Was weiss man über Green Care in der Schweiz? Zur Gründung des Dachverbandes hat Petra Köchli die Fakten zusammengestellt. Sie hat ursprünglich eine Lehre als Landwirtin gemacht und arbeitet heute nach einem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Green Care gehört zu ihren Forschungsschwerpunkten.

Lange Tradition

«In der Schweiz haben Betreuungsleistungen in der Landwirtschaft eine lange Tradition, sie dienten meist der Lebenssicherung und Altersvorsorge», weiss Petra Köchli aus ihren Recherchen. Im 20. Jahrhundert entstanden vielerorts psychiatrische Kliniken. Viele nutzten den Garten oder die Landwirtschaft nicht nur zur Selbstversorgung, sondern auch zur Beschäftigung und Förderung der Klienten.[IMG 2]

Ab den 1960er-Jahren schlossen allerdings viele soziale Institutionen ihre landwirtschaftlichen und gärtnerischen Bereiche. Sei es, weil sie nicht rentabel bewirtschaftet wurden und/oder weil man ihnen vorwarf, die Patienten auszunutzen.

Verlust für die Kranken

Abo André Stalder im Stall bei seinen Jersey-Kühen. Neben Milchwirtschaft und Fleisch-Vermarktung bietet er auf seinem Hof Green Care an. Betreuung in der Landwirtschaft Bauern gründen neuen Dachverband: Der Betriebszweig Green Care blüht auf Monday, 22. August 2022 Erst Jahre später erkannte man, dass mit der Schliessung der landwirtschaftlichen Betriebe und Gärten auch eine sinnvolle, tagesstrukturierende Beschäftigung abgeschafft wurde. Viele kranke Menschen litten darunter, nicht selbst aktiv zu werden und einen Beitrag zu ihrer Genesung oder ihres Unterhalts leisten zu können.

Im Verlaufe der letzten zwei Jahrzehnte bekam Green Care daher wieder Aufwind. Bestärkt wird dies durch neue Erkenntnisse der Wissenschaft über den Einfluss der Natur auf den Menschen und grosses Interesse an alternativen Behandlungsmethoden.

Bis zu 70 Prozent

Abo Interview Neuer Dachverband für Green Care: «Angebot und Nachfrage zusammenführen» Monday, 22. August 2022 Im Jahr 2010 wurde im Rahmen einer Studie ermittelt, dass rund 550 landwirtschaftliche Betriebe in der Schweiz bezahlte soziale Dienstleistungen erbringen. Die meisten Gast- und Pflegefamilien arbeiten mit einer Netzwerk- oder einer Familienplatzierungs-Organisation zusammen. Zudem gibt es in der Schweiz mindestens 36 institutionelle Care-Farmen. Sie bieten für mehr als vierhundert Personen betreute Arbeitsplätze.

Nicht zuletzt ermöglicht Green Care den Landwirtschaftsbetrieben ein Zusatzeinkommen und eine Strategie zur betriebsinternen Diversifikation. Untersuchungen ergaben, dass die sozialen Dienstleistungen dieser Betriebe im Schnitt 20 Prozent des Netto-Gesamteinkommens darstellen. Es kann aber bis zu 70 Prozent ausmachen. Zudem steigt in der Schweiz die Nachfrage nach Betreuungsplätzen.

Green Care in Österreich

In Österreich ist der Verein Green Care Österreich seit 2015 aktiv. Er bildet gemeinsam mit den neun Landwirtschaftskammern des Landes ein Kompetenznetzwerk für die Entwicklung und Umsetzung von «innovativen Green-Care-Dienstleistungen» auf Bauernhöfen.[IMG 4]

«Auch wenn die evidenzbasierte Green-Care-Forschung noch viel Luft nach oben hat, wissen wir aus der Praxis, dass Green-Care-Interventionen auf Bauernhöfen wirken», erklärt Nicole Prop, Geschäftsführerin des Vereins Green Care Österreich. «Green Care ist alles andere als Sozialromantik. Es schafft Arbeitsplätze und Lebensqualität im ländlichen Raum, wie eine Studie aus dem Jahr 2021 belegt.»

Das Ziel des Vereins ist, Green Care als neue Sparte der Diversifizierung in der Land- und Forstwirtschaft nachhaltig zu etablieren, auch bei Gemeinden und Institutionen. Es sei dem Verein gelungen, Green Care im österreichischen Programm für die ländliche Entwicklung zu verankern und Strukturen zu schaffen, schreibt der Verein auf seiner Website.

Über 100 zertifizierte Landwirtschaftsbetriebe haben bereits Green-Care-Angebote, vom «Auszeithof» bis zur «tiergestützten Intervention». Der Verein bietet über seine Online-Medienkanäle viel Unterstützung rund ums Thema an, zum Beispiel Aus- und Weiterbildungen, Beratungsmöglichkeiten oder Zertifizierungen. 

Green Care in den Niederlanden

[IMG 3]In den Niederlanden hat Green Care in der Landwirtschaft bereits einen hohen Stellenwert. «Wir haben jetzt 920 Mitglieder», erklärt Maarten Fischer, Direktor der Organisation Landbouw en Zorg, eines Verbands für Landwirtschaft und Pflege.

In den Niederlanden sind vor allem Tagesstrukturen auf Landwirtschaftsbetrieben üblich, nur ein Drittel der Höfe bietet auch Übernachtungen für die zu betreuenden Personen an. «Die Integration in die Bauernfamilien ist anspruchsvoll.» Die Pflegebäuerinnen und -bauern in den Niederlanden gelten als professionelle Betreuungsanbieter mit einem hohen Grad an nationaler und regionaler Organisation. Dazu gehören ein eigenes Qualitätssiegel, eine Akademie und Programme zur Unterstützung von Berufsanfängern.

Rund 1300 niederländische Farmen bieten Green Care an. Jeden Tag werden um die 30 000 Klienten und Klientinnen auf Bauernhöfen betreut. Die Gründe für den Erfolg? «Auf den Höfen treffen die Menschen auf eine echte Welt, eine natürliche Umgebung – und es ist persönlich», meint Maarten Fischer. «Die Klienten können sich einbringen. Für jeden gibt es etwas zu tun und zu lernen. Denn jeder Mensch will sich jeden Tag entwickeln.» 

Weitere Informationen: www.greencare-oe.at und www.zorgboeren.nl