Christine Leicht macht aber deutlich, dass die Einteilung lediglich zur allgemeinen Orientierung diene. Sie weist dringend darauf hin, dass jedes Kind wie jeder Jugendliche und Erwachsene sehr individuell trauert! Jedem trauernden Menschen, vom Säugling bis zum Betagten, soll sein Recht auf individuelle Trauer zugestanden werden! Der Fokus ihrer Begleitung und möglichen Unterstützung soll immer auf dem trauernden Individuum und nicht bei den eigenen Vorstellungen sein. Dabei ist grosse Empathie, Wertfreiheit und Toleranz gefragt. «Bitte sehen Sie davon ab, die folgende Einteilung zum Aufdrängen von Gefühlen oder zum Schubladisieren zu missbrauchen», macht Christine Leicht deutlich.
0-2. Lebensjahr
Der Tod kann noch nicht begriffen werden.
Es ist zu «abstrakt». Mit dem Tod verbundene Veränderungen werden gespürt.
Dasein – Nichtexistenz: Erste Erfahrungen mit den Gegensätzen von Da-Sein und Abwesend-Sein bilden die Grundvoraussetzung für das spätere Verständnis von Leben und Tod
Belebt-Unbelebt (Gugus-Dada-Spiele)
Trauerreaktionen
Klares Verlustempfinden. Säuglinge und Kleinkinder reagieren stark auf die körperliche Abwesenheit der Eltern. Sie spüren die traurige Stimmung, wenn jemand in der Familie gestorben ist.
Wimmern, verstärktes Weinen, trauriger Gesichtsausdruck und möglicher Rückzug sind Ausdruck des Leidens.
Mögliche Hilfe durch Bezugspersonen
Dem Kind das Gefühl geben: Ich bin für dich da, ich sorge für dich, sich emotional zuwenden und viel Zeit haben. Auf seine Signale achten und eingehen. Berühren, trösten. Gewohnheiten in der Pflege und im Tages-Nacht-Rhythmus beibehalten. Mit dem Kind in einfacher Weise reden über das, was ist, auch wenn es die Worte vielleicht kognitiv noch nicht versteht, so spürt es die Atmosphäre, die damit einher geht. Dem Kind auch in diesem Alter das Gefühl des Dazugehörens vermitteln. Das Kind sollte nach Möglichkeit von der Trauerfeier nicht ausgeschlossen werden und dabei altersgemäss gut vorbereitet von einer eigens für ihn’s zuständigen Bezugsperson begleitet und in seinen kindlichen Bedürfnissen unterstützt werden.
2.-3. Lebensjahr
Alles was bewegungslos ist, kann in diesem Alter als tot erlebt werden – Tod als vorübergehender Zustand, der jederzeit rückgängig gemacht werden kann.
Entgültigkeit kann noch nicht erfasst werden.
Tod sein kann demnach wie schlafen, getrennt sein, etc. verbunden werden.
Trauerreaktionen
Verlustangst, Trennungsangst. Anklammern an Eltern oder Bezugspersonen. Suchen und Fragen nach dem verstorbenen Menschen. Kurze, heftige Gefühlsausbrüche: Der Verstorbene fehlt jetzt im Moment und soll sofort wieder herkommen. Mögliche Rückkehr zu früherem kleinkindlichem Verhalten wie Schoppen trinken, mögliches momentanes Aufgeben bereits erworbener Fähigkeiten.
Kleinkinder können von Toten wie von lebenden Menschen sprechen.
Jeder reale Verlust löst all die Gefühle aus, welche auch bei anderen Trennungen auftreten.
Mögliche Hilfe durch Bezugspersonen
Sich dem Kind mit viel Zeit emotional zuwenden und trösten, wo möglich und nötig. Auf die Signale des Kindes eingehen, Sicherheit vermitteln: Ich bin für dich da und sorge für dich. Mit den Kindern reden: Sie einfach und wahrheitsgetreu informieren, ihre Fragen in kinds- und altersgerechter Sprache beantworten. Das Kind ernst nehmen! Authentisch bleiben.
3.-6. Lebensjahr
Kind entwickelt erste vage Vorstellungen vom Tod, der immer noch ein vorübergehender Zustand ist.
Ab ca. 5 Jahren erwecken alle Begleiterscheinungen des Todes zunehmend Neugier und Interesse. Durch den zunehmenden Realitätssinn für Todesvorstellungen werden Reaktionen wie Angst und Trauer sichtbar.
Der Tod ist immer der Tod anderer; der Bezug zu sich selber ist noch nicht herstellbar.
Zwischen 3-6 jährig können Kinder das Gefühl haben, sie seien schuld am Tod des Verstorbenen, z.B. durch eigene Handlungen oder Gefühle/Wünsche. Das kann zu erheblichen Schuldgefühlen führen.
Magisches Denken
Trauerreaktionen
Magisches Denken: Das Kind nimmt in dieser Phase seiner kindlichen Entwicklung an, dass seine Gedanken, Worte oder Handlungen Einfluss auf ursächlich nicht verbundene Ereignisse nehmen, dieser hervorrufen oder verhindern können. Herkömmliche Regeln von Ursache und Wirkung werden hier ignoriert (nach Wikipedia).
Kinder wollen den Tod erforschen, z.B. mit Käfern experimentieren, eventuell im Rollenspiel Beerdigung spielen, etc.
Mögliche Hilfe durch Bezugspersonen
Verständnis für das Kind, seinen Erforschungsdrang, seine Neugier und sein Spiel aufbringen. Ermutigung des Kindes, Fragen zu stellen und darauf klare, einfache, Antworten geben. Auf Schuldgefühle des Kindes achten und immer wieder klar machen, dass es keine Schuld am Tod hat (hier dem magischen Denken entgegenwirken). Sachliche Informationen klar, einfach und kurz weitergeben. Das Kind, wo möglich, seine eigenen Antworten finden lassen (philosophieren mit Kindern). Zum Beispiel: Kind: «Wie sieht es denn im Himmel aus?» Erwachsene: «Hmm, das ist aber eine interessante Frage! Was denkst DU denn, wie es dort aussehen könnte?»
Authentisch bleiben, sich und dem Kind eigenes Nichtwissen und eigene Unsicherheiten eingestehen. Dem Kind sagen, dass es gut und normal ist, zu trauern, zu weinen, und das auch wieder anders wird. Jedoch keinen Druck ausüben. Wenn das Kind nicht sprechen will und sich möglicherweise zurückzieht, sich von seinen Bedürfnissen leiten lassen. Eventuell bei einer Fachperson Trauerbegleitung Rat und praktische Ideen einholen. Möglichkeiten schaffen, Gefühle auszudrücken, im Spiel, beim Malen, beim Fotos anschauen, in der Natur unterwegs sein. Liebevoll über den verstorbenen liebsten Menschen reden und Erinnerungen teilen. Rituale machen, den Friedhof besuchen.
6.-9. Lebensjahr
Die Kinder beginnen allmählich, die Endgültigkeit des Todes zu erfassen, beziehen sie jedoch oft immer noch nicht auf sich selbst. Der Tod wird manchmal als Bestrafung verstanden. Er wird unter anderem personifiziert als Skelett, oder als Sensemann. Erst etwa ab dem 8. Lebensjahr kann ein Kind erfassen, dass es selbst auch einmal sterben wird. Jetzt ist es sich auch bewusst, dass der Tod eines Elternteils Auswirkungen auf sein eigenes Leben hat. Ab 9-10 jährig: Universalität: der Tod wird als ein alle Menschen betreffendes Naturphänomen akzeptiert. Auf der kognitiven Ebene wird nachvollziehbar, dass der Tod alle körperlichen Aktivitäten beendet.
Trauerreaktionen
Das Kind kann geheime existenzielle Verlust- und Trennungsängste entwickeln, dass es niemanden mehr hat, wenn der hinterbliebene Elternteil auch sterben würde. Es kann eine Vermischung aus Realität und Phantasie stattfinden. Gefühle können aus Hilflosigkeit versteckt, verschwiegen oder verdrängt werden, z.B. indem das Kind so tut, als sei nichts geschehen (Überspielen). Ausgeprägtes Interesse und gewisse Faszination für alles rund um den Tod. Im schulischen Umfeld oft Anpassungsschwierigkeiten, Konzentrationsstörungen, z.B. Desinteresse, Angst vor Belastungssituationen. Kann sich auch erst beispielsweise ein Jahr nach dem Verlust durch Tod zeigen.
Mögliche Hilfe durch Bezugspersonen
Offen und klar und möglichst sachlich über den Tod sprechen. Authentisch, ehrlich und behutsam über die Umstände sprechen, die zum Tod führten. Dringend auf die Fragen des Kindes eingehen. Sich Sorgen und Ängste des Kindes anhören und verständnisvoll und gelassen auf alle Gefühlsäusserungen reagieren. Gemeinsam Erinnerungen teilen. Das Kind einbeziehen bei Fragen zur Trauerfeier. Gut darauf vorbereiten.
Kindertrauergruppen: Wenn das Kind andere Kinder kennen lernt, die einen ähnlichen Verlust erlitten haben, kann das sehr hilfreich sein. Kinder fühlen sich sonst unter Kindern total alleine mit ihrer Verlustsituation.
10.-14. Lebensjahr
In der Pubertät versteht das Kind, dass der Tod etwas Abschliessendes, etwas Endgültiges und ganz anderes als das Leben ist. Die eigene Sterblichkeit wird vollumfänglich bewusst. Der Tod wird als endgültige irdische Trennung realisiert. Todesumstände können nachvollzogen werden.
Ab 11-12jährig: Verwesung des Körpers. Das Verständnis hierfür entwickelt sich, Kenntnisse über den Vorgang der Verwesung sind vorhanden.
Rituale rund um den Tod können verstanden werden. Kenntnisse über den Vorgang der Verwesung sind vorhanden. Unsterblichkeit der Seele: Jugendliche entwickeln auf Grund ihres Kulturellen und religiösen Hintergrundes abstrakte Vorstellungen über eine mögliche Existenz nach dem Tod.
Trauerreaktionen
Sinnfragen tauchen auf: «Welcher Sinn hat das eigene Leben?» oder «Gibt es ein Leben nach dem Tod?» Durchleben der Trauerphasen wie bei den Erwachsenen. Individuelle Gestaltung und Ausdruck der Trauer wird gesucht. Die Auswirkung des Verlustes auf die gesamte Familie wird bedenkt. Interesse an den sachlichen, biologischen und wissenschaftlichen Aspekten rund um den Tod. In diesem Alter sind Jugendliche oft fasziniert von Gruselgeschichten. Häufige treten körperliche Reaktionen auf die psychische Belastung in Form von Symptomen wie Kopf- oder Magenschmerzen auf.
Mögliche Hilfe durch Bezugspersonen
Dem Kind Gewissheit über die Verlässlichkeit durch den verbleibenden Elternteil und die Geschwister vermitteln. Gemeinsame Aktivitäten planen.
Gespräche nicht aufzwingen. Unterstützung anbieten, den alltäglichen Tagesablauf, beziehungsweise -Rhythmus beizubehalten. Wertfrei Verständnis für individuelle Trauerformen zeigen. Trauerzeremonien können wichtig sein. Peergroups können in der Pubertät zur Trauerverarbeitung enorm wichtig werden!
Quellen/Copyright
FBIm Himmel.4 / 2005 Elisabeth Schenk
Planet wissen.de / Gesellschaft
Angelerntes und praktisches Wissen durch die langjährige Berufserfahrung der Familientrauerbegleiterin Christine Leicht
www.kindertrauer-leicht.ch
© Christine Leicht. Bitte keine Verwendung von Auszügen oder Zitaten ohne Genehmigung der Autorin: www.kindertrauer-leicht.ch
