«Weihnachten, die nicht nach Weihrauch riechen, gehen für mich gar nicht», stellt Lydia Manser klar. Die Appenzeller Bauerntochter ist mit der Tradition des «Räuchle» aufgewachsen: Am Heiligabend zog die Mutter jeweils mit der Räucherpfanne durch das Haus, daraus entwich wohlriechender Rauch. «Daraufhin kehrte jeweils umgehend eine ruhige und besinnliche Stimmung ein», erinnert sich Manser, die in Weissbad AI lebt.

[IMG 2]

Die Geburt des Lichts

«Das ‹Räuchle› hat eigentlich nichts mit Religion zu tun», betont Lydia Manser, die Kurse zum Thema anbietet. Vielmehr handle es sich um einen alten Brauch mit vorchristlichen Wurzeln. Der Anlass dazu sei die Wintersonnenwende um den 21. Dezember, den kürzesten Tag des Jahres, auch «Geburt des Lichts» genannt. 

Darauf würden nach heidnischer Tradition die Raunächte zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar folgen. «Diese repräsentieren den Übergang vom alten ins neue Jahr, der mit dem ‹Räuchle› rituell begleitet wird». Dies jeweils dreimal: an Heiligabend, an Silvester sowie am Dreikönigstag.

[IMG 3]

Wissen mündlich überliefert

Die Tradition pflegen laut Lydia Manser auch heute noch zahlreiche Bauernfamilien in Appenzell Innerrhoden, im Allgäu und im Vorarlberg. Das Wissen dazu wird von Generation zu Generation mündlich überliefert, auch Hofübergaben machen davor nicht halt. Dabei lebt jede Familie den Brauch auf ihre Weise. «Während es bei uns die Mutter war, die für das ‹Räuchle› zuständig war, ist es bei anderen der Vater», so Manser. «Mir sind auch Familien bekannt, die währenddessen den Rosenkranz beten.»

Die Absicht dahinter sei bei allen, Haus und Stall zu reinigen und um Schutz und Segen zu bitten. Die Pflanzen, welche dabei zum Einsatz kommen, sind traditionellerweise Weihrauch, Palmzweige sowie manchmal auch Myrrhe.

Das gehört zum Räuchle
Palmzweig: Dieser besteht aus Wacholder, Stechpalme und Tannenzweigen. Alles, was sticht, hat eine reinigende Wirkung.
Weihrauch: meistverwendetes Harz zum Räuchern. Je heller, desto besser ist die Qualität.
Myrrhe: Dem Harz wird eine krampflösende, antibakterielle Wirkung nachgesagt. Die Räuchersubstanzen auf eine Räucherkohle oder ein Räuchersieb legen (nicht anzünden). Dazu eignet sich ein Räucherofen mit Edelstahlsieb, eine Räucherpfanne oder eine Räucherschale.

Ätherische Öle entweichen

Vor rund 25 Jahren fing Lydia Manser an, sich vertiefter mit dem «Räuchle» auseinanderzusetzen. Nach einer Feng-Shui-Ausbildung und mehreren Räucher-Workshops begann sie, dessen tiefere Bedeutung zu verstehen. Seit ein paar Jahren gibt die Mutter dreier erwachsener Kinder ihre Kenntnisse selbst in Kursen weiter.

Abo Weihnachten Wo Engel beim Guetzli-Verpacken helfen Saturday, 25. December 2021 Dazu gehört nicht nur die Geschichte des «Räuchle», sondern auch das Wissen um den Vorgang selbst und die passenden Pflanzen. «Der Duft beim Verräuchern der Pflanzensubstanz wird hauptsächlich durch die ätherischen Öle erzeugt», so die Appenzellerin.

In den Bergen gesammelt

Zahlreiche einheimische Gewächse eignen sich in getrocknetem Zustand als Räuchergut. So etwa Beifuss, Lorbeer, Thymian und Pfefferminze, die alle über eine reinigende Wirkung verfügen. Einige Pflanzenarten aus ihrem Sortiment zieht Lydia Manser im Garten, andere sammelt sie übers Jahr in der Natur, beispielsweise bei Wanderungen in den Bergen. 

[IMG 4]

Die Blätter, Wurzeln oder Blüten werden anschliessend sorgfältig getrocknet und zerkleinert. Harze wie Weihrauch kauft Manser zudem zu, weil diese nicht von hier stammen. Zum Einsatz kommen die Substanzen nicht nur zum Jahreswechsel, sondern auch zu anderen Zwecken wie etwa bei einem Wohnungswechsel oder zur Harmonisierung eines Ortes.

Weitere Informationen: www.lydiamanser.ch 

«Räuchle» mit Lydia Manser
Appenzell Tourismus bietet den Kurs «Räuchle» mit Lydia Manser an. Der Kurs dauert 1,5 Stunden und ist von November bis März buchbar (für Gruppen das ganze Jahr). Dazu gehören eine Einführung in die Geschichte des Räuchlens sowie eine Zusammenstellung einer persönlicher Räucher-Kraftmischung. Kosten: Fr. 38.– pro Person. Anmeldung via Appenzell Tourismus, Telefon: 071 788 96 41, E-Mail: info@appenzell.ch.