«Hill Far Away Flower Farm», frei übersetzt, die Blumenfarm auf dem weit entfernten Hügel: der Name sagt alles. 35 Kilometer liegen zwischen Silvia Liebkes kleiner Farm und der nächsten Stadt, Fort St. John. Dazwischen liegen nur ausladende Getreidefelder, bewaldete Hügel und gelegentlich eine Farm.  

Die Blumenbäuerin wartet bereits vor dem grossen blauen Haus mit den überdimensionierten Solarpanels auf dem Balkon. Die Familie Liebke lebt «offgrid», ohne öffentlichen Stromanschluss. Als sie vor 17 Jahren hierherzogen, war der nächste Stromanschluss über zwei Kilometer entfernt. Obwohl der Strom inzwischen zugänglich wäre, zieht es die Familie vor, unabhängig zu bleiben. 

Vor acht Jahren suchte Familie Liebke eine neue Einkommensquelle. «Ich wollte etwas, womit ich bei den Mädchen auf der Farm bleiben konnte und was nicht viel Startkapital verlangte», erklärt die alleinerziehende Mutter von Sofia, 17-Jährig, Claudia, 15 und Ruby, 13 Jahre alt. Der Anbau von Schnittblumen schien das Richtige.  

Blumen, die Kindheitserinnerungen wecken

Silvia Liebke geht auf dem Weg zum Blumenfeld voran. «Es ist fast das Ende der Blumensaison», sagt sie entschuldigend, doch es blüht noch genug: etwa Rudbeckien in verschiedenen Goldtönen, oder einjähriger Rittersporn in Rosa, Weiss und Purpur. Sie pflückt einen Stiel leuchtendes Löwenmaul. «Diese Sorte riecht nach Citrus», strahlt sie. «Meine Kunden sind eher konservativ, anders als in den urbanen Städten wie Vancouver. Sie wollen Blumen, die Kindheitserinnerungen wecken.» Zum Beispiel Duftwicken. Diese sind aufwendig in der Ernte, dafür verkauft sie davon eine Menge Sträusse.  

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Zweimal pro Woche liefert sie im Abonnement frische Sträusse und Arrangements in Geschäfte und Privathaushalte. Samstags bedient Silvia Liebke ihre Kunden auf dem «Farmers Market» (Bauernmarkt) in der 30 000-Einwohner-Stadt Fort St. John. «Der Markt ist eine Möglichkeit für die Bevölkerung, lokale Geschäfte und Bauern zu unterstützen. Besonders die hiesigen Gärtner. Es ist nicht einfach, hier im Norden zu produzieren», sagt sie. 

Nur eine kurze Vegetationsperiode

Später Frost im Frühjahr, früher Frost im Herbst sowie eine sehr kurze Vegetationsperiode sind Herausforderungen. «Mit dem Klima komme ich zurecht, damit bin ich ja aufgewachsen», sagt Silvia, die auf einer Farm in der Nähe gross wurde. «Die wirkliche Herausforderung ist das Wasser.» 2025 war wieder eine Dürre. Erst vor ein paar Tagen mietete sie eine Pumpanlage und transportierte Wasser von einem grösseren Weiher zu jenem neben dem Blumengarten. Für diese Saison reicht es. 

Steht eine Entscheidung an, fragt sich Silvia Liebke: «Schaffe ich es körperlich?» Und: «Kann ich es bezahlen?» Sie hat noch nie einen Kredit aufgenommen. Für das nächste Jahr plant sie einen Kühlraum und eine Tropf-Bewässerung für die 800 Pfingstrosen-Stauden. Diese sind im Juli am schönsten, dann ist die Blütezeit im Süden schon vorbei. Die Unternehmerin hat vor, die grösseren Städte wie Vancouver oder Edmonton zu beliefern. Denn Juli ist ein Hochzeitsmonat und Pfingstrosen sind beliebt in Brautsträussen.  

Zur Selbstständigkeit erzogen

Tochter Sofia kommt vom Stall, wo sie das Kalb mit einer Nuckelflasche Milch fütterte. «Ich liebe das Leben hier, ich könnte es mir gar nicht vorstellen, in der Stadt zu wohnen», sagt das blonde Mädchen in den Bluejeans strahlend. Silvia Liebke gibt alles dafür, für ihre Töchter einen Ort zu schaffen, wo sie frei und geborgen leben können. Die Mädchen besuchen von zu Hause aus eine Onlineschule. «Ich habe so viel mehr Freiheit», sagt Sofia mit Überzeugung. Sie kümmert sich um einen Teil der Finanzen des Geschäfts und die Kundenkontakte. Den Zaun für ihre zwei Pferde plante und baute sie selbstständig. Das lernte sie von der Mutter. Sei es eine einfachere Reparatur am Auto oder das Design ihrer Blumenwebsite, sie ist überzeugt, bei YouTube eine Anleitung zu finden. «Ich sage mir: Irgendjemand wird das schon mal gemacht haben», meint sie.  

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«Wir sind nicht weltfremd hier», betont die Mutter. «Die Mädchen besitzen alle Smartphones, wir haben einen Fernseher. Social Media bestimmt aber nicht unseren Alltag.» Für sie sind die Webseite und die E-Mail-Liste der direkte Draht zu den Kunden. Auf Facebook und Instagram postet sie ihren Alltag und hat 1200 Followerinnen und Follower.

Von der Verandadiele und im Haus hängen Blumen und Gräser zum Trocknen. Diese werden zu Sträussen und Kränze gebunden, für Thanksgiving und Weihnachten. «Ich vermisse die Farben schon, wenn die Saison vorbei ist», sinniert Silvia Liebke.  Nach Weihnachten herrscht Ruhe im Verkauf. 

Im Januar widmet die Blumenfrau sich dem nächsten Jahr und sät drinnen ihre ersten Samen aus – Eukalyptus für Frisch- und Trockensträusse. Also doch noch etwas Exotisches.  

Fünf Fragen

Was bringt Sie morgens zum Aufstehen? 
Ich weiss, dass es ein Privileg ist, meine Töchter und mein Land zu betreuen. Das kann ich nicht vom Bett aus tun. Also stehe ich auf.

Welches Land möchten Sie einmal besuchen?
Ich würde gerne mit meinen Töchtern nach Deutschland reisen und ihnen zeigen, wo meine Eltern aufgewachsen sind.

Was fällt Ihnen als Erstes an einem Menschen auf? 
Der Händedruck und ob sie einen wohlerzogenen Hund haben.

Was machen Sie, wenn Sie richtig wütend sind?
Ich reisse Unkraut aus. Nichts ist dann vor mir sicher! 

Welche Art von Kunden mögen Sie am liebsten?
Diejenigen, die mir erzählen, was sie an einem Blumenstrauss oder einer Blume lieben.