«Dann hole ich mal unser Grosi aus dem Stall.» Christa Reust ist stolz auf Piroska, eine von zwei Red-Holstein-Kühen im Stall, die bereits elf Kälber zur Welt gebracht haben. Für das Zeitungsfoto soll sie mit aufs Bild – mit dem Stockhorn im Hintergrund. Doch der Aufstieg auf die Weide ist der alten Dame bei 30 Grad verständlicherweise zu anstrengend. Also wird das Bild vor dem Holztor gemacht.

Langlebig und mittelgross

35 Milchkühe stehen im Anbindestall von Markus und Christa Reust in Gurzelen BE. «Langlebigkeit und gute Euter sind uns wichtig», sagt die 33-Jährige. «Dafür müssen unsere Kühe keine 13 000 Liter Milch geben. Wir wollen eine mittelgrosse, gesunde Kuh.»

Der Betrieb arbeitet nach IP-Suisse-Richtlinien und liefert die Milch ab September an die Aaremilch, bislang an Walter Arnold. Mit Kälbern und Gusti im Laufstall kommen Reusts auf rund 100 Tiere. «Für den Eigenbestand besame ich selbst gesext», erklärt die gelernte Landwirtin. Dazu halten Reusts noch einen Mastmuni. Rund 20 Kühe verkaufen sie pro Jahr ab Hof.

Das Bauernpaar interessiert sich für Viehzucht und nimmt mit seinen Tieren an der Viehschau und am Züchtertreff in Riggisberg teil. «Früher habe ich bei Bernhard Gertsch in Frutigen Kühe und Rinder vorgeführt.» Aber dafür fehlt der Mutter von Fabian (4 Jahre) und Lukas (10 Monate) heute schlicht die Zeit.

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Beide können eigentlich alles

Markus und Christa Reust führen ihren 30-Hektaren-Betrieb gemeinsam – mit grosser gegenseitiger Unterstützung. «Wir können eigentlich beide alle Arbeiten. Das Büro mache ich zu einem grösseren Teil», sagt sie. Daneben haben beide weitere Standbeine: Markus Reust ist selbstständiger Landschaftsgärtner. Christa wiederum hat 2020 ihre Bauernhofspielgruppe gegründet.

Schon als Jugendliche hatte sie einen Draht zu Kindern und überlegte, Kleinkinderzieherin zu werden. «Damals hiess es immer, das sei schwierig mit Arbeitsstellen.» Sie lernte dann Zierpflanzengärtnerin, hütete oft Kinder – und fand über Umwege doch zurück zur Landwirtschaft.

Auf Pachtbetrieb aufgewachsen

Christa Reust ist auf einem Milchwirtschafts-Pachtbetrieb in Kehrsatz BE aufgewachsen. Ihr Vater arbeitete später bis zur Pensionierung in der JVA Witzwil – ebenfalls bei den Kühen. Nach ihrer Ausbildung zur Gärtnerin ging sie z Alp, arbeitete einen Sommer lang auf einer Farm in Australien. Als sie zu ihrem damaligen Freund nach Oberbalm zog, half sie sonntagabends bei einem Bauern im Dorf beim Melken. «Da kam mir der Gedanke: ‹Hey, das will ich richtig lernen›», erinnert sie sich. Also absolvierte sie die Nachholbildung zur Landwirtin und lernte in dieser Zeit auch ihren heutigen Mann im Ausgang kennen. Sie zog bald auf seinen elterlichen Hof und absolvierte zusätzlich die Ausbildung zur Spielgruppenleiterin.

Erst kam der Lockdown

Gemeinsam mit Markus setzte sie ihre Idee um: eine Spielgruppe auf dem Bauernhof. «Uns war wichtig: Hühner, ein Sandkasten, ein Pflanzblätz und ein Spielgruppenraum.» Doch als alles fertig war, kam der erste Corona-Lockdown. Der Start musste erstmal warten.

Heute findet die Spielgruppe zweimal wöchentlich statt – jeweils am Vormittag für 2,5 Stunden. Christa Reust hat Mitarbeiterinnen, die sie unterstützen; sie sind immer zu zweit. Die Kinder kommen unter anderem aus Spiez, Oberdiessbach und aus dem Dorf. «Zuerst werden die Hühner gefüttert – das ist unser Start-Ritual. Danach wird gespielt.» Oder wie Christa Reust auf Berndeutsch sagt: «Gfuschtet.» Die Kinder dürfen den Kühen Futter zuschieben, manchmal eine Geburt miterleben oder beim Hühner-Misten helfen. «Sie sehen so, dass Tiere Pflege brauchen – und dass man Hühnern nicht nur Körner geben kann.»

Auch das Znüni ist Teil des Konzepts und Christa Reust wichtig. «Brot, Käse, Wurst, Milch, Eier – alles vom Hof.» Im Herbst wird gemeinsam gemostet.

Beielimorge und Kuhpflege

Für ältere Kinder bietet Christa Reust zusätzlich die «Bauernhofzeit» an – acht- bis zehnmal jährlich an einem Samstagvormittag. Die Kinder sind zwischen 4,5 und 8 Jahre alt, oft ehemalige Spielgruppenkinder. «Es ist eine feste Gruppe. Dann ist es harmonischer. Wir machen zum Beispiel einen Beielimorge oder widmen uns dem Thema Kuhpflege, sie dürfen Klauenwaschen und eine Kuh scheren.»

Neben Spielgruppe und Landwirtschaft bewirtschaftet Reust einen kleinen Selbstbedienungsladen. Dort verkauft die Familie unter anderem Fleisch vom Hof, Sirup, Geschenke und Kartoffeln von einer Hektare Anbaufläche. Einmal im Monat geht Christa mit vorbestellten Kartoffeln auf Liefertour. «Sirup für den Hofladen zu machen oder Geschenke zu basteln, ist mein Hobby.» [IMG 4]

Auch eigener Honig gehört zum Sortiment. Seit 2016 ist sie Imkerin – zeitweise mit bis zu 30 Völkern, aktuell noch mit sieben. «Mein Grossvater und mein Vater haben geimkert. Als ich anfing, waren beide skeptisch – für sie war das Männersache.» An dieser Sichtweise hatte sie erst etwas zu beissen: «Aber mein Grossvater und mein Vater hatten dann doch Freude, dass ich es mache.»

Backen statt Fenster putzen

«Ja, mein Mann und ich arbeiten sehr viel», sagt Christa Reust. «Manchmal kommen wir ans Limit.» Aber sie sind auch ein eingespieltes Team. «Wir unterstützen uns vollkommen. Weil wir beide fast alles können, können wir uns auch über alles austauschen.» Prioritäten zu setzen, hilft: «Mir ist nicht wichtig, ob die Fenster sauber sind oder im Pflanzblätz Unkraut wächst. Zum Spielgruppenabschluss backe ich lieber um fünf Uhr morgens frischen Zopf.»

Fünf Operationen nötig

Ein tiefer Einschnitt war der schwere Arbeitsunfall von Markus Reust vor zwei Jahren: Ein Bohrer traf sein Auge, seither sieht er dort nur noch zehn Prozent. «Fünf Operationen waren nötig, regelmässige Kontrollen im Inselspital bleiben – das wird uns wohl ein Leben lang begleiten.» Trotzdem bleibe ihr Mann immer positiv. «Ich merke, an welchen Tagen er starke Schmerzen hat, auch wenn er es nicht sagt.»

Dank einer Aushilfe – gefunden über seinen Schwingclub – können Reusts einmal im Jahr eine Woche Ferien machen. Ausserdem kommt dieser zweimal pro Woche melken. «Im Nachhinein musste immer alles so kommen», sagt Christa Reust rückblickend. Die Kinderbetreuung stemmen die beiden weitgehend selbst. «Mir ist es wichtig, die Kinder aufwachsen zu sehen. Fabian kommt im August in den Kindergarten – das ist ein grosser Schritt.»

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Laufstall mit Melkroboter

Ein grosses Projekt steht auch bevor: Der Bau eines neuen Laufstalls mit Melkroboter ist in Planung. «Wir wollen in zwei bis drei Jahren bauen. Das wird eine Entlastung für uns bringen.»

Christa Reust liebt den Rhythmus der Landwirtschaft. «Gerade mit Kindern gibt einem dieser Halt.» Neue Projekte gehören für die Bernerin einfach dazu. «Manche sagen: ‹Warum fängst du schon wieder etwas Neues an?›» Sie lacht, zuckt mit den Schultern und fügt an: «Aber so bin ich halt. Ich habe an vielem Freude, aber wenn ich immer nur das Gleiche machen müsste, würde mir langweilig.»

Fünf Fragen

Welches Landwirtschaftsthema beschäftigt Sie am meisten?
Die Frage, wie wir die Schweiz künftig ernähren. Was passiert, wenn die Grenzen mal zugehen würden?

Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Das Miteinander, der Zusammenhalt.

Ihr Lieblingsplatz?
Bei den Bienen – oder im Kälberstall.

Welches Kompliment freut Sie am meisten?
Die Wertschätzung der Spielgruppenkinder.

Welche Tätigkeit im Alltag finden Sie sinnlos?
Aufräumen mit zwei kleinen Kindern.