die Bäuerin. Das ist auch nötig. Denn auf dem Hof leben neben dem Betriebsleiterpaar eine auszubildende Pferdefachfrau im zweiten Lehrjahr, eine Praktikantin sowie eine Auszubildende des Bildungsjahrs Hauswirtschaft. Zudem sitzen weitere Personen am Mittagstisch. Daher kocht Pia Spiegl täglich für fünf bis acht Personen.
Das Ofenhaus wird genutzt
Dennoch sagt sie schon fast entschuldigend: «Ich bin halt keine typische Bäuerin.» Vieles sei wegen des Rückens nicht mehr möglich. Sie betreibe nur wenig Selbstversorgung, der Garten werde nur dürftig gepflegt. Doch das Brotbacken im alten Ofenhaus aus dem Jahr 1726 lässt sie sich nicht nehmen. Den Teig aus 25 Kilogramm Mehl knetet sie dann jeweils mit der ausgedienten Knetmaschine eines Bäckers. Stolz zeigt sie das altehrwürdige Häuschen und erläutert das Vorgehen beim Einheizen des Ofens. Pia Spiegl strahlt dabei. Bei den lebendigen Erzählungen hat die Schreibende das Gefühl, den Duft von frisch gebackenem Holzofenbrot zu riechen. [IMG 2]
Wenn man als Aussenstehende Pia Spiegl zuhört, tönt ihr Alltag vollbepackt. Sie verneint das. Die Bäuerin nimmt sich Auszeiten, auch wenn es nachmittags ist. «Man muss sich dafür haben.» Denn die Arbeit auf dem Hof sei nie fertig erledigt. Sie habe gelernt, dass zu viel Arbeiten nicht gut für sie ist, Herumsitzen jedoch auch nicht. Sie arbeite daher nicht fünf Tage und nehme sich ein oder zwei Tage frei. Vielmehr verteile sie die Stunden der Arbeitswoche lieber auf alle sieben Wochentage.
Der Wäscheberg kann warten
«Daher nehme ich mir meistens genug Zeit, um selbst Reiten zu gehen, auch wenn noch ein Berg Wäsche zu versorgen oder Putzen angesagt wäre. Denn das ist meine Therapie, mein Psychiater», erzählt sie, während die Leidenschaft für die Tiere deutlich in ihren Augen zu sehen ist.
Und dann verrät sie zum Schluss noch ihren Lieblingsspruch: «Mein Traum ist ein begehbarer Kleiderschrank. Mein Albtraum ist jedoch, dass ich den bereits habe. Und zwar im Wohnzimmer und leider in Form von Wäschebergen, die sich da stapeln.» Und wieder ist da ihr erfrischendes Lachen.
Fünf Fragen
Welches Alltagsritual gehört für Sie dazu?
Kontakt zu den Tieren zu haben, das muss täglich sein.
Was macht Sie schlaflos?
Meine dauernden Rückenschmerzen. Das ist sehr anstrengend.
Welches ist Ihr Lieblingsplatz?
Auf dem Pferderücken oder auf dem Kutschbock.
Welche Tätigkeiten im Alltag erachten Sie als sinnlos?
Wenn ich, wie im Kindergarten, nachprüfen muss, ob unsere Hofregeln eingehalten werden.
Was möchten Sie sich abgewöhnen?
Schwierige, belastende Sachen vor mir herzuschieben und nicht gleich anzusprechen.