Den ursprünglich vereinbarten Interviewtermin muss Regula Doppmann absagen. An diesem drückend heissen Junitag will die 41-Jährige auf dem Betrieb ihres Bruders beim Heuen mit anpacken.

«Vorbilder gab es keine»

Als jüngstes von sieben Geschwistern ist sie auf einem kleinen Grünlandbetrieb in Romoos LU aufgewachsen. Während ihre Brüder draussen mitarbeiteten, ging sie im Haushalt zur Hand. Schon in jungen Jahren war klar, dass dereinst einer ihrer älteren Brüder den Hof übernehmen würde. «Eine Frau, die einen Hof führt, das war für mich als Mädchen unvorstellbar, denn Vorbilder gab es in meinem Umkreis keine», sagt die Naturliebhaberin mit dem ansteckend-quirligen Lachen.

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«Mir gelingt es gut, auf die unterschiedlichsten Menschen einzugehen – wieso also nicht ein Beruf mit Menschen?» Das war Regula Doppmanns Überlegung, als sie sich für ein Studium der Sozialen Arbeit in Luzern einschrieb. Damals war sie froh, in die Stadt ziehen zu können. «Der Napf, an dessen Fusse unser abgelegener Hof liegt, und die scheinbar vorgegebene Lebensweise auf dem Land engten mich etwas ein», sagt die gebürtige Romooserin rückblickend. Zudem hätte sie die Neugierde auf etwas Neues ins urbane Umfeld gelockt.

«Ich fühlte mich entfremdet und ein Gefühl von Lebendigkeit fehlte mir.»

Regula Doppmann über ihre Arbeit in der Stadt.

Raus aus dem goldenen Käfig

Gut zehn Jahre lang genoss Regula Doppmann die Vorzüge des städtischen Lebens und war beruflich in der Quartierarbeit, in einem Arbeitslosen-Treff und einer Wohngenossenschaft engagiert. Doch irgendwann fühlte sich der Bürojob an wie ein goldener Käfig. Bis zur Pensionierung im sozialen Bereich eine eher ruhige Kugel zu schieben, schien ihr keine Option. «Ich fühlte mich entfremdet und ein gewisses Gefühl von Lebendigkeit fehlte mir», resümiert sie.

Nach ihrem vierten Alpsommer war das innere Reissen nach Veränderung enorm stark, und der Wunsch klar, dass die Landwirtschaft mehr Raum in ihrem Leben erhalten sollte. So wagte die Bauerntochter den Schritt und nahm eine Ausbildung zur Landwirtin in Angriff. Erst absolvierte die damals 36-Jährige die verkürzte Lehre zur Bio-Landwirtin EFZ, um sich danach in Rheinau ZH in die biodynamische Landwirtschaft zu vertiefen.

Ausserhalb der Komfortzone

Auf drei kleinen Bio- oder Demeterhöfen war Regula Doppmann während ihrer Ausbildung tätig und sagt: «Die Lehrzeit war ehrlich gesagt fordernd und anstrengend – ich habe sehr viel gearbeitet, wenig verdient, war stets das unterste Glied und oft ausserhalb meiner Komfortzone.» Einerseits hätten sie diese vier Jahre viel Kraft gekostet, aber andererseits spürte sie, wie enorm viel ihr die Tätigkeit im Stall und auf dem Feld zurückgab.

Doch eines konnte sich die Frau mit den keck blitzenden Augen nicht vorstellen: Im ehemaligen Kinderzimmer neben dem Hofbesitzer-Ehepaar zu nächtigen. Der Lehrlingslohn reichte nicht, um eine Wohnung zu mieten. Also kaufte sich Regula Doppmann einen Zirkuswagen, in dem sie sich auf jedem Hof ihren Rückzugsort einrichten konnte.

Haushälfte statt Zirkuswagen

Seit einem halben Jahr sieht die Wohnsituation der Luzernerin allerdings ganz anders aus. Den 16 m2 grossen Zirkuswagen hat sie mittlerweile gegen eine geräumige Riegelhaushälfte eingetauscht. Dieses befindet sich auf dem 71 Hektaren umfassenden Gelände der Stiftung Werk- und Wohnhaus zur Weid im zürcherischen Mettmenstetten.

Sie sei von einer guten Freundin auf die Stelle im Agrarbetrieb der Institution für suchtkranke und psychisch beeinträchtigte Menschen aufmerksam gemacht worden. Die Kombination aus sozialer und landwirtschaftlicher Arbeit schien perfekt, doch auf einem derart grossen Betrieb Verantwortung zu übernehmen, traute sich Regula Doppmann eigentlich nicht zu. Aus einem Bauchgefühl heraus bewarb sie sich dennoch. «Beim Vorstellungsgespräch legte ich offen, dass ich zwar schon erste graue Haare habe, meine Berufserfahrung aber noch ziemlich bescheiden ist.» Dass sie Kenntnisse in beiden Arbeitsbereichen mitbringt – und sicherlich auch ihre offene Art, die einen sofort abholt –, gaben den Ausschlag, dass Regula Doppmann engagiert wurde.

«Ich liebe diese Art von Arbeit»

Ihre Anstellung als stellvertretende Verantwortliche für die Milchkühe hat sich als ein Sechser im Lotto herausgestellt. «Ich liebe diese Art von Arbeit, bei der ich meine zwei Berufe sinnvoll verbinden kann», schwärmt Doppmann. Als Fachmitarbeiterin leitet sie die Weid-Klienten und Klientinnen bei ihren Tätigkeiten im Stall und auf dem Feld an. Zum Stiftungsbetrieb gehören 70 behornte OB-Kühe, wovon 40 Tiere mit dem Melkroboter gemolken werden. Dazu kommen Hampshire-Schweine, die für die Bio-Fleischmanufaktor Ueli-Hof ausgemästet werden, 800 Legehennen, Pensionspferde, einige Kleintiere, aber auch Gemüsefelder, Wald, sowie eine Obst- und Beerenanlage.

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Wie kunterbunt es auf der Weid zu und hergeht, zeigt sich, als sich Regula Doppmann gemeinsam mit Klienten ans Packen der «Bio-Mio»-Gemüsekörbe macht. «Mit diesen Persönlichkeiten wird es nie langweilig, hier möchte ich noch viele gemeinsame Erlebnisse sammeln», sagt die Quereinsteigerin, die zurück zu ihren Wurzeln gefunden hat.

Website Betrieb zur Weid

Fünf Fragen

Welche Aufgabe auf dem Hof liegt Ihnen gar nicht?
Zwei-Achs-Anhänger rückwärts manövrieren. Dabei bekomme ich Schweissausbrüche, so sehr stresst mich das.

Wie erholen Sie sich nach einem anstrengenden Tag?
Ich habe das Glück, hier einen wunderschönen Garten zu haben. In meiner Freizeit liebe ich es dort zu arbeiten oder mit Freunden einen feinen Apéro zu geniessen.

Können Sie Ihr Lieblingstier hier auf der Weid kurz vorstellen?
Das ist die Kuh Fiona. Als ich hier ankam, getraute sie sich plötzlich nicht mehr in den Melkroboter – wohl aufgrund eines schlechten Erlebnisses. Mit viel Geduld und positivem Zureden gelang es unserem Team, dass sie wieder Vertrauen fasste. Diese durchgestandene Krise schweisste uns zusammen.

Fühlen Sie sich als Stadt- oder als Landkind?
Mittlerweile bin ich wieder ein Landkind. Anders als ich es erst befürchtete, fehlt mir hier auf dem Land gar nichts. Ich vermisse das Stadtleben wohl nicht, weil ich es ja etliche Jahre lang auskosten konnte.

Welche Jahreszeit gefällt Ihnen am besten?
Ich liebe den Frühling, wenn alles wieder spriesst, eine gewisse Spannung in der Luft liegt und die Weidesaison startet.