Wer in diesen Tagen durch die Fluren vom Klettgau oder Reiat im Kanton Schaffhausen schlendert, dem stechen die in der Vollblüte stehenden Sonnenblumenfelder ins Auge. Ein Anblick, den man vor 100 Jahren in diesen Regionen gar nicht kannte. Alte Fotos aus dieser Zeitepoche von Ende Juli und Anfang August zeigen vielmehr unzählige Getreide-Puppen, welche auf die erste Stufe der Getreideernte hinweisen und heute der Vergangenheit angehören.

Getreidepuppen so weit das Auge reicht

Videotipp aus dem Archiv Mit Heinzen und Puppen konnte die Qualität des Getreides wesentlich gehoben werden Monday, 25. April 2022 Das Getreide wurde noch grösstenteils von Hand gemäht und zu Garben gebunden. Diese stellten die Bauern zum  Abtrocknen und Ausreifen der Körner zu Puppen auf, was zu eindrucksvollen Bildern zahlreicher Puppenfelder führte. «Blickt ein Beobachter vom Hange bei Löhningen oder Siblingen zur Erntezeit hinab in die fruchtbaren Gefilde des Klettgaus, wo viele Tausende von aufgestellten Garben die Felder schmücken, so erhält er einen tiefen Eindruck. Und er darf danken für die gesegneten Fluren seiner Heimat und auch derer gedenken, welche mit rastlosem Eifer die Böden pflügen und die Saaten bestellen.» Diese sehr detaillierten Ausführungen sind in einer umfassenden Schrift von Georg Kummer nachzulesen, welcher die Flora und Fauna des Kantons Schaffhausen im Zeitraum von 1920 bis 1934 beschrieben hat.

Die goldgelb blühenden Ölsaaten wie Raps oder Sonnenblumen oder auch die bläulich ­blühende Zwischenbegrünung Phacelia kannte man damals nicht. Ebenfalls waren der Anbau von Mais,   Zuckerrüben oder Feldgemüse kein Thema. Für die damalige Landwirtschaft wären Buntbrachen und Blühstreifen noch Fremdwörter gewesen.

Keine Rede von Biodiversität

In allen Unterlagen sind die heute so modernen Ausdrücke wie Nachhaltigkeit, Biodiversität oder Ökologie nicht zu finden. Nachhaltigkeit wurde einfach im natürlichen, vom Jahreszyklus vorgegebenen Kreislauf gelebt. Man nutzte die vielseitige Natur gezielt und schonend, um Nahrung für Mensch und Tier zu produzieren. Jede Heugabel voll Gras und jede auch noch so kleine Kartoffelknolle galt als wertvoll.

Keine Flächen wurden gemulcht. Der Ertrag von diesen Ökoflächen wurde genutzt und nicht in der Biogasanlage entsorgt. Durch die von Natur, Jahreszeit und Witterung vorgegebene Nutzung der Kultur-landschaft wurde die breite Biodiversität erhalten. Standort und Qualität des gewünschten Futters bestimmten den Mähzeitpunkt. Terminliche verbindliche Bundesvorgaben waren noch kein Thema.

Beste Böden und Qualität

Abo Saatzüchter im Oberemmental besichtigen vor rund hundert Jahren einen Dinkelacker: Links im Bild ein Landwirt, rechts ein Forscher, eine Zusammenarbeit, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten gut einspielte. Fundstücke aus dem Agrararchiv Die züchtenden Bauern wehrten sich – und fanden eine Lösung Tuesday, 27. June 2023 Georg Kummer geht in seiner Fachschrift ausführlich auf den Ackerbau ein. Die wertvollsten Ackerböden sind  im Klettgau zu finden. «Im Schaffhauser Ackerbaugebiet tritt, begünstigt durch Boden und Klima, der Getreidebau stark hervor. Gemäss der  verbesserten Dreifelderwirtschaft, die noch vorherrschend ist, setzt man auf eine Fruchtfolge», hielt  Kummer fest.

Laut einer Statistik aus dem Jahre 1934 hielt man  eine achtjährige Fruchtfolge ein, mit dreimal Wintergetreide, einmal Sommergetreide und je zweimal Hackfrüchte und Ackerfutter. Wenn dazumal die Rede von Wintergetreide war, meinte man Winterweizen, Winterroggen, Korn und Wintergerste.

Alte Sorten kamen wieder auf

Um 1870 wurden der Anbau von Einkorn und Emmer aufgegeben. Damals erlebte das einst wichtigste Brotgetreide Korn – analog zu heute – eine Renaissance. Das auch als Dinkel oder Spelz bezeichnete Getreide der Sorten «Oberkulmer Rotkorn» oder «Zuzger Weisskorn» wurde in Schleitheim und Thayngen vermehrt wieder angebaut.

Als Sommergetreide standen beim Brotgetreide der Sommerweizen und beim Futtergetreide der Hafer im Fokus. Georg Kummer stellte fest, dass der Anbau von Hafer deutlich rückläufig war, weil dieser sehr günstig aus dem Ausland eingeführt werden konnte. Insbesondere auf dem Reiat wurde Sommergerste als Braugerste für die Brauereien Falken und Haldengut angebaut. Die Schaffhauser Braugerste konnte sich mit den besten Qualitäten Europas messen.

Das auf rund 3000 ha angebaute Brotgetreide zeichnete sich durch national überdurchschnittliche Erträge aus:  2400 kg pro Hektare wurden geerntet, 230 kg mehr als im nationalen Mittel. Davon waren zwischen 125 und 336 Bahnwagen à je 10 Tonnen im Rahmen der Ablieferungs- und Übernahmepflicht abgabepflichtig an den Bund. 150 bis 165 Wagenladungen behielten die Schaffhauser als damalige Selbstversorgungspflicht zurück. 

Nutztierhaltung war unbestritten

Videotipp aus dem Archiv Pferdestärken in der Landwirtschaft – früher und heute Wednesday, 12. October 2022 Die heutigen Diskussionen über den Sinn der Nutztierhaltung hätten dazumal nur Kopfschütteln verursacht. Georg Kummer schreibt dazu: «Ackerbau und Viehzucht greifen im Kanton Schaffhausen eng ineinander. Liefert der Ackerbau der Viehzucht recht wertvolle Futtermittel und Stroh für Stallstreue, so sind die Zugkraft und der Dünger des Rindes äusserst wichtig für einen gedeihlichen Ackerbau.» Während der Vegetationszeit setzte man auf die Frischverfütterung mit dem täglich eingeholten Gras. Im Winter war man auf Heu und Emd sowie Futterrüben angewiesen. Die ­Silage kannte man zu dieser Zeit in der Schweiz noch nicht.