Aller Anfang ist schwer. Ungefähr so lässt sich der Kindergarteneintritt meiner älteren Tochter vor bald zwei Jahren beschreiben. Sie war eine der Jüngsten, vier Jahre und drei Monate alt, dazu sensibel und schüchtern, und kam sprichwörtlich «erst mal auf die Welt». Wir als Eltern auch. Mittlerweile hat sie den Knopf längst aufgemacht. Nun steht Mitte August der nächste Meilenstein an: Der erste Schultag. Wir sind gespannt, aber mittlerweile ziemlich gelassen.

Aufregend bis einschneidend

Abo Der erste Schultag – ein aufregendes und womöglich auch einschneidendes Erlebnis für das Kind. Erziehung Wann ist ein Kind schulreif? Und wie kann man es bezüglich Schuleintritt unterstützen? Monday, 1. May 2023 Der Schuleintritt ist sicher für jedes Kind ein aufregendes, bisweilen einschneidendes Erlebnis. Es gibt Faktoren, die beeinflussen, wie einfach oder schwer sich dieser neue Lebensabschnitt für ein Kind gestaltet. Das habe ich im Interview mit Erziehungsberaterin Madeleine Humm erfahren.

Zum Beispiel die Wahrnehmungsreife. Ein Baby wird nicht mit einem voll ausgebildeten Gehirn geboren. Erlebnisse über alle Sinnesorgane helfen diesem, sich optimal zu entwickeln. Erfahrungen wie barfuss gehen oder ein Tier streicheln bilden Spuren im Gehirn – und diese wiederum einen Teil der Nervenverbindungen, die für das spätere schulische Lernen enorm wichtig sind.

Ein Kind, das sich viel bewegt, kann sich leichter im Zahlenraum bewegen, denn es kennt räumliche Orientierung. Wenn es gemerkt hat, dass ein kleiner Becher überfliesst, wenn man ihn mit einem Wasser aus einem grossen Becher füllt, kann es sich Mengen besser vorstellen usw. Sprich: Je mehr die Sinne gebraucht werden, desto besser können sie sich entwickeln. Ob man ein Büsi im Fernsehen sieht, ist dabei absolut nicht das Gleiche, wie ein echtes zu streicheln.

Recht früh selbstständig

Gibt es einen besseren Ort dafür als einen Bauernhof? Das bäuerliche Umfeld sei natürlich ideal dafür, möglichst viele dieser wichtigen Sinneserfahrungen zu machen, die beim späteren Lernen helfen können, sagt auch Madeleine Humm. Viele Bauernhofkinder haben zudem einen etwas weiteren Schulweg und bringen deshalb früh eine gewisse Selbstständigkeit mit.

Sie helfen zu Hause mit, lernen früh, was Arbeit bedeutet, dass man auch mal bei der Sache bleiben muss, auch wenn es keinen Spass macht, dass es Dinge gibt, die nicht aufgeschoben werden können, selbst wenn es regnet. Sie kennen Zusammenhänge der Natur, wissen, dass die Milch, das Fleisch und die Äpfel nicht aus dem Supermarkt kommen. Oft lernen sie den Kreislauf des Lebens mit Geborenwerden und Sterben auf eine ganz natürliche Weise kennen.

Weniger Allergien

Kinder von Bauernhöfen haben noch einen weiteren Vorteil, von dem man bereits oft lesen konnte. Eine Wiener Studie, die im Fachjournal «Clinical and Translational Allergy» erschienen ist, kommt zu dem Ergebnis, dass sie tatsächlich mit weniger Allergien zu kämpfen haben.

Der Grund dafür liegt an dem Milcheiweiss namens Beta-Lactoglobulin – es verteilt sich mit dem Stallstaub und sorgt dafür, dass allergische Reaktionen des Immunsystems verhindert werden können. Dieser Eiweissstoff (BLG) entsteht durch den Urin von Kühen und wird vom Stallstaub verbreitet. Dabei greift dieser Effekt weit um sich: Der Staub aus dem Stall könne sich bis zu 300 Meter weit rund um einen Bauernhof ausbreiten und sei sogar in Betten nachweisbar gewesen.

Schule auf dem Bauernhof boomt

Zurück zu den Sinneserfahrungen und dem positiven Effekt aufs Lernen: Schön ist, dass nicht nur Bauernhofkinder davon profitieren können, sondern auch alle anderen Kinder. Sei es nun, weil man eine Freundin oder einen Freund zu Hause besucht oder die Landwirtschaft im schulischen Rahmen entdeckt. Obwohl meine Tochter oft auf dem Betrieb meines Bruders ist und die Landwirtschaft schon kennt, war ein Hofbesuch im Kindergarten für sie ein absolutes Highlight.

Auch die Lehrpersonen haben das gemerkt und nutzen Bauernhöfe gerne, um Wissen zu vermitteln. Es ist also bestimmt kein Wunder, dass sich das Programm «Schule auf dem Bauernhof» (SchuB) wachsender Beliebtheit erfreut. Der ausserschulische Lernort Bauernhof trifft offenbar den Nerv der Zeit.

2022 haben auf gut 400 Betrieben 60'000 Schüler und Schülerinnen aktiven Unterricht auf dem Bauernhof erlebt – was gleichbedeutend mit einem neuen Rekord ist, vermeldete der Schweizer Bauernverband vergangene Woche. Weil auch immer mehr Höfe bei SchuB mitmachen, kann das Konzept heute praktisch flächendeckend angeboten werden.

Zukünftige Konsument(innen)

Bereits in den Anfängen des Konzepts «Schule auf dem Bauernhof» vor knapp vierzig Jahren stand bei Bäuerinnen und Bauern das Bedürfnis im Vordergrund, einer Bevölkerung mit zunehmender Distanz zur landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion die eigene Arbeit zu erklären. Etwas, das in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist, denn schliesslich sind Kinder künftige Konsumenten und Stimmbürgerinnen.