Auf über eine Million Logiernächte kommt der Walliser Ferienort Saas-Fee, wo ganzjährig nur rund 1500 Menschen leben. Das im Saastal liegende Dorf zählt um die 40 Gastronomiebetriebe in allen Preisklassen, verfügt über 100 km Pisten, welche bis auf 3600 m ü. M. gehen, und ist mit der eindrücklichen Zahl von elf Viertausendern umrahmt. Weniger Superlative benötigt man hingegen, um die Landwirtschaft von Saas-Fee zu umschreiben: Es gibt, neben einem kleinen Schafzuchtbetrieb, nur einen einzigen Vollerwerbs-Betrieb.
Die einzige Haupterwebs-Bäuerin
Betriebsleiterin Sandra Wyer-Supersaxo ist somit die einzige Bäuerin in Saas-Fee. Im Jahr 2019 hat die 31-Jährige den Hof von ihrem Vater übernommen. «Wir sind drei Schwestern. Für mich war es früh klar, dass ich den Betrieb einmal weiterführen möchte», so die Meisterlandwirtin. Unterstützt wird sie von ihrem Mann Matthias Wyer, der ein kleines Transportunternehmen führt. Matthias hat seine LKW-Touren meist um die Mittagszeit abgeschlossen und kann dadurch am Nachmittag auf dem Betrieb mitarbeiten. Auch von ihren Eltern wird Sandra Wyer-Supersaxo unterstützt. «Insbesondere in den letzten beiden Jahren, als unsere Kinder Nora und Matteo auf die Welt kamen, wäre es ohne ihre grosse Unterstützung nicht gegangen.»
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Sandra Wyer-Supersaxo bewirtschaftetdie eindrückliche Fläche von 40 Hektaren Land. Noch imposanter ist aber ihr Parzellenverzeichnis: Über 900 Parzellennummern sind darauf aufgeführt. «Bei uns im Wallis war es Tradition, dass die familieneigenen Flächen unter den Kindern aufgeteilt wurden. Dadurch kam es zu teilweise sehr kleinen Grundstücken», erklärt die Bäuerin. Ihre kleinsten Parzellen sind nur wenige Quadratmeter gross. Da die Besitzer aber froh sind, dass ihr Grundstück bewirtschaftet wird, muss die Landwirtin keine Pachtzinsen zahlen. «Streit um Land gibt es keinen, ich bin ja die einzige Bäuerin», so Sandra Wyer-Supersaxo schmunzelnd.
Mutterkühe und Schafe im neuen Stall
Zu der Betriebsfläche kommen noch Alpweiden mit total 58 Normalstössen. Diese grenzen unmittelbar an die Landwirtschaftsparzellen und ziehen sich bis auf 2200 m ü. M. Auf diesen weiden die rund 25 eigenen Mutterkühe mit Nachwuchs plus einige fremde Rinder. Dazu kommen noch 30 eigene und gleich viele Schafe von einem Berufskollegen. Weidebeginn ist meist Ende Mai, bereits Mitte Juni zieht das Vieh auf die Alpweiden. Je nach Wintereinbruch wird Anfang November eingestallt. Der grösste Teil der Mutterkühe sind Schottische Hochlandrinder, welche sich auf den vielfach kargen Weiden bewähren. Seit vier Jahren laufen nun auch noch Tiere der Rasse Pinzgauer mit.
Ein Muni für zwei Rassen
«Als wir 2019 den neuen Stall fertig erstellt haben, benötigte ich noch einige Tiere. Da mir die Pinzgauer schon immer gefielen, kaufte ich von einem Viehhändler sechs Kühe», so die Bäuerin. Die im Wallis populären Eringer seien keine Alternative gewesen, da diese infolge ihres Temperamentes kaum in einem Laufstall gehalten werden können. Anders die Pinzgauer und «Schotten», die sich den neuen Stall teilen. Die beiden Rassen laufen nicht nur zusammen in der Tiefstreu-Liegehalle, sondern teilen sich aktuell auch den Stier: Muni Vinz, ein «Schotte», deckt jetzt beide Rassen.
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Kühe sind beliebtes Fotosujet
Die «Schotten» sind nicht nur anspruchslos, was das Futterangebot angeht, sie sind auch äusserst genügsam. Das müssen sie auch sein, denn durch die Weiden verlaufen unzählige Wanderwege. Nur die wenigsten der Touristen in Saas-Fee hätten eine Ahnung, wie Mutterkühe mit Kälbern reagieren könnten. Für die Mehrheit seien die Tiere einfach ein beliebtes Fotosujet. «Unser Vieh ist aber den Kontakt mit Touristen von Kalb auf gewohnt, sodass wir noch nie Probleme hatten», erklärt Sandra Wyer-Supersaxo. Entsprechend besorgt blickt sie auf die vermehrte Wolfspräsenz in der Region: «Würde der Beschützerinstinkt der Kühe infolge Kontakt mit Grossraubtieren wieder stärker ausgeprägt, hätte das auf Tourismus und Weidehaltung sehr negative Auswirkungen.»
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Sandra Wyer-Supersaxo ist es sich von klein auf gewohnt, dass sie inmitten von Touristen lebt. Sie ist sich der grossen wirtschaftlichen Bedeutung der Gäste für die ganze Region bewusst. Während der Coronazeit habe sich das Verhalten der Feriengäste aber schon verändert. Weide und Heuland werde auch weit abseits der offiziellen Wanderwege gequert. Die grossen Touristenmassen erschweren auch den ganz normalen Alltag. Da Saas-Fee autofrei ist, werden die Dorfstrassen auf der ganzen Breite von Fussgängern in Beschlag genommen, was die Durchfahrt mit dem Elektrofahrzeug oder den landwirtschaftlichen Geräten sehr mühsam macht. Eine Herausforderung sei es für Einheimische auch, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Kein Absatz in Gastrobereich
Die Walliser gelten als heimatverbunden. Weniger ausgeprägt scheint dieser Patriotismus aber bei den lokalen Gastronomiebetrieben zu sein, denn Sandra Wyer-Supersaxo kann bisher noch keine Hofprodukte direkt in Tourismusbetriebe liefern: «Der Trend zur Regionalität ist bei unseren Restaurationsbetrieben noch nicht wirklich angekommen», erklärt die junge Bäuerin. Rund 10 bis 15 ihrer Tiere lässt sie jährlich schlachten, gut ein Drittel vermarktet sie direkt an Einheimische. Zukünftig möchte sie die Direktvermarktung noch ausbauen, ein Hofladen ist angedacht. Mit Landwirtschaftsbetrieb, Transportunternehmen und den beiden Kleinkindern Nora (18 Monate) und Matteo (2 Monate) ist die junge Familie im Moment aber sehr engagiert, Ferien- und Freizeit sind entsprechend knapp. Doch trotz der hohen Belastung ist Sandra Wyer-Supersaxo zufrieden: «Wir haben ja eines der schönsten Wander- und Skigebiete direkt vor der Haustüre und leben da, wo andere Ferien machen.»
Betriebsspiegel: Sandra Wyer-Supersaxo
Ort: Saas-Fee VS, 1800 m ü. M.
Fläche: 40 ha Naturwiesen; Alpweiden mit total 58 Normalstössen
Viehbestand: 25 Mutterkühe mit Kälbern, 30 Schafe
Arbeitskräfte: Sandra Wyer-Supersaxo, Ehemann Matthias Wyer und Eltern